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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 22.1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.14168#0491
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478

BESPRECHUNGEN.

Eduard Castle, In Goethes Geist. Vorträge und Aufsätze. Österreichischer
Bundesverlag für Unterricht, Wissenschaft und Kunst. Wien und Leipzig 1926.
XVI und 415 S.

Der bekannte österreichische Literarhistoriker Eduard Castle, sehr verdient durch
vortreffliche kritische Ausgaben Lenaus, Raimunds, Anzengrubers u. a., ferner als
der Herausgeber und eigentliche Spiritus rector der »Deutschösterreichischen Lite-
raturgeschichte«, auch als Goetheforscher seit langem geschätzt, hat hier eine
dankenswerte Sammlung seiner auf Goethe bezüglichen Arbeiten gegeben. Das
schöne Buch ist fast zur Gänze eine rein philologische Angelegenheit — auch die
hier geübte Methode der Interpretation dichterischer Denkmäler ist in erster Linie
literarhistorisch —, daher kann eine einläßlichere Würdigung nicht Aufgabe einer
Besprechung in dieser Zeitschrift sein. Nur über die Gesamteinstellung seien einige
Worte gesagt. Wo immer man das Buch aufschlägt, welchen Aufsatz man immer
liest, stets hat man den Eindruck einer auf solidester Tatsachenkenntnis beruhenden
Forschung, einer souveränen Beherrschung des Materials, einer sachlichen Arbeit,
die nicht durch große Worte, kühne Konstruktionen und blendende Aspekte ver-
blüfft. Niemand wird Berechtigung, Wert und Verdienste der heute führenden
geisteswissenschaftlichen und philosophischen Methode in der Literaturgeschichte
leugnen — von Konjunkturpolitikern und Modeanbetern ist dabei allerdings abzu-
sehen —, aber darüber dürfen die exakten philosophischen und historischen Grund-
lagen dieser Disziplin nicht vergessen werden. Und gerade weil sich in unseren
Tagen eine Verabsolutierung und Vereinseitigung der geisteswissenschaftlichen Me-
thode andeutet, ist es zu begrüßen, daß von Zeit zu Zeit immer wieder Bücher er-
scheinen, in denen sich das empirisch-philologische Gewissen der Literarhistorie
manifestiert. — So ist dieses Werk Castles eine wertvolle Bereicherung der Literatur
über Goethe; mit ihm wird sich jeder auseinandersetzen müssen, der über Goethe
und die deutsche Klassik arbeitet. Von den 19 Aufsätzen dieses Buches kommt für
den Interessenkreis dieser Zeitschrift vor allem der Aufsatz »Winckelmanns Kunst-
theorie in Goethes Fortbildung« in Betracht, dem daher auch einige Sätze näherer
Besprechung gewidmet seien. In instruktiver Weise wird hier dem Einfluß Winckel-
manns, der im allgemeinen sehr bekannt und anerkannt ist, des näheren nachge-
gangen. Goethe hat Winckelmanns Schriften schon früh kennengelernt, stärkere
Einwirkung aber erfährt er von ihnen erst zur Zeit des italienischen Aufenthalts, als
ihm nötiges Anschauungsmaterial zur Verfügung stand. Voraussetzung war ferner
die innere Bereitschaft für Winckelmann und seine Auffassung der Antike. In Leipzig
besaß sie Goethe noch nicht, aber in den zehn Weimarer Jahren war er zu jener
Ruhe und Stille gereift — Zeugnis dafür ist das harmonische Seelendrama »Iphi-
genie« —, die ihn für Winckelmanns apollinische Antike empfänglich macht. Noch
von anderer Seite her wird Goethe in Weimar für die reine Anschauung der Antike
reif gemacht: durch Einflüsse der Gedankenwelten Spinozas und Shaftesburys. Castle
nimmt hier Gelegenheit, die Dreistufentheorie Goethes vom künstlerischen Schaffen
(»Einfache Nachahmung der Natur, Manier, StiU) in einen interessanten historischen
Rahmen hineinzustellen. — Winckelmanns Schriften, die Goethe in Rom bei seinen
archäologischen Studien treue Führer waren, bewirken in seinem kunstgeschicht-
lichen Denken manche Klärung. Die früher noch ein wenig rationalistisch ange-
hauchte Kunstspekulation Goethes weicht einer empirisch-genetischen Einstellung.
Winckelmanns Lehre von den vier kunstgeschichtlichen Entwicklungsperioden wird
für Goethe fruchtbar; er bekommt Sinn für Stilepochen, National- und Regionalstil.
Das Wichtigste ist, daß Goethe unter Einfluß Winckelmanns im historischen Ver-
lauf der Stilentwicklung den Begriff der gesetzmäßigen Entwicklung wiederfindet,
 
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