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Zeitschrift für christliche Kunst — 32.1919

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Witte, Fritz: Neue Zeiten - Neue Ziele
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https://doi.org/10.11588/diglit.4306#0019

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ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST.

der starken, mächtigen Helferin und Fürbitterin im Olymp. Das Christentum
kennt im Himmel eine Frau, die ihm ebenfall? in allen Nöten und Schwierigkeiten
des Lebens die allzeit hilfsbereite Fürbitterin ist. Und doch, wie weit liegen die
Vorstellungen von diesen Frauen auseinander. Wollte der christliche Künstler
eine Athene des Phidias zum Symbol der Helferin der christlichen Welt machen,
er würde Macht- und Herrscherbegriff verwechseln mit den Vorstellungen von
einem mit mildem Szepter regierenden Gnadenköniginnentum. Intensives Ver-
stehen der Volks- und Zeitseele ist erste Bedingung für den Künstler, will er
anders verständlich werden
und von seinem tiefinner-
hchen religiösen Erlebnisse
seinen Mitmenschen ein Et-
was mitteilen. Mit rein
formalen Experimenten ist
nichts getan. Wer immer
von den Künstlern Eingang
sucht in die Kirchen und in
das gläubig christliche Haus,
der muß auch mit dem Volke
leben und empfinden, für
das Volk eine Ausdrucksform
suchen, durch die ei sich
verständlich zu machen im-
stande ist. Erst dann wird
ihm die bedeutsame Rolle in
der Geschichte, die er haben
soll, die eines Predigers,
eines Erziehers. Das darf
uns so stolz, so hoffnungsfroh
und siegessicher machen in
diesen Tagen: will die Kunst
unserer Zeit konsequent sein,
will sie den Urgrund des
Seelischen erreichen, dann
landet sie unfehlbar — bei
uns, im Christentume, bei Gott, nicht bei dem Gott der Pantheisten. Hundert
Epigonen gebärden sich heute als Expressionisten und sind es nur der äußeren
Schale nach, im Nachäffen expressionistischer Ausdrucksmittel; sie tragen das
Kainsmal der Unehrlichkeit an der Stirne, ihr Gott wohnt nicht im Himmel,
nicht einmal in den Lüften und den Sternen, er ist ganz, ganz platt zu Hause in
ihrem eigenen erbärmlichen Ich, und was dieses Ich an seelischem Gehalt ihnen
und uns bietet, ist gleich — Null.

Gott! Er also sollte stehen an der Spitze aller echten, edlen Kunst, denn
er allein ist Urgrund, wie aller Dinge, so auch jedweden seelischen Empfindens. -
Auf halbem Wege also werdet ihr alle stehen bleiben müssen, die ihr nach dem Aus-
druck seelischer Hochspannung strebt und suchet, die Pforten bleiben euch
so lange verschlossen, als ihr nicht den Weg findet zurück, nein, empor zu eurem

Abb. 5. Wandgemälde aus der Frankenberger Kirche zu Goslar.
Die Salbung Davids. Anfang des XIII. )ahrh.
 
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