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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft: Zweiter Kongreß für Ästhethik und allgemeine Kunstwissenschaft Berlin, 16.-18. Oktober 1924 — 19.1925

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Jaensch, Erich R. Jaensch: Psychologie und Ästhetik
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https://doi.org/10.11588/diglit.3819#0035

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28 ERICH R. JAENSCH.

sein so oft auf nur subjektive, ihrer Bedeutung nach recht fragwürdige
Bedürfnisse der Menschennatur zurückführte. Das Ergebnis, welches
sich bei der Betätigung des ästhetischen Bewußtseins einstellt, wäre
dann nur ein trügerischer Schein, ein düsterer Nebelschwaden,
der die Umrisse der Dinge verdeckt und von dem klaren Licht real-
wissenschaftlicher Erkenntnis immer zunehmend verscheucht werden
müßte. Es wäre im günstigsten Falle ein Adiaphoron, eine Belang-
losigkeit für unsere ernsteren Aufgaben und unsere tiefere Bestimmung.
Der metaphysisch-idealistischen Ästhetik dagegen erschien die Betäti-
gung des ästhetischen Bewußtseins als die Offenbarung von Kräften,
die das Geschehen in Wirklichkeit bestimmen, die im Grunde der
Wirklichkeit weben, und mit denen wir darum in Verbindung bleiben
müssen. Die streng empirisch-psychologische For-
schung führt, wenn ich recht sehe, bei ihrem weiteren
Vordringen durchaus wieder in die Nähe dieser
Ansicht. Wir haben, soweit es in der hier gebotenen Kürze mög-
lich war, den Nachweis versucht, daß das ästhetische Bewußtsein eben
jene Bewußtseinsstrukturen wachhält und fortsetzt, die in der Jugend
des einzelnen Menschen und der Menschheit erst den Grund gelegt
haben zu unserer Wahrnehmungs- und Vorstellungswelt und allem,
was sich darauf aufbaut, damit aber überhaupt zu dem, was wir Men-
schen als »unsere Welt« bezeichnen müssen. Kultur und Pädagogik
machten schon, erst instinktiv und nun auch bewußt, die prak-
tische Anwendung dieser Einsicht. Wir konnten darauf hinweisen,
daß die matter brennende Flamme des Lebens sich wieder anfachen
und höher führen läßt, wenn jene ursprünglichen Kräfte sich wieder
stärker regen. Wir können zeigen, daß sich durch Anknüpfung an
diese Kräfte die innere Lebendigkeit des noch unverbildeten Kindes-
geistes in einem manchmal kaum geahnten Ausmaß entfalten läßt. Die
kleine Ausstellung wird dies, besser als Worte es können, durch die
Anschauung erläutern. Die Erkenntnis von der Wirksamkeit dieser
Kräfte eröffnet Horizonte, die schon jenseits des Gebietes der psycho-
logischen Ästhetik liegen und von hier zu den tiefsten Weltanschau-
ungsfragen ganz unmerklich hinübergeleiten. Die Erkenntnis von dem
ursprünglichen Angelegtsein und der lebenzeugenden Macht dieser
Kräfte widerstreitet einer Ansicht nicht, wie sie Kant in der letzten,
zukunftsreichsten, ahnungsschwersten seiner drei großen Kritiken nie-
dergelegt hat, in der er das Schaffen der Natur in Vergleich setzt mit
dem Gestalten des Künstlers1).

') Selbst diese kurze Andeutung macht die Verwahrung nötig: Hier ist nicht
von Schwarmgeisterei die Rede, sondern von Fragestellungen, die nur mit den streng-
sten Mitteln der exakten Wissenschaft bearbeitet werden können. Es liegen schon
 
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