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ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST.
Nr. 3 4
BH
Abb. 1.
<S. Apollinare Nuovo in Ravenna.)
Hl. Agnes.
zu erdhaft, zu selbstbewußt in seiner
Kraft, seiner Würde, seiner Größe.
Das christliche Empfinden wider-
sprach dem durchaus. Es setzte sich
aber wie eine neue Seele in dem
von der Antike geschaffenen und
bewegten Körper fest und modelte
ihn so lange, bis der Körper nicht
mehr ein von der Natur, son-
dern ein neues, eben von der Seele
her bestimmtes Lebensgefühl aus-
drückte.
Es ist hier nicht der Ort, diese
Entwicklung im einzelnen aufzu-
weisen. Ein schönes Beispiel der
ersten Entwicklungsphase ist die
hl. Agnes in St. Apollinare Nuovo
in Ravenna (zwischen 556 und 569
entstanden), das Wilperts großes
Werk „Die römischen Mosaiken
und Malereien der kirchlichen
Bauten vom IV. bis XIII. Jahrh."
(Freiburg, Herder 1916)1 auf Taf.78
zeigt (s. Abb. 1). Das antike Schreit-
motiv ist der körperliche Ausgangs-
punkt. Aber die Körperbewegung,
die nichts von der weltabgekehrten
Tendenz des nach innen gewandten
Typus, von dem wir sprachen,
zeigt, geht in einem fast sanften
Fluß mit der frommen Kopfneigung
zusammen. Die fromme Seele ist
es, die hier in allem Wesentlichen
bereits den körperlichen Rhythmus
bestimmt. So kommt auch hier ein
Eindruck zustande, den kein antikes
Kunstwerk vermittelt und vermit-
teln konnte, weil eben das antike
Lebensgefühl ein anderes war: es
ist der Eindruck einer religiös
durchwalteten, jungfräulichen An-
mut, in der das Seelische entschei-
dend den Ton angibt. Dennoch
1 Die Abbildungen sind diesem Werke
mit besonderer Erlaubnis des Verlages
Herder in Freiburg i. B. entnommen.
ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST.
Nr. 3 4
BH
Abb. 1.
<S. Apollinare Nuovo in Ravenna.)
Hl. Agnes.
zu erdhaft, zu selbstbewußt in seiner
Kraft, seiner Würde, seiner Größe.
Das christliche Empfinden wider-
sprach dem durchaus. Es setzte sich
aber wie eine neue Seele in dem
von der Antike geschaffenen und
bewegten Körper fest und modelte
ihn so lange, bis der Körper nicht
mehr ein von der Natur, son-
dern ein neues, eben von der Seele
her bestimmtes Lebensgefühl aus-
drückte.
Es ist hier nicht der Ort, diese
Entwicklung im einzelnen aufzu-
weisen. Ein schönes Beispiel der
ersten Entwicklungsphase ist die
hl. Agnes in St. Apollinare Nuovo
in Ravenna (zwischen 556 und 569
entstanden), das Wilperts großes
Werk „Die römischen Mosaiken
und Malereien der kirchlichen
Bauten vom IV. bis XIII. Jahrh."
(Freiburg, Herder 1916)1 auf Taf.78
zeigt (s. Abb. 1). Das antike Schreit-
motiv ist der körperliche Ausgangs-
punkt. Aber die Körperbewegung,
die nichts von der weltabgekehrten
Tendenz des nach innen gewandten
Typus, von dem wir sprachen,
zeigt, geht in einem fast sanften
Fluß mit der frommen Kopfneigung
zusammen. Die fromme Seele ist
es, die hier in allem Wesentlichen
bereits den körperlichen Rhythmus
bestimmt. So kommt auch hier ein
Eindruck zustande, den kein antikes
Kunstwerk vermittelt und vermit-
teln konnte, weil eben das antike
Lebensgefühl ein anderes war: es
ist der Eindruck einer religiös
durchwalteten, jungfräulichen An-
mut, in der das Seelische entschei-
dend den Ton angibt. Dennoch
1 Die Abbildungen sind diesem Werke
mit besonderer Erlaubnis des Verlages
Herder in Freiburg i. B. entnommen.