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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 22.1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.14168#0242
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BESPRECHUNGEN.

229

Dienst der wissenschaftlichen Arbeit« (S. 6ö) tritt mit Entschiedenheit Neumann ein.
An Lichtwark studierte er, Spannung und Gegensatz zwischen Kunstwissenschaft und
Kunstpolitik irgendwie zu überwinden. »Im ganzen festigte sich meine Überzeugung,
daß dem Kunsthistoriker ein großes Maß von Verantwortung zufällt, ähnlich der
des Historikers, nicht nur den Studierenden, sondern auch der Nation gegenüber«
(S. 66). Gegen das Dogma, Kunst sei international, weiß Neumann einen guten
Hieb zu führen mit Hilfe der Analogie: »Wipfeldürr nennen die Forstleute kranke
Bäume, in denen der Saft des mütterlichen Erdbodens die oberen Zweige nicht
mehr erreicht und nährt.« Ob man den Hieb parieren kann mit nego parilatcm?
Ein anderes gut geformtes, diesmal psychologisch-metaphysisch begründetes Wort
über die Geschichtsschreibung: »Alle geprägten und lebendigen Geschichtswerke,
auch die objektiv sein wollenden, lassen in abgründliche Tiefen hinabsehen, wo
Wille und Erkenntnis sich durchdringen *

Tritt Neumann, der Verfasser des Rembrandtbuches, mit Entschiedenheit für
eine politisch-pädagogische Betätigung im Dienste der wissenschaftlichen Arbeit ein,
so geschieht dies nicht aus zeitbedingten Motiven. Es liegt dem das Rembrandt-
erlebnis zugrunde, das sich für Neumann zum Rembrandtproblem auswuchs. Beim
Rückblick auf seine Lebensarbeit sieht er drei durch eine Gemeinsamkeit verbundene
Probleme vor sich: das Problem Rembrandt, das Problem Burckhardt und sein
Renaissancebegriff, das Problem der deutschen mittelalterlichen Kunst (S. 72). In
Rembrandt erkennt Neumann eine »inmitten der Zeitlichkeit des 17. Jahrhunderts
und seiner Kunstmoden, wie durch unterirdische Brücken vermittelt, wichtige Mitgift
des Mittelalters«. Die wahre Begriffsbestimmung und Erkenntnis des Mittelalters
muß nach Neumann erst noch verarbeitet werden (S. 72 f.). Aus ihr ist dann auch
die beste Kenntnis vom vorwaltenden Wesen deutscher Kunst zu schöpfen (S. 73).

Als Ausländer erscheint Kingsley Porter. Er spricht über die Wechselbeziehung
zwischen dem Ästhetischen und dem Sexuellen, über die Schönheit, über den Wert
"nd die Grenzen der einzelnen Methoden, die in der Kunstwissenschaft Anwendung
finden. Sein Deutsch ist sehr gut zu lesen. An seiner Gedankengebung fällt die
'eichte Art auf, mit der er Fragen anschneidet und erledigt.

Man könnte nicht glauben, daß das »Buch« von solchen geschrieben sei, denen
die Kunst soviel ist wie etwa nach einem ovidischen Verse dem Hirten seine Herde,
Wenn in dem Buch nicht auch erzählt würde von Reisen, von Menschen, von schönen
Tagen und glücklichen Stunden. Nicht zuletzt auch vom Verkehr mit Künstlern, von
Besuchen im Atelier und von der Kunst unserer Tage. Es wird davon erzählt, wenn
a"ch erst in zweiter und dritter Linie. Gurlitt sagt: »Menschen kennen zu lernen,
mich ihnen gleich zu fühlen, mich einzuleben in ihr Dasein, in ihre Lebensbe-
dingungen, war mir stets die größte Freude, der Weg zur besten Wissenschaft«
(S. 27). Neumann entwirft ein Bild von Lichtwark, das, glaube ich, zu den wahrsten
und besten zählt. Schlosser schildert »die Wiener«: Wickhoff, von Sickel, Riegl und
andere so, daß man wie bei einer persönlichen Erzählung ihm zuhört. Schade, daß
Schmarsow sich ganz auf sich selbst beschränkt und von Lotze nur erzählt, er habe
ihm ans Herz gelegt, auch die Ästhetik nicht zu vernachlässigen. Schlosser ist es
auch, der am stärksten die Notwendigkeit der Fühlung mit der lebenden Kunst be-
tont: ». . . nur im Erleben der lebenden Kunst selbst, auch dort, wo sie uns Ältere
widerwärtig berührt, vermögen wir das Erlebnis der vergangenen zu gewinnen; und
n,ein Entschluß, ,es zu wagen' und meinen Lebensnachen noch reichlich spät in
ein alt-neues Fahrwasser zu lenken, faßte in einem gastlichen Schweizer Haus Wur-
zeln, das eine der prächtigsten Sammlungen moderner Kunst umschließt«. Neumann
bekennt, daß seine künstlerische Erziehung nicht in Fachseminarien geschah, son-
 
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