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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 22.1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.14168#0244
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BESPRECHUNGEN.

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für helle oder dunkle Farben, für zwei- oder dreidimensionale Raumbildung — alles
wird durch verschiedene soziale Bedingungen bestimmt. Das bekannte Schema von
Cohn-Wiener, wonach in der Architektur stets zwei Stile aufeinander folgen, nämlich
der konstruktive auf den destruktiven, erhält bei unserem Autor eine bestimmte
soziologische Begründung. Der konstruktive Stil ist Ausdruck der Lebenskraft einer
Klasse, die einen aktiven Aufbau schafft und sich im Aufstieg befindet. Der destruk-
tive Stil ist das Merkmal einer Klasse, die ein passives genießendes Schlaraffen-
leben führt und sich im Abstieg befindet. Der lineare und malerische Stil in der
Malerei sind denselben Oesetzen unterworfen. Der symbolisch-idealistische und der
realistische Stil — wie Verworn unterschieden hatte — entsprechen verschiedenen
sozialen Schichtungen: der erste den feudalen Wirtschaftsformen, der zweite der
kapitalistischen Gesellschaftsordnung.

Die Behauptung Taines, daß das Kunstempfinden einer Zeit abwechselnd in
Skulptur, Architektur, Theater, Musik zum Ausdruck gelangt und daß innerhalb einer
Periode je eine dieser Künste die Herrschaft gewinnt, wird von unserem Autor
wesentlich verändert. Zunächst glaubt er in Übereinstimmung mit Hegel, daß die
Architektur eher als alle anderen Künste zur Herrschaft kam. Die Architektur (al>
Tempelbau) entstand nach Professor Fritzsche aus den Bedürfnissen einer Ackei-
bauwirtschaft; in anderen Gesellschaftsverfassungen bestand sie zwar weiter, trat
aber in den Hintergrund. Der Feudalismus neigt dazu, der Skulptur die herrschende
Stellung einzuräumen. Inder bürgerlichen Gesellschaft gedeiht vor allem die Malerei;
denn besser als in den übrigen Raumkünsten vermag in ihr der Künstler seine
individuelle Gesinnung zum Ausdruck zu bringen, und deutlicher und mannigfaltiger
spiegelt sich in ihr die äußere Welt ab. Sie gestattet eine der Wirklichkeit nahe-
kommende Wiedergabe der Gegenstände, die für den menschlichen Gebrauch eine
Rolle spielen; und das ist wichtig; denn bekanntlich erlangen solche Dinge in der
bürgerlichen Gesellschaft einen besonderen Wert. Auch die Probleme der Bewegung
und der Perspektive, des Lichts, der Farbe in der Kunst werden durch Fritzsche
soziologisch behandelt. Die Bewegung in der Kunst und das räumliche Weltbild
kommen in der Malerei zum Ausdruck, wenn das gesellschaftliche Leben von Be-
wegung erfüllt ist und wenn die Betrachtung der äußeren Welt den Horizont der
Menschen erweitert. Lösen Handel und Austausch die Naturalwirtschaft ab, so ver-
lieren der frontale Stil in der Plastik und die ruhigen Formen in der Malerei und
Architektur ihren ästhetischen Wert. Wenn große Wanderungen die Menschen durch
die weite Welt treiben, so ergreift den Künstler die Vorliebe zur Tiefe, zur Per-
spektive; die zweidimensionale Leinwand bekommt scheinbar eine dritte Dimension
Das Problem des Lichts zieht die Aufmerksamkeit des Künstlers auf sich, sobald
die Technik der industriellen Epoche das Licht in die Straßen und in die Woh-
nungen bringt. Und das Helldunkel beginnt in der Malerei, wenn die Gegensätze,
die Kontraste des gesellschaftlichen Lebens in die Erscheinung treten.

Ein besonders interessantes Kapitel des Buches von Professor Fritzsche bilde;
die >Soziologie der Farben«. Verschiedene Arten der Malerei — die Fresken, die
Staffeleibilder — fordern verschiedene Farben; auch hierfür sind soziale Ursacher.
bestimmend. Für die Kirche und den Palast sind Fresken, jedenfalls große Bildet
notwendig; für eine bürgerliche Wohnung genügt kleines Format. Der Bestimmung
der Bilder entsprechen die Farben. Ribeira malt für die Kirchen Bilder in dunklen
Farben, Vclasquez schmückt die königlichen Gemächer mit hellfarbigen Gemälden.
Die leuchtenden Farben bei Rubens entstammen der Lebensfreude der filmischen
Aristokratie des 17. Jahrhunderts. Der dunkle Ton der Bauernbilder der Brüder
Lenain im 17. Jahrhundert und der Bilder von Antigna, Jeanron, Tassaret im 19. Jahr-
 
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