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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 22.1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.14168#0130
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BESPRECHUNGEN.

117

Im Mittelpunkt der Erörterung steht der Begriff des »künstlerischen Tatbestan-
des<\ Unter diesem versteht Britsch den Niederschlag der geistigen Leistung des
Künstlers im Kunstwerk, abgesehen von allem in dasselbe einströmenden allge-
meinen begrifflichen Gehalt. Er ist das Ergebnis einer denkenden Verarbeitung der
Gesichtssinneserlebnisse zu anschaulicher Erkenntnis, die auf den Beschauer durch er-
kennende > Nachbeurteilung- übertragbar ist. Aufgabe einer darauf gerichteten reinen
Kunstwissenschaft sei es, die Denkbedingungen aufzudecken, unter denen sie zustande
kommt. Aufgabe der Kunstgeschichte wäre dann die Geschichte solcher Erkenntnis.

Grundvoraussetzung der künstlerischen Leistung, die sich für Britsch von allen
ästhetischen Überlegungen ablösen läßt, ist die Einheitlichkeit des Denkens über
Gesichtssinneserlebnisse, ihr Maßstab aber das Weiterdenken über den veränder-
lichen anschaulichen Vorstellungsbesitz. So beruht die Entwicklung der Kunst nach
ihm auf einer fortschreitenden künstlerischen Theoriebildung über Gesichtssinnes-
erlebnisse, die auf die Naturanschauung angewandt wird. Wenn damit nicht etwa
gemeint ist — der Herausgeber scheint es allerdings so zu verstehen —, daß die
Vorstellungsbildung sich unabhängig von der Naturanschauung vollziehe, vielmehr
in fortgesetzter Auseinandersetzung mit ihr, so wird man das ohne weiteres aner-
kennen dürfen. Als Geschichte des Sehens ist die Kunstgeschichte aber nicht erst
von Britsch aufgefaßt worden. Kunst-Verstehen ist für ihn die Fähigkeit, die eignen
Gesichtssinneserlebnisse ebenso verarbeiten zu können wie im gesehenen Kunst-
werk. Streng genommen, hieße das, sie auch ebenso gestalten (beziehungsweise
veranschaulichen) können. Dann würden freilich die meisten es eben nicht verstehen
und selbst die Künstler nur die Kunst ihrer Entwicklungsstufe. Oder bedeutet es
nur, die im Kunstwerk gebotene Anschauung in ein eigenes Gesichtssinneserlebnis
derselben Sehdinge zurückübersetzen können? Dem würde man wieder gern zustimmen
dürfen. Doch verneint Britsch in seinen Aufzeichnungen ausdrücklich, daß die Wieder-
ermöglichung von solchen Erlebnissen Zweck desselben sei. Allein der tiefere Sinn
des Leitgedankens wird erst völlig verständlich aus den Grundbegriffen, mit denen
Britsch das künstlerische Denken und seine folgerichtige Entfaltung auffaßt und zu
erklären sucht. Es sind ihrer nicht mehr als drei: die grenzhafte (oder grenzlose)
Abhebung, die Richtungs- und die Ausdehnungsveränderlichkeit des
Farbflecks. Als solchen sieht er nämlich jedes Kunstwerk an, mag es Bild oder
Ornament, Bildwerk oder Bauwerk sein. Nun, — man wird zunächst feststellen
müssen, daß er damit jedenfalls von der flächenhaften Anschauungsweise des Malers
(beziehungsweise Zeichners) ausgeht. Wie weit ihre Ausdehnung auf die übrigen
Künste berechtigt ist, bleibe zunächst eine offene Frage.

Wenn Britsch die Wurzeln aller künstlerischen Gestaltung, d. h. der Verarbei-
tung der Gesichtssinneserlebnisse, schon auf den frühesten Stufen der Kinderzeich-
nuug erfassen zu können glaubt, so kann ich ihm nach langjähriger eingehender
Beschäftigung mit ihr durchaus Recht geben. Nicht nur der geborene Künstler muß
als Kind dieselbe allgemeine Vorstellungsbildung, wie sie sich in diesen ersten
Versuchen verwirklicht, durchmachen, sondern auch die Menschheit ist, ungeachtet
aller scheinbaren großen Unterschiede zwischen den kindlichen Kunstäußerungeu
und denen der Natur- und ältesten Kulturvölker, den gleichen Weg gegangen.
Unsere Aufgabe ist es nur, die Tatsachen richtig zu deuten. Die grundsätzliche
erste Leistung vollbringt das Kind, sobald es sein vorher bedeutungsloses (rein
motorisches) Gekritzel zur Veranschaulichung einer Gegenstandsvorslellung als »ge-
meinten Farbfleck C- A)- auf das Papier als nicht gemeinte Umgebung- (U) hin-
setzt. Durch zusammenhängende Begrenzung, z. B. eines Kopfes mittels des Um-
risses, wird die Abhebung verdeutlicht. Damit ist nach Britsch die erste Denk-
 
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