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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 22.1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.14168#0248
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BESPRECHUNGEN.

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eine Verschiedenheit gegenüber Plotin, die das Intervall eben dieser anderthalb Jahr-
tausende mit einem Schlage verdeutlicht. Ein großer Teil der Übereinstimmungen auf
diesem Gebiete beruht überhaupt auf der Grundtatsache monistischer Haltung beider
Denker. Wenn auch für das Zweiseelentum Goethes wieder Plotins Spiegelgleichnis
herangezogen wird, das die Wendung nach oben und unten in sich schließt, so
springt hier die funktionelle Unvergleichbarkeit noch stärker ins Auge als auf ästhe-
tischem Gebiete. Was bei Plotin im Grunde kosmologische Spekulation bleibt, ist
bei Goethe tiefstes tragisches Erlebnis des modernen, differenzierten Menschen.
Hier bleibt eigentlich nur noch ein leeres Formales zum Vergleich übrig, der darum
aufschlußlos bleibt. Daß sich beide Geister dagegen im Begreifen der Freiheit treffen,
wird ohne weiteres zuzugeben sein. Plotins Vergleich des Menschen mit dem Schau-
spieler, der eine übertragene Rolle nach Kräften auszugestalten hat, trifft im wesent-
lichen Goethes Anschauung. Es zeigt sich hier wieder, daß sich Abwandlung auf
ethischem Gebiete in den Spitzen seiner Vertreter — wenigstens im abendländischen
Kulturkreis — auch im Laufe von Jahrtausenden in beschränkterem Rahmen hält
als an irgend einer anderen Stelle menschlichen Geisteslebens. Für Goethes Dämo-
nologie wiederum braucht kaum Plotin herangezogen zu werden, und wenn zur Er-
klärung Luzifers wieder das Spiegeigleichnis herhalten muß, so spricht die thema-
tische Befangenheit doch gar zu deutlich. Was den Seelenwanderungs- und Rück-
erinnerungsglauben betrifft, der ja ein durchgehendes Motiv der Generationen von
Klopstock bis Hölderlin und Brentano darstellt, so hat ihn freilich auch Plotin
— natürlich nicht in der bezeichnenden Anwendung auf die Verbundenheit mit der
Geliebten — aber wie viele seiner Vorgänger und Nachfolger haben sie ebenfalls,
diese uralte Tradition menschlicher Sehnsucht?

Unter Benutzung reichen Materials, von dem die Anmerkungen zeugen, hat
Koch zwei Zeitalter in aussichtsreiche Parallele gestellt, deren Beziehung auch
Goethe fühlte. Unbestritten bleiben sollen vielfache, wenn auch sehr verästelte und
sonst modifizierte Verbindungslinien, doch sind, um das Bild in seiner wirklichen
Tiefe erscheinen zu lassen, die das Wesen verändernden Abweichungen, die der
Verfasser doch vielfach zu nebenher oder gar nicht behandelt, scharf zu beleuchten:
Der große Dichter, der ästhetisch begründete Mensch steht hier gegen den großen
Systematiker mit immer noch letzten ethischen Zielen. So protestiert Goethe, wie
Koch selbst hervorhebt, in einem Zusatz zu seinem Übersetzungsbruchstück gegen
die zuweit gehende Vereinheitlichung und Spiritualisierung. Wenn die kosmogonische
Reihe schaffender Spiegel bei Plotin auch lose Berührungen mit dem von Goethe
aufgesuchten Typus oder der Urpflanze hat, so unterschätzt der Verfasser doch vor
allem die Bedeutung der verschiedenen Wegrichtung. Goethe geht eo ipso von unten,
vom einzelnen aus, um zum Typus zu gelangen, mag er diesen auch schon irgend-
wie als immanent begreifen; Plotin kommt von oben, vom schaffenden Prinzip her,
das am Anfang seines Denkens und seiner Intuition steht, und konstruiert von
hier aus die Welt. Daß Goethes Naturanschauung im tiefsten Grunde nicht kos-
mogonisch ist, mag man beispielhaft daraus erkennen, daß er den Plan eines
kosmogonischen Epos an Schelling abtritt. Daß man im übrigen bei Plotin kaum
von einem dynamischen Pantheismus wird sprechen können, wie Hasse und andere
tun, scheint dem Verfasser selbst einzuleuchten. Auf ethischem Gebiete bedeutet
es ebenfalls eine nicht größer zu denkende Kluft, daß Goethe mit entschlossener
Bindung an die Materie die vita activa in den Mittelpunkt stellt, während Plotin
diese geradezu als unheilvoll ansieht und in einsamer Kontemplation den Heilsweg
sucht. Die schaffende Tätigkeit, die er freilich, wie Koch hervorhebt, in seinem
System nicht missen kann, erhält eine ganz andere Bedeutung und Wertung.
 
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