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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft: Zweiter Kongreß für Ästhethik und allgemeine Kunstwissenschaft Berlin, 16.-18. Oktober 1924 — 19.1925

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Jaensch, Erich R. Jaensch: Psychologie und Ästhetik
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https://doi.org/10.11588/diglit.3819#0034

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PSYCHOLOGIE UND ÄSTHETIK. 27

Man begegnet heute allenthalben dem Versuch, die hellen und
heiteren Regionen des ästhetischen Bewußtseins wieder mit der Lebens-
wirklichkeit in Verbindung zu bringen, auf der tiefe Abenddämmerung,
ja nächtliches Dunkel liegt. Wie tief begründet dieser Versuch ist, das
läßt sich den entwickelten Zusammenhängen unmittelbar entnehmen.
Die Struktur des ästhetischen Bewußtseins ist die Bewahrung und
Fortsetzung der jugendlichen Geistesart, die einst die formende
Kraft unseres inneren Lebens bildete, unsere Wahrnehmung s-
und Vorstellungswelt aufgebaut und damit den Grundriß zu
»unserer Welt« überhaupt erst gelegt hat1). Unter dem Druck der
Zivilisation des Maschinenzeitalters sind diese ewigen und allgemeinen
Kraftquellen des Lebens für einen Augenblick zurückgedrängt; nur
unter dem schützenden Tempelbau der Kunst konnten sie ungehindert
weiterströmen. Die Welt der Kunst in lebenzeugende Verbindung mit
der Wirklichkeit zu bringen, ein irdisches Ewig< wieder aufzurichten,
darin sehen manche die hohepriesterliche Sendung eines nur mit
scheuer Ehrfurcht genannten Künders und Meisters. Wie es hiermit
auch stand, heute ist es die Mission eines allgemeinen Priester-
tums, das alle Kreise des Lebens durchdringt. Wir spüren selbst bei
den Jüngsten schon die Wiederanbahnung des zerschnittenen Kohä-
renzverhältnisses von Ich und Umwelt. Wir spüren sie, wo junge
Wanderscharen den entseelten Großstadtvierteln entfliehen, zu einer
Umgebung hin, mit der man fühlen kann; wo sie an abendlichen Feuern
das Bundeserlebnis innerlicher Gemeinschaft feiern, oder wo neue Pfad-
sucher unter ihnen wieder eine Durchseelung unserer Kultur und
Arbeit, ja des ganzen von unserem Innersten vielfach abgetrennten
Lebens anstreben. Aber auch wir älteren und ernsteren Diener der
Wissenschaft arbeiten an den gleichen Zielen. Wir sind heute allent-
halben bemüht, die Mosaikstücke der Erkenntnis, an deren Sammlung
der Positivismus schon Genüge fand, wieder zusammenzufügen zu einem
harmonischen Bau, ähnlich den Gebilden des schaffenden organischen
Lebens. Auch wir möchten deren geschlossene Harmonie wiedergewin-
nen, die die natürliche Mitgabe des psychovegetativen Typus ist, und die in
Ebbezeiten innerer Kultur nur in der Kunst eine Zufluchtsstätte findet.

Hiermit sind zugleich die Gründe angedeutet, die den tiefsten
Gegensatz in der heutigen Ästhetik als einen nur vorläufigen und
durchaus überbrückbaren erscheinen lassen; ich meine den Gegen-
satz zwischen der psychologischen Ästhetik und der k 1 as-
sisehen idealistischen Überlieferung. Im Grunde rührt
dieser Gegensatz daher, daß die Psychologie das ästhetische Bewußt-

') Vgl. unsere Monographie Über den Aufbau der Wahrnehmungswelt«. Leip-
zig, Joh. Ambr. Barth, 1923.
 
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