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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 22.1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.14168#0120
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BESPRECHUNGEN.

107

Konversation und Anekdote bilden im außerkünstlerischen Bereich etwa den Über-
gang von der Sprachäußerung als Mitteilungsmittel zur Sprachäußerung als eigen-
gesetzlicher, kunstkörperlicher Zweckbildung.

Auf dem Boden solcher einsichtigen und schlechthin überzeugenden Grundlage
baut Flemming dann weiter und grenzt die epische von der dramatischen Dichtform
ab. Beide entwickelt er aus der Sprache und verfolgt sie in der »Handlung^, in
Personen und Schicksal«, in »Gehalt und Stoff«, in »Weltanschauung«. Indem der
Verfasser bei seiner Untersuchung von zwei im stofflichen Grundgedanken ähnlichen
Dichtungen: Shakespeares -King Lear und Balzacs -Pere Goriot ausgeht und hin
und wieder darauf zurückgreift, weiß er auch diesen Ausführungen eine besondere
Lebenswärme und Lebendigkeit zu erhalten. Freilich kann man, so überzeugend
die Mehrzahl seiner Abgrenzungsergebnisse ist, Flemming doch nicht in allen Punkten
zustimmen. So hat Karl Voßler') dem Verfasser einen gewissen Dogmatismus vor-
geworfen und besonders daran Zweifel geäußert, daß die Sprache aus sich selbst
so entgegengesetzte Dichtungsstile, wie Flemming will, mit fordernder Not-
wendigkeit hervorbringen solle.

Meine Bedenken gelten vornehmlich einer anderen Stelle der Ausführungen.
Völlig zu Recht ist der -Rolle des Erzählers in der Epik« eine eigene, eindringende
Untersuchung gewidmet worden5). In der Tat ist jeder epischen Dichtform ein -Er-
zähler- immanent, epische Dichtform als solche ist Form des Erzähltwerdens. Nicht
verlangt epische Dichtung nach einem wirklichen Erzähler, einem Menschen, der
sie vortrüge; aber jeder epische Satz hat in sich die Form, als würde er - erzählt .
Flemming nun behauptet, und das kann ich nicht zugeben, dem Drama, »dem
Sprachleib des dramatischen Kunstwerks sind Schauspieler immanent- (23). Für mich
ist in dem Wortgefüge des Dramas, wie es im gedruckten Buch, dessen äußere
Gestalt — der Papierblock — freilich unwesentlich ist, vorliegt, das Kunstwerk
-Drama- fertig. Mit seiner Aufführung, seiner Darstellung durch Schauspieler be-
ginnt für mich eine neue, mit dem Drama als Dichtung nur äußerlich verknüpfte
Art Kunstformung. Natürlich leugne ich nicht, daß viele Dramen von vornherein
nur im Hinblick auf ihre Aufführung geschrieben werden; hier handelt es sich
jedoch um Klarstellung der dramatischen Dichtform als solcher. Und da ist dem
Drama der Schauspieler ebensowenig -immanent- wie der Erzählung ein körper-
licher Erzähler. Wenn Flemming sagt: -Ohne den Erzähler ... keine Epik ...
ebenso wie keine Dramatik ohne das Spiel des Mimen- (5), so vergißt er ganz,
daß jener Erzähler ja nie als wirkliche Persönlichkeit zu verstehen ist. Er vergleicht
hier also gänzlich Unvergleichbares, Fiktion mit Wirklichkeit, und seine Folgerung
fürs Drama beweist genau genommen gerade das Gegenteil von dem, was sie be-
weisen soll. Denn ein dem fiktiven Erzähler der Epik gleichzuordnender fiktiver
Darsteller, Akteur, fehlt gerade im Drama! Die Dramatik weist in ihrer imma-
nenten Struktur gerade keinen irgendwie gearteten Mittler auf, wie es der-Erzähler
für die Epik ist. Vielmehr kennzeichnet es eben die Dramatik, die Menschen der
Dichtung sich unmittelbar äußern und darleben zu lassen. Wenn im Drama der
■ Mensch spricht und handelt, so hören wir eben ihn sprechen, sehen ihn handeln,
während wir im Epos jeglicher Art seine Worte -erzählt-, seine Handlungen be-
schrieben und berichtet erhalten.

Auch wie — worauf ich aus Raumrücksichten nicht mehr näher eingehen kann —
Flemming im Schauspiel das Publikum schon aus dem den Gesprächsgegnern im

') »Dreierlei Begriffe vom Drama« in: Logos Bd. 15 (1926), H. 2.
-) Friedemann, a. a. O.
 
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