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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 22.1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.14168#0532
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BESPRECHUNGEN.

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möglich, auch die Größenverhältnisse zu erkennen. Durch Vergleich der Tafeln
untereinander ist es leicht, die Verbreitung eines bestimmten Qewandtypus festzu-
stellen. Tilke führt uns von Süden nach Norden. Er beginnt mit den Neugriechen,
führt uns über Albanien, Makedonien, Bulgarien, Südslawien nach Ungarn, dann
über Polen und Rumänien in die Ukraine und nach Zentraltußland. In dem Riesen-
reich wandert er von Osten nach Westen und schließt dann die nordwestlichen
Randstaaten Estland, Livland und Finnland, zuletzt Lappland an. Bei dem großer.
Völkergemisch in allen diesen Gegenden erwartet man von vornherein eine große
Mannigfaltigkeit der Tracht, da jede Nation und jede Rasse sich nach anderen Ideen
zu kleiden pflegt. Man ist daher eher erstaunt, vielfach über große Gebiete hinweg
Übereinstimmungen in den Prinzipien der Kleidung zu finden. Bei näherer Über-
legung erklärt sich das durch die historischen Verhältnisse. So ist Neugriechenland
von den slawischen Albanesen beeinflußt, weil Griechenland im frühen Mittelalter
von diesen und anderen Slawen nach einer Pest neu besiedelt worden ist. Die jahr-
hundertelang dauernde Vorherrschaft der Türken erklärt den Einfluß der türkischen
Tracht bis nach Ungarn und Polen hinein. Freilich bekommt die Tracht bei jedem
Volk eine besondere Nuance, so in Ungarn eine große Eleganz, Vornehmheit und
Schönheit des Schnitts und der Farben, in Polen dagegen eine leicht barocke Note.
Rußland erscheint am selbständigsten mit seinen Keulenärmeln, seinem glocken-
förmigen Sarafan, seinen hohen mannigfaltig gestalteten Mützen, seinen bunten
kräftigen Farben. Die noch unverbrauchte, urwüchsige Kraft des Volkes kommt hier
wuchtig zum Ausdruck.

Nur kurze Erläuterungen und Hinweise sind den Tafeln beigegeben. Vielleicht
beabsichtigt Tilke, einen ähnlichen Ergänzungsband zu geben wie er es in seinen
Studien zu der Entwicklungsgeschichte des orientalischen Kostüms^ zu seinem
früheren Werk getan hat. Vorläufig sind diese Studien, in denen die wesentliche!;
Gewandtypen im Zusammenhang behandelt werden, auch für die osteuropäischen
Kostüme zu verwerten, zumal diese so eng mit den westasiatisch-orientalischen zu-
sammenhängen. Bei einem neuen Textband wäre eine etwas schärfere Scheidung
zwischen antiken und modernen Kostümen, die zuweilen mit Überspringung von
Jahrhunderten gleichgestellt werden, und ein etwas stärkeres hingehen auf kultur-
historische und ästhetische Probleme zu wünschen.

Gießen. Margarete Bieber.

Ernst Mössel, Die Proportion in Antike und Mittelalter. München,
C. H. Beck, 1926.

Vorliegende Arbeit ist nur ein Auszug eines groß angelegten Werkes, dessen
Inhaltsübersicht beigefügt ist, über die Proportion der gestalteten (speziell architek-
tonischen) Form von der ägyptischen Frühzeit bis zur Renaissance. Mössels Zie!
ist, in geschichtlicher Betrachtung das Gesetz der Proportion zu finden, das als
wesentliche Bedingung der Formgestaltung durch lange Zeiten wirksam gewesen
ist im Sinne eines vererbten Brauches, der bindende Kraft besaß. Er schließt
sich dabei an Gedankengänge Zeisings (1854,68) an, die ihm zu Unrecht abge-
lehnt erscheinen, und will alle bisherigen Arbeiten auf diesem Gebiete durch das
Ergebnis seiner Forschungen in einen Zusammenhang einreihen. Die planmäßige
Regelung, die die Maßverhältnisse der Bauwerke von der ägyptischen Frühzeit bis
zum Ausgang des Mittelalters erkennen lassen, beruht nach Mössel auf der »Kreis-
geometrie". Die geometrischen Gebilde, die aus den Teilungen des Kreises nach
den Zahlen 4, 5, 6, 7, 8, 10 entstehen, bestimmen Grundriß, Aufriß und die archi-
tektonischen Einzelheiten. Darunter erscheinen die Kreiszehnteilung mit ihren Ab-
 
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