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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 12.1917

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BESPRECHUNGEN. 477

dringlichste bemüht, die jeweilige Orientierung der Kunstgeschichtsschreibung aus
der allgemeinen Geistesgeschichte heraus zu erklären.

Die Analyse setzt mit Vasari ein. Seine schriftstellerische Tätigkeit erwächst
aus dem Bedürfnis der Zeit, sich ein Organ für die neuen künstlerischen Errungen-
schaften zu schaffen und da seine Kunstgeschichte iii erster Linie für Künstler
und Kunstliebhaber bestimmt ist, so,erscheint es selbstverständlich, daß Vasari vor
allem die Interessen seines Standes zu wahren sucht. Die Form, die er für seine
Kunstgeschichte wählt, ist die ebenso einfache wie gefällige des erzählend-biogra-
phischen Berichts. Dabei leiten ihn einige starke und durchsichtige Tendenzen.
Es drängt ihn nicht nur, von der fast unübersehbaren Fülle wahrhaft großer Kunst-
werke Rechenschaft abzulegen und im Zusammenhang damit ganz neue Aussichten
für die Kunstentwicklung seiner Gegenwart zu eröffnen, sondern man spürt die
Absicht, durch die vorbildlichen Muster der Vergangenheit entscheidend auf das
Kunstschaffen einzuwirken und die Kunstschüler zu großem Wollen zu erziehen.
Neben dieser erzieherischen Richtung tritt eine zweite, soziale deutlich hervor. Es
handelt sich um die neue gesellschaftliche Stellung, für die das heranwachsende
Künstlergeschlecht erzogen werden soll, und um deren Aufklärung Albert Dresdner in
seiner Geschichte der Kunstkritik sich inzwischen besondere Verdienste erworben
hat. Das Mittelalter hatte den Künstler auf die Stufe des bürgerlichen Handwerkers
gestellt. Die umfassende geistige Bildung', die die großen Künstler der Zeit seit
Leon Battista Alberti anstrebten, und der vertrauliche Ton, dessen sie von Fürsten
und den Vertretern der hohen Geistlichkeit gewürdigt wurden, erforderte die Er-
hebung des Künstlers auf die erste Stufe des gesellschaftlichen Lebens.

Den geschichtsphilosophischen Hintergrund, auf dem Vasari sein farbenprächtiges
Gemälde aufbaut, bildet jene durch Ghiberti zuerst fixierte Anschauung, wonach
das Altertum als der Inbegriff aller Kunstvollendung, das Mittelalter als Verfallszeit
und die Gegenwart als eine aus zarten Anfängen zu erneuter Höhe aufgestiegene
und der Antike ebenbürtige Glanzzeit der bildenden Kunst erscheint.

Und so groß ist der Einfluß Vasaris auf die folgenden Jahrhunderte gewesen,
daß es einer Erscheinung wie Winckelmanns bedurfte, um die Kunstgeschichts-
schreibung auf eine neue Stufe zu heben. Die erste grundlegende Änderung, die
Winckelmann brachte, war eine methodische. Die biographische Darstellungsform
genügt nun nicht mehr; denn es handelt sich bei Winckelmann, der überall auf
das Ganze und nicht auf das ;EinzeIne zustrebt, darum, das Kunstschaffen aus
den Lebensbedingungen eines Volkes heraus zu verdeutlichen. Es liegt auf diesem
Wege, wenn Winckelmann, davon allein nicht befriedigt, eine weitere Klärung des
Kunstphänomens djrch eine Erleuchtung der Wechselwirkung zwischen Kunst und
allgemeinem Geistesleben zu erzielen sucht. Und wenn Vasari den Leitgedanken,
daß er als Künstler für Künstler und Künstlerinteressen schreibe, nie außer acht
läßt, so sucht Winckelmann nicht nur wie Vasari die Kunst seiner Zeit zu be-
fruchten, sondern durch die Weite seiner weltanschaulichen Ideen auf das Gesamt-
leben aller Gebildeten einzuwirken. Dieses soll vertieft und bereichert werden, die
neuen Erkenntnisse sollen der Erweckung neuen Lebens dienen. Daß uns in jedem
echten Kunstwerk »ein Allgemein-Menschliches, eine Art nicht bloß des künstle-
rischen Sehens, sondern eine Weltanschauung schlechthin faßbar wird — daß damit
Begriffe in die Wertrechnung eingestellt werden, wie Echtheit, Ursprünglichkeit,
Gesundheit des Empfindens, ist der letzte Sinn jener großen, durch Winckelmann
hervorgerufenen Umwälzung des 18. Jahrhunderts«.

Allein damit sind die weitgreifenden Veränderungen, die die Kunstgeschichte
durch Winckelmann erfahren hat, noch nicht ausgeschöpft. Der Begriff des Stils,
 
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