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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 22.1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.14168#0509
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496

BESPRECHUNGEN.

»sie gibt reine, ideale, seelische Erschütterung«. Statt zu sagen, was sie ist, etwa
Darstellung von der und der formalen Struktur, von dem und dem Gehalt, spricht
er aus, was sie gibt und geben soll. Die Norm ist natürlich der künstlerischen Ent-
wicklung und der Umstellung des Kunstwollens von vornherein entrückt; es wird
gar nicht der Versuch gemacht, die Kunst dieser Epoche aus ihren eigenen Ten-
denzen und Möglichkeiten zu beurteilen. Kann man denn zu allen Zeiten klassische
Kunst haben, wenn man sie auch für die weitaus bedeutendste hält? Wenn man
»an einem barocken Gedicht oder Bild die dichterische und künstlerische Zusammen-
hanglosigkeit, anderseits den Zusammenhang mit dem auf die praktische Nutzanwen-
dung gerichteten Zwecke konstatiert, so liegt das wohl mehr an der verkehrten
Einstellung als an dem Kunstwerk selbst. Das qualitätvolle Barockwerk hat schon
in sich künstlerischen Zusammenhang, der freilich zum Teil an den Werten des
»Paradoxen« und der »Bravour-Schilderung« (man kann diese Vorfindlichkeit auch
freundlicher ausdrücken) und übrigens noch an vielen anderen hängt, die Croce
von seinem vorgefaßten moralischen Idealismus aus freilich ablehnen muß. Es geht
aber nicht an zu sagen: »Der Barock stellt eine ästhetische, aber auch eine mensch-
liche Sünde dar, er findet sich überall und zu allen Zeiten.« Das Wort »Sünde<
gehört überhaupt nicht, auch nicht in übertragenem Sinne, in eine methodische
Untersuchung hinein. Sünde ist natürlich zu allen Zeiten möglich, barocke Kunst
aber nur vom Ausgang des 16. bis zum Ende des 17. Jahrhunderts. War dies, neben-
bei, die Zeit der konzentrierten Anhäufung der Sünde? Croce selbst findet es »nütz-
licher«, unter Barock »jene künstlerische Verunstaltung zu verstehen, die man . . .
im 17. Jahrhundert . . . beobachtet«, ihn als > historischen Begriff« zu fassen. (Es gibt
historische Phänomene, aber was ist mit »historischem Begriff« gemeint?)

Interessanter sind die weiteren Ausführungen, daß es sinnlos und überflüssig
ist, für das Entstehen des Barock psychologische Ursachen namhaft zu machen
(weil nämlich das Irren psychologisch nicht gerechtfertigt zu werden braucht); er
kann auch nicht aus dem Jesuitismus erklärt werden; die Jesuiten haben keinen
eigenen Stil hervorgebracht, wie P. Braun demonstriert hat, sie haben immer im
jeweiligen Zeitstil gebaut. Vielmehr ist der Barock »eine Kundgebung des euro-
päischen Geistes«, die nur historisch ihr erstes Aufleuchten in Italien hat. Etwas
lächerlich mutet dann wieder das Fazit an, der Barock habe nur den Sinn gehabt,
das menschliche Irren aufgewiesen und damit den Weg zu seiner Überwindung ge-
öffnet zu haben. Wir können nun und nimmer zugeben, daß der Barock »die Ver-
neinung und die Grenze dessen bedeutet, was eigentlich Kunst ist«.

Die eigenartig ablehnende Stellungnahme des Verfassers zum Barock wird erst
ganz aus dem zweiten Aufsatz über die Gegenreformation erhellt. Hier offenbart
der liberale Kulturphilosoph seine Bewertungen und Wertstufen: Renaissance und
Reformation gelten als »universelle Forderungen des menschlichen Geistes«. Die
Gegenreformation aber verteidige nicht eine Idee, sondern die Kirche, d. h. eine
Institution auf dem Gebiete des Empirischen, Vorübergehenden. Es ist eigenartig,
daß Croce den Ewigkeitsanspruch und den idealen Gehalt (wie er es nennen würde)
der Kirche verkennt und ihr nur soweit historisch bahnbrechende Bedeutung ver-
leiht, als sie durch ihre politische Klugheit an der Zusammenfassung der italie-
nischen Kräfte gearbeitet und wider ihren Willen dem Fortschritt gedient hat.

Die Darstellung ist oft ganz prächtig und stilistisch hinreißend.

Hamburg.

Klaus Berger.
 
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