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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 22.1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.14168#0492
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BESPRECHUNGEN.

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den ihn schon die Naturbetrachtung gelehrt hatte, ohne daß Goethe ihn bisher auf
die Kunstentwicklung anzuwenden wagte. Winckelmann lehrt ihn, daß die Werke
der Kunst nach der Weise und den Gesetzen ewiger Naturwerke zu betrachten sind.
Der Parallelismus von Kunst und Natur — vorher schon von Shaftesbury geahnt —
wird von Winckelmann deutlich herausgestellt. Goethes Organismus-Ästhetik ist
hier aber noch konsequenter als Winckelmann, der von gewissen aufklärerischen
Leitbegriffen, z. B. der Auffassung der künstlerischen Komposition als einem eklek-
tischen, verschönernden Zusammensetzen nicht völlig loskommt. Goethes Auffas-
sung von der künstlerischen Komposition nähert sich der modernen Gestaltästhetik.
Für Goethe ist der Künstler ein Schöpfer im kleinen, der nach denselben Gesetzen
verfährt wie die Natur. K. Ph. Moritzens Auffassung des Kunstwerks als eines
Mikrokosmos ist hier von weiterbildendem Einfluß. Ganz im Sinn des Winckel-
mannschen Idealismus ist die Wertsinnauffassung des Stilbegriffs bei Goethe konzi-
piert: Stil ist die harmonische Synthese einseitiger extremer Verfahrensweisen.
Goethe übernimmt von Winckelmann aber nicht nur richtige Entdeckungen und halt-
bare Erkenntnisse, sondern auch manchen Fehler, manche Einseitigkeit: so die vor-
wiegende Einstellung auf die Plastik, die ungerechte Verabsolutierung von Wert-
begriffen, die nur für die griechische Kunst gelten, schließlich die unorganische Stil-
übertragung skulpturaler Gesichtspunkte auf die Malerei. Inwiefern Winckelmanns
Auffassung der antiken »stillen Größe und edlen Einfalt« auch Goethes dichterische
Ideale bestimmt, wird dann noch im einzelnen gezeigt. — Durchgehender Wesens-
zug dieses Aufsatzes wie aller übrigen ist der einer ehrlichen Sachlichkeit, die jeden,
der sich mit Castles Arbeiten auseinandersetzt, mit positiver Belehrung und wahrem
Gewinn entläßt.

Wien. Friedrich Kainz.

Fritz Breucker, Ludwig Richter und Goethe. Mit 53 Abbildungen. Leip-
zig, B. G. Teubner, 1926.

Das Büchlein beschäftigt sich mit Ludwig Richter als Leser und Illustrator
Goethes. Erst in späteren Jahren wurde Richter mit Goethe vertraut und der Dichter
war ihm nach Breuckers Urteil ein Befreier von einseitigem Pietismus. Als Illustra-
tor aber pflegte er nur den deutschen, nicht den klassischen Goethe. Diese Illu-
strationen führt nun der Verfasser in reicher Auswahl vor und analysiert sie, ver-
gleicht verschiedene Fassungen eines Themas, um in die Künstlerwerkstatt hinein-
zuleuchten. Auch vergleicht er Richters Holzschnitte zu Hermann und Dorothea mit
denen Rambergs, um den ersteren die Palme zu reichen. Hierin kann ich dein
Verfasser nicht ganz beistimmen.

Goethe gibt in Hermann und Dorothea ein kleinbürgerliches Idyll, aber er hebt
es in eine höhere Sphäre, man hört aus der Tiefe das Brausen des Stromes, den
wir Weltgeschichte nennen. Hierzu wählt er eine homerisch veredelte Sprache; seine
Darstellung hat etwas vornehm Sauberes, deutsch-hellenisches, doch mit Betonung
des ersten der beiden Worte. Der Illustrator nun ist gewiß nicht verpflichtet, dem
Texte sklavisch zu folgen, wohl aber, mit ihm zu harmonieren, die Grundstimmung
zu treffen. Dazu gehört im Maler eine wesensverwandte Natur. Ludwig Richter
dürfte wohl zunächst Claudius, Voß, Goldsmith, Uhland, J. P. Hebel wesensver-
wandt sein, nicht ebenso Goethe. Er hat als Illustrator des Epos den weltgeschicht-
lichen Uuterton nicht herausgehört und ist dem Homerisch-Vornehmen nur teilweise
gerecht geworden, und damit hat er etwas Entscheidendes verfehlt. Arthur von Ram-
berg schuf nur einige Jahre nach Richter seine Graumalereien für die photographi-
sche Wiedergabe in einem größeren Buchformat; eine Buch- und Illustrationsgat-
 
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