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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 22.1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.14168#0229
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216

BESPRECHUNGEN.

des Gebäude, in der Architektur. Gerade die größten Kunstwerke entstanden nicht
aus der Freiheit des Künstlers. Der »Gegenstand« war sowohl für die Baumeister
der gotischen Dome, wie auch für Grünewald im Isenheimer Altar vorgeschrieben.
Hier ist der Künstler »sachlich gebunden«, vom »Wollen« des Bestellers abhängig.
Aber zugleich ist der Gegenstand das Gefäß, in welches der Künstler den geistigen
Gehalt, seine persönliche Freiheit gießt. Dabei kann der Wille des Bestellers hem-
mend oder fördernd für die künstlerische Leistung sein.

Was die »Erscheinung« betrifft, so verhält sich die »Form« zur »Gestalt« als
das dekorative und emotionale Moment zum imitativen. Das Kunstwerk ist zunächst
3. »Gestalt« — Zeichen für einen Gegenstand. Wie Erreger des »Gegenstandes«
der Auftrag des Bestellers, so ist Erreger der »Gestalt« die Notwendigkeit der
Verständlichmachung des Darzustellenden. In ihr ist zu unterscheiden:

A. die geometrische Gestalt (im extremen Fall: kubistische),

B. die darstellende Gestalt, das eigentliche Verständigungsmittel, das entweder
der Naturnachahmung oder einer konventionell gewordenen Kunst entnommen ist.

a) Naturferne Gestalt: Symbol,

b) naturnahe Gestalt, unterschieden nach aa) Körperdarstellung, bb) »innere
Gestalt« (Darstellung der Gemütsbewegungen in Malerei und Plastik, nicht zu ver-
wechseln mit dem - Inhalt«, dem Ausdruck, den der Künstler als Ausdruck seiner
eigenen Persönlichkeit in das Kunstwerk hineinlegt), cc) Raunidarstellung (Perspek-
tive usw. — nur als Abbildung des Naturraumes, abgesehen von der ästhetischen
Wirkung des Raumes), dd) Beleuchtung, ee) Farbe (auch sie nur als Wiedergabe
der Natur). Endlich

c) überlieferte Gestalt, der Stil, in dem sich der Künstler als Kind seiner Zeit
ausdrücken muß.

Mit der Gestalt, dem bekannten Zeichen, ringt 4. die »Form«, die künstle-
rische Notwendigkeit. Erreger der Form ist nicht (wie derjenige der Gestalt) die
Natur, sondern der Ausdrucksdrang des Künstlers; so steht die Form im Gegensatz
zur Gestalt. Schema der Form:

A. Massenwirkung des Kunstwerkes: dekorative Verteilung der Punkte, Linien,
Flächen, Blöcke,

B. Raumwirkung: die von Hildebrandt und Wölfflin als einziger Kunstwert an-
gesehen wird, nicht als Wiedergabe des Naturraumes, sondern als expressives
Moment,

C. Ton: Licht und Schatten (verschiedene Darstellungsweise: Körperlicht, all-
mählicher Übergang — Freilicht, impressionistische Fleckenwirkung), im Gegensatz
zur natürlichen Beleuchtung,

D. Farbe, als dekoratives Moment, als Träger einer Stimmung, mit der natür-
lichen Farbe konkurrierend.

Die »Form« ist das erste Moment, in welchem der Künstler frei ist von dem
»Kunstwollen« der Machthaber, die ihm den »Gegenstand« vorschreiben, in welchen
er, als in das tote Gefäß, den künstlerisch-lebendigen Gehalt gießt. Das zweite
Moment der Freiheit ist 5. der »Inhalt«, die persönliche Stimmung im Kunstwerk,
ein Individuelles, das bei der Betrachtung nach Stilen notwendig zu kurz kommen
muß. Auch der Inhalt ist nicht nur gefühlsmäßig zu ahnen, sondern wissenschaftlich
zu erforschen, durch planmäßigen Vergleich, und zwar:

A. nach der Einzelpersönlichkeit,

B. nach der Massenpersönlichkeit; hier kommt besonders der Gegensatz zwi-
schen Süd und Nord zur Geltung.

So erscheint das Kunstwerk als ein Integral von Werten, die wissenschaftlich
 
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