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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 32.1938

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Balet, Leo: Synthetische Kunstwissenschaft
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https://doi.org/10.11588/diglit.14217#0125
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Schäften einmal entstanden sind, zurückzukehren. Die damals historisch
bedingte Vereinzelung läßt sich nicht mehr rückgängig machen. Die
synthetische Kunstwissenschaft bleibt also trotz der Erweiterung über die
eigenen Grenzen hinaus Fachwissenschaft, denn das Fremde existiert für
sie nur unter dem Aspekte des Eigenen.

Das Betätigungsfeld der Einzelwissenschaft ist vollkommen begrenzt,
wenn auch innerhalb der Begrenzung ein unbegrenztes Sich-vertiefen bis
in die kleinsten Details möglich ist. Das Betätigungsfeld der synthetischen
Kunstwissenschaft ist unbegrenzt. In der Unbegrenztheit jedoch übt der
von vornherein feststehende Erkenntniszweck eine selektive Wirkung aus,
und so werden innerhalb der Unbegrenztheit doch wieder Grenzen ge-
zogen.

in bezug auf die Methode wäre folgendes zu bemerken:
Die wissenschaftliche Methode wird stets bedingt durch die indi-
viduelle Form der Wissenschaft.

Die Einzelwissenschaft ist nicht nur eine vereinzelte, sie ist zugleich
eine vereinzelnde, sie baut sich auf aus einer Reihe von vollkommen auf-
sich-bestehenden, abgerundeten, abgeschlossenen, kleinen Teilwahrheiten,
die nebeneinander gestellt werden und eine Vielheit bilden ohne inneren
Zusammenhang.

Ihre Methode wird allgemein die „exakte" genannt, obgleich von
Exaktheit keine Rede ist. Das Exakte existiert schließlich nur in dem Ver-
zicht auf die volle Exaktheit. Die Teilwahrheit zum Beispiel: „Johann
Sebastian Bach wurde 1685 geboren" ist keine absolute, sondern nur eine
konditionelle Wahrheit. Das heißt, die Wahrheit dieser Feststellung beruht
u. a. auf den Euclidischen Axiomen, der Zeitmeßkunde, der Astronomie,
der Kosmologie usw., die jede für sich wieder andere Wahrheiten voraus-
setzen. Es gibt überhaupt keine absolute Wahrheit, und somit kann es auch
keine exakte Kenntnis geben.

Die synthetische Kunstwissenschaft betrachtet die Vielheit, zu der die
Einzelwissenschaft dank ihrer „exakten" Methode gelangte, nur als die
Vorbedingung für eine zu realisierende Einheit. Sie bleibt bei der Vielheit
nicht stehen. Sie will die Vielheit in einer relativen Ganzheit zusammen-
fassen. Mit der Zusammenfassung hört das Auf-sich-bestehen der Tat-
sachen eo ipso auf. Die Ganzheit, zu der sie kommt, ist aber nur eine
relative, das heißt, es ist eine Ganzheit und doch wieder keine Ganzheit,
weil sie den im Wesen der Erkenntnis begründeten Drang hat, sich stets
weiter zu „ergänzen", sich in stets umfangreichere Ganzheiten aufzuheben.

Es leuchtet ohne weiteres ein, daß die „exakte" Methode uns bei einer
Synthese völlig im Stich läßt. Jede Synthese weist über sich selbst hinaus,
treibt das Denken zur nächsten Synthese, die sich ebenfalls wieder als
eine nur partielle herausstellen wird. Das Kennen kommt niemals zur
 
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