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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 22.1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.14168#0360
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BESPRECHUNGEN.

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ristik der Tonarten« erscheinen ließ. Über 200 Jahre lang bemüht man sich nun
bereits um diese Materie, denn die erste derartige Publikation stammt bereits
vom Jahre 1713 (Johann Mattheson, »Das Neu-Eröffnete Orchestre«, Hamburg
1713). Und dennoch ist eine restlose Klärung der Frage bislang nicht erzielt
worden. Auch das vorliegende Buch, so wertvoll es ist und so bedeutsame, neue
Ausblicke es gewährt, erschöpft das Problem keineswegs und läßt manche Frage
offen.

Es gibt zahlreiche Musiker und Musikliebhaber, die auf die Lehre von einer
besonderen Charakteristik der einzelnen Tonarten mit einer gewissen verächtlichen
Oeringschätzung herabblicken und kurzerhand mit Erklärungen wie »Einbildung«
oder »Konvention« u.dgl. bei der Hand sind. Diese weitverbreiteten Spötter sollten
doch nachdenklich werden, wenn sie hören, was für Größen der Tonkunst sich für
den Sondercharakter der einzelnen Tonarten eingesetzt haben, so u. a. Berlioz, Hugo
Wolf, Rob. Franz, Rob. Schumann und ganz besonders Beethoven. Von letzterem be-
richtet ja sein zeitgenössischer Biograph Schindler, er wäre »erbittert gewesen, wenn
er gehört, diese oder jene Nummer aus einer Mozartschen Oper sei in einer anderen
Tonart vorgetragen worden, als sie geschrieben steht,« er habe Mozarts »Zauber-
flöte« besonders hoch geschätzt wegen »der darin angewandten Psyche verschiede-
ner Tonarten«, und auch hinsichtlich der Tonarten seiner eigenen Kompositionen
sei er höchst empfindlich gewesen. Niemand hätte es wagen dürfen, in seiner
Gegenwart eine seiner Tonschöpfungen zu transponieren; wer es doch getan hätte,
»an dem hätte er sich vergriffen«. Auch habe er dem Werk Chr. Friedr. Daniel
Schubarts »Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst« und dem darin über Tonarten-
Charakter Gesagten »lauten Beifall gezollt, wenn er auch nicht zu allem seine Zu-
stimmung geben wollte«. Und von nicht minderer Bestimmtheit sind zwei Äuße-
rungen von Rob. Franz in einem Brief vom 19. Febr. 1S63: »Der Ausdruck meiner
Lieder hängt wesentlich mit den gewählten Tonarten zusammen« und »Bin ich
einmal tot, dann kann ich dagegen (gegen Ausgaben in transponierter Lage) nichts
tun; solange ich aber lebe, werde ich mich mit Händen und Füßen dagegen sträuben«.

Derartige Auslassungen denkbar kompetentester Persönlichkeiten sollten doch
das so oft beliebte geringschätzige Lächeln über die Behauptung von der Ver-
schiedenheit der Tonarten-Charaktere als unberechtigt erkennen lassen und zum
mindesten die Einsicht erwecken, daß das Problem einer sehr gründlichen und ge-
wissenhaften Untersuchung wert ist. Der nur oberflächlichen Aufmerksamkeit oder
Gleichgültigkeit wird und kann sich natürlich ein etwaiger Charakter der Tonarten
niemals erschließen; es bedarf zur Sachkunde hiereiner langen und liebevollen Ver-
tiefung in den Gegenstand, und mit einem allgemeinen guten musikalischen Wissen
und musikalischen Interesse allein ist es nicht getan, denn allsichtbar an der Ober-
fläche liegen diese Erkenntnisse nicht. Die sympathische Schrift Stephanis wird
daher Jedem willkommen sein, der objektiv dem schwierigen Thema beikommen will.

Der erste Teil des Buches ist dem Wesen der Tonart überhaupt gewidmet,
definiert sozusagen den Begriff Tonart, und zwar durch eine historische Studie, wie
sich die »melodischen« Tonarten im griechischen Altertum und christlichen Mittel-
alter entwickelt haben. Alsdann wird dargelegt, wie die schließlich alleinherrschend
gewordene ionische (Dur-) und äolische (Moll-)Tonart in den letzten zwei Jahr-
hunderten auf mannigfachste Weise in ihren eigenartigen und in bezug auf das
Dur- und Moll-Geschlecht jedenfalls unverkennbaren Stimmungsgehalten psycho-
logisch und ästhetisch den verschiedensten Deutungsversuchen unterworfen werden.
Immer wieder treten gewichtigste Zeugnisse auf, die da behaupten, nicht nur zwi-
schen den beiden so grundverschiedenen Tonartengeschlechtern, sondern auch inner-
 
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