Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 22.1928

DOI article:
Besprechungen
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14168#0356
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
BESPRECHUNGEN.

343

setzt so charakterologisches Verstehen voraus — nicht für ihre Normationen, wohl
aber für deren konkrete Anwendungen. Läuft nun aber nicht die Rechtsordnung
Gefahr, vom charakterologischen Verstehen zersetzt zu werden? Ist nicht Verstehen
an sich schon ein Verzeihen? Dieser Einwand gilt gewiß gegenüber jeder Rache-
und Vergeltungstheorie der Strafe. Er gilt nicht gegenüber der Zweckstrafe. Damit
kann die Charakterologie dem Ethiker eine wichtige Gabe bescheren: nämlich den
Sinn für das Menschliche, für die breite Menschlichkeit.

Hans Prinzhorn liefert einen recht anspruchsvollen und kriegerischen Bei-
trag : »Die Begründung einer reinen Charakterologie durch Ludwig
Klages«. Er sieht »bei Klages und bislang nur bei ihm« die tragfähigen Grund-
begriffe und die Methoden charakterologischer Betrachtungsweise gefestigt« und
behauptet, daß »man« sich aus unsachlichen Motiven »an ihm vorbeidrücke«. »Reine
Charakterologie« ist nach ihm die »Aufdeckung der wahren Motive« oder »des
Eigentlichen« in einer »tieferen Seinsschicht«, unter Aufgeben aller »äußeren Wert-
beziehungen«; die Aufdeckung der »Seelenmaskerade«, die »Entlarvung«. Zu Gunsten
dieses unscharfen, verschwommenen und in der Ausführung recht leeren Begriffes
lehnt er andere Betrachtungsweisen, biologische, soziologische, weltanschaulich oder
normativ fundierte — als akzidentell ab. Er gibt eine Skizze der Klagesschen Grund-
begriffe. Solange Prinzhorn sich nicht von dem überwertigen Gedanken frei macht,
daß es nur Böswilligkeit sei, welche der uneingeschränkten Anerkennung seines
Meisters entgegenstehe, und solange er in seiner eigenen Arbeit an die Stelle wissen-
schaftlicher Strenge und Stringenz einen künstlerischen eleganten Propagandaton
stellt, mangelt ihm wohl selber der genügende Abstand zu den Fundierungsmög-
Iichkeiten charakterologischer Problematik.

Gundel schreibt über »Individualschicksal, Menschentypen und Be-
rufe in der antiken Astrologie«. Er entwickelt das Eindringen und die Wand-
lung der orientalischen Magie und Symbolik auf astrologischem Gebiet im Helle-
nismus.

Ziehen, »Charakterologische Studien an Verbrechern«, liefert einen
kasuistischen Beitrag mit psychologischen Bemerkungen über hysterische Selbst-
überschätzung, Phantastik und Lüge, als Vorarbeit zu einer »kriminellen Charaktero-
logie«. Mit triftigen Gründen widerlegt er frühere Annahmen eines »Vorstellungs-
triebes« als Grundlage hysterischer und anderer Einbildungen.

Erismann, »Der Massenmensch«, gibt eine klare Zusammenfassung
dessen, was die bisherige Massenpsychologie an Ergebnissen gezeitigt hat. Er lehnt
die Annahme einer besonderen Massenpsyche ab und verfolgt die Modifikationen
der einzelnen Psyche innerhalb eines Massengeschehens. Obwohl die Arbeit nichts
konkret Neues enthält, ist sie durch ihre Präzision und durch die Prägnanz der
Darstellung ausgezeichnet.

Kronfeld versucht eine »Phänomenologische Psychologie und Psycho-
pathologie des Wollens und der Triebe«. Er entwickelt von der Erlebens-
seile her die Kriterien des Wollens als eigener phänomenologischer Grundklasse;
ein gleiches versucht er auch für die Triebhaftigkeit. Sodann behandelt er die
Formen abnormer Triebgestaltung, und zwar nach Intensität, Qualität und Materie
ihrer Phänomenalität. Endlich behandelt er die Formen abnormer Willensgestaltung,
insbesondere diejenigen der Willensschwäche, der Willensohnmacht. Depersonali-
sation, der Willensbeeinflussung und des Zwanges.

Walter unterzieht »Die Elektrodiagnose seelischer Eigenschaften
(Diagnoskopie) nach Bissky« einer kritischen Besprechung. Er berichtet von
zwei Fällen höchstwertiger musikalischer Begabung, die bei einer Prüfung im Bissky-
 
Annotationen