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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 22.1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.14168#0231
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218

BESPRECHUNGEN.

gungen der Entwicklung durch Verkehr, Einflüsse, Berührungen an Grenzen, end-
lich der zeitliche Ablauf, der an sich schon die Kunstentwicklung von dem Kind-
heits- zum Mannes- und Greisenalter führt.

Eben dieselbe Einteilung wie die Sach- besitzt nach Strzygowski auch die
Beschauerforschung. Auch sie stellt in einer Kunde die Aussagen der Beschauer
zusammen (Feststellung der Aussage, des Beschauernamens, Sichtung nach Be-
schauern, nach Zeit und Ort), stellt in einer Wesenswissenschaft die Beschauertypen,
entsprechend dem Schema S. 215 fest (der Beurteiler 1. nach dem Handwerk ist der
»Kenner«, 2. nach dem Gegenstand: der Repräsentant des Machtwillens, der Kirche,
des Hofes und der Wissenschaft, die das Sujet beurteilen, 3. nach der Gestalt, z. B.
der Humanist, der allenthalben die schöne, antike Gestalt sucht, 4. nach der Form:
der Kunstwissenschaftler nach Art Hildebrandts und Wölfflins, 5. nach dem Inhalt: die
geistreiche Persönlichkeit, welche die künstlerische Intention bewertet), und versucht
endlich die Beschauertypen durch die Kräfte der äußeren und inneren Natur, durch
die Willens- und Bewegungskräfte entwicklungswissenschaftlich zu erklären. Zu-
gleich obliegt der Beschauerforschung die Heranbildung des Beschauers im allge-
meinen, durch Vorführung der Analyse von Kunstwerken, und .des wissenschaft-
lichen Beschauers im besonderen, durch Anleitung zur kunstwissenschaftlichen Arbeit
in der beschriebenen Methode.

Die kunstwissenschaftliche Methodik, wie sie Strzygowski lehrt, ist natürlich
nichts schlechthin Abgeschlossenes, und will es wohl auch nicht sein; steht sie
doch nicht am Ende, sondern erst am Anfang einer Entwicklung. Es kommen ihr
gegenüber hauptsächlich zwei Einwände in Betracht. Das größte Problern ist der
Übergang von der »Kunde« zur »Wesenswissenschaft«. Strzygowski sagt treffend,
daß die Kunstwissenschaft eine glückliche Mittelstellung besitze; sie ist einerseits
Geisteswissenschaft durch die Art ihrer Objekte; gleichzeitig aber teilt sie mit den
Naturwissenschaften den Vorzug, daß ihre Gegenstände sinnlich anschaulich sind.
Um Kunstwissenschaft als exakte Wissenschaft zu begründen, ist es notwendig,
jegliche Subjektivität auszuschalten. Nun besteht aber ein großer Gegensatz zwi-
schen der Natur- und der Kunstwissenschaft. Die erstere geht von allen, die letztere
von ausgezeichneten Gegenständen aus. Strzygowski trägt dem Rechnung, indem
er die »Denkmäler« der Kunde zu wertvollen »Kunstwerken« der Wesenswissen-
schaft werden läßt. Für den Naturwissenschaftler ist jeder Gegenstand seines Ge-
bietes gleich interessant und wertvoll; für ihn besitzt etwa der Einzeller und der
Mensch, der farbenprächtige Schmetterling und das Warzenschwein genau die
gleiche Bedeutung, wenn er zu Erkenntnissen über die Lebensvorgänge gelangen
will. Aber für den Kunstwissenschaftler ist unbedingt Michelangelo wertvoller als
seine Schule, Dürer wertvoller als Schäuffelin, Rubens' Dame im Pelz wertvoller
als eines der unzähligen Schulenbilder des Meisters. Um zu Erkenntnissen über die
Kunst im allgemeinen, einzelne Kunstkreise oder Künstler zu gelangen, geht also
der Kunstwissenschaftler nicht von der unübersehbaren Fülle überhaupt existieren-
der Kunstwerke, sondern von den wertvollsten Kunstwerken aus, und darf Minder-
wertiges, Nachahmungen, bloß Handwerkliches vernachlässigen. Es ist genau jener
Gegensatz, den Windelband und Rickert als das »idiographische« Verfahren der
Geschichtswissenschaften gegenüber dem »nomothetischen« Verfahren der Natur-
wissenschaften bezeichnen. Ebensowenig wie es den Geschichtsforscher interessiert
zu wissen, was jeder einzelne Mensch des 15. Jahrhunderts getrieben hat — genau
so wenig braucht sich der Kunstforscher für das Werk jedes einzelnen bäurischen
Handwerkers zu interessieren; er vermag das Wesen der Zeit zu erkennen, indem
er lediglich die Spitzenleistungen in Betracht zieht. Da nun aber eine Naturgeschichte
 
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