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Zeitschrift für christliche Kunst — 32.1919

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Witte, Fritz: Zwei Michaelfiguren des Diözesanmuseums
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https://doi.org/10.11588/diglit.4306#0168

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Nr. 10/11 ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST. \^\

ZWEI MICHAELFIGUREN
DES DIÖZESANMUSEUMS.

(Mit 2 Abbildungen.)

Es sind zwei köstliche Figuren, wertvoll durch ihre hohe künstlerische
Qualität wie durch ihre selten gute Erhaltung1.
Der größere, zugleich ältere Michael ist eine aus Eichenholz ge-
schnittene Vollrundfigur. Der Engel steht auf dem linken Standbein, wodurch
die rechte Hüfte leicht vorgeschoben erscheint. Er ist bekleidet mit langwallen-
dem auf die spitzbeschuhten Füße stoßendem Untergewand mit engen, bis zu
den Händen reichenden Ärmeln, und mit einem vom linken Unterarm gerafften
Manteltuch, das sich auf dem Rücken totläuft, ohne die linke Schulter zu er-
reichen, zu der die an der rechten Hüfte emporstrebenden Falten hinweisen.
Der Grund dafür liegt darin, daß der Figur ein Attribut verlorengegangen ist,
das die linke Schulter ursprünglich deckte, der Setzschild oder die Tartsche,
die, wie Löcher und Zapfenansätze an Arm und Schulter beweisen, die rechte
Seite verdeckte. Der rechte Arm ist bis zur Augenhöhe erhoben und hält
einen Kreuzstab, der mit seinem unteren Ende im Rachen eines zu Füßen
des Engels sich krümmenden Drachen steckt, der linke Arm hält auf der Hüfte
den Mantel. An den Schulterblättern sind die beiden großen Flügel mit leicht
geschwungenen Federn befestigt. Der Kopf macht eine leichte Rechtswendung,
die Augen blicken träumend unter den hochgeschwungenen Augenbrauen ins
Weite. Die Figur ist 1 m hoch.

Der größte Teil der Holzfläche ist mit in Kreide getränkter Leinwand
überklebt, die den Untergrund für die Polychromie abgab. Die heute sicht-
bare — weißes Untergewand und Goldmantel — ist nicht die ursprüngliche.
Diese weist roten Mantel mit schwarzen Musterungen auf, welch' letztere auf
den gekämmten Untergrund aufgetragen waren.

Vollkommen reinrassiges frühgotisches Kunstwollen tritt in der Figur zutage.
Der direkte Einfluß der französischen Frühplastik macht sich bemerkbar. Ihm
entstammt die alle stürmischen lauten Bewegungen vermeidende vornehme Haltung
des Heiligen, die Eleganz des Körpers, die bewußt sinnlich — im besten Sinne! —
gerundeten Glieder und vor allem der lächelnde Kopf, der hoheitsvoll genug
über den Drachen weg den Blick unter leichtem Lächeln in die Ferne richtet.
Man erinnert sich sofort der Verkündigungsengel an den französischen Kathe-
dralen, an die Plastiken des Nordportales von Notre Dame in Paris und auch
an Reims. Diese unzweifelhafte Anlehnung an französische Vorbilder kann
uns nicht wundernehmen, wenn wir einen Blick auf die gleichzeitigen Plastiken
des Nordens werfen, besonders auf die noch verhältnismäßig zahlreich erhaltenen
Michaeisfiguren in den schwedischen Kirchen. Ich weise da vorerst hin auf
eine Michaelsfigur in Hafverö, die vielleicht ein Jahrzehnt früher entstanden
sein mag als die in Osnabrück, sowie auf die in Stöde; bei letzterer ist auch
für unsere Figur die Ergänzung des am linken Arme getragenen Schildes

1 S. Abbildungen in Kunstdenkmäler der Provinz Hannover. Band IV (Osnabrück) S. 42.
 
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