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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft: Zweiter Kongreß für Ästhethik und allgemeine Kunstwissenschaft Berlin, 16.-18. Oktober 1924 — 19.1925

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https://doi.org/10.11588/diglit.3819#0094

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SUBJEKTIVISMUS IN DER ARCHITEKTUR. 87

Responsorium, die Prozession, im Warenhaus die Offerierung der Ware,
das Zuströmen der Käufer, die Führung des Publikums zu den ein-
zelnen Artikeln, zur Kasse usw. Immer ist es ein Verlauf im zeit-
lichen, ein Nacheinander einzelner räumlicher Komponenten. Die
Regelung der Verknüpfung dieser Komponenten, die räum-
liche Fixierung ihres zeitlichen Rhythmus ist die eigentliche Auf-
gabe des Architekten, das Objekt seiner Gestaltungskraft.

Trotz des Vorhandenseins ähnlicher Lösungen der gleichen Aufgabe
und bestimmter ausgeprobter räumlicher Verhältnisse wird
seine Lösung subjektiv in dem Moment, wo er in der Folge
oder in der Maßzahl der Räume neue Rhythmen, neue Ver-
knüpfungen, neue Verhältnisse findet. Demgegenüber ist die
Gestaltung der Wand des Innenraums, der Fassade in der Außen-
architektur, die Verwendung und Ausbildung bestimmter Bauteile oder
gar die ornamentale Behandlung etwas völlig sekundäres — ebenso
sekundär die Anlehnung an bestimmte Stilformen. Die »Originalität«
in diesen Mitteln des künstlerischen Ausdrucks wird immer will-
kürlich und gewollt sein, — niemals notwendig und damit echt er-
scheinen, wenn sich nicht die Subjektivität in Anordnung,
Verknüpfung und Proportionierung der Raumzellen und
Körperelemente, also den Funktions-Zeit-Raum-Komponen-
ten ausspricht. Damit ist übrigens der Subjektivismus und die Neu-
artigkeit des »Jugendstils« oder der sogenannten »expressionistischen
Architektur« usw. auch gekennzeichnet, — jene Modeerscheinungen,
die ein pseudooriginelles Kostüm über völlig traditionelle und triviale
Raumfolgen ausbreiten und jeweils auf fünf Jahre unter dem Beifall
der Gazetten die moderne Richtung repräsentieren (zugleich damit
auch die Inhaltlosigkeit der Antithese: Typus oder Individualleistung
dargetan).

4. Damit ist aber auch gleichzeitig die letzte Frage beantwortet,
die nach der Formkraft und Darstellbarkeit des individuellen
Gefühlserlebnisses des Architekten. Seine Persönlichkeit, sein
Temperament, seine tragische, pathetische oder skurrile Einstellung
spricht sich nicht unmittelbar stofflich aus — da sein Werk
ja primär funktionsgebunden ist, sondern diese seelischen
Kategorien werden sublimiert dargestellt, formen darum aber nicht
minder eindeutig und völlig souverän gegenüber dem je-
weiligen Zweck, ebenso in Fabrik und Wohnbau, wie im Krema-
torium, Kirche und Denkmal, die Zeitraumfunktion. Die Unterschied-
lichkeit des Zweckes wird selbstverständlich verschiedenartige gefühls-
mäßige Emotionen bei ihm bedingen, — eine ganz persönliche Kon-
tinuität der seelischen Grundhaltung aber unabhängig davon jedes
 
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