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Zeitschrift für christliche Kunst — 32.1919

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Dolfen, Christian: Aus dem Paramentenschatz des Diözesanmuseums zu Osnabrück
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https://doi.org/10.11588/diglit.4306#0157

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140

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST. Nr. 10/11

AUS DEM PARAMENTENSCHATZ DES
DIÖZESANMUSEUMS ZU OSNABRÜCK.

(Mit 3 Abbildungen.)
a)Goldlasurkasel des beginnenden XVI. Jahrhunderts.

E

in wahres Kleinod besitzt das Osnabrücker Diözesanmuseum in der ehe-
dem der Kirche von Neuenhaus (Grafschaft Bentheim) gehörenden Kasel.
Zeichner und Sticker haben in der dem Beginne des XVI. Jahrh. an-
gehörenden Stickerei um die Palme gerungen. Der Reichtum der Farben vereinigt
sich mit der überragenden Sicherheit und Feinheit der Nadel, die wir bei den
Künstlern der Arrazzi gewohnt sind. Allem Anscheine nach sind Stab und Gabel-
kreuz auf einen neuen Umstoff aufgenäht, auch sind die Ränder der Stickerei an
den äußersten Enden ein wenig beschnitten, im allgemeinen aber ist die Stickerei
noch gut erhalten und dank dem vorzüglichen Material von außerordentlicher
Frische. Inhalt der Nadelmalerei sind Szenen aus einem den Apokryphen ent-
lehnten und durch die Legenda aurea des Jacobus a Voragine volkstümlich ge-
wordenen „Leben der Gottesmutter". Im Mittelbilde des Pektorale ist die Ab-
weisung des Opfers Joachims durch einen Priester im Tempel zu Jerusalem dar-
gestellt. Ein fast verschwenderisch reich mit Fialen, Baldachinen, Frauenschuhen,
eingesprengten Wappen geschmückter Tempelbau wölbt sich über der dramatisch
entwickelten Szene. Im Hintergrunde erhebt sich, in ganz vorzüglicher Perspek-
tive, unter einem Zelte die Bundeslade in Form eines gotischen Reliquienschreines,
vor ihr steht der Opfertisch mit einer grünen Decke, die ein goldgewirktes Granat-
apfelmuster belebt. Einzelne Münzen liegen vor der Bundeslade. Priester und
Schriftgelehrte bewegen sich von der einen, opfernde Frauen und Männer von der
andern Seite der aufsteigenden Arme des Gabelkreuzes zu der im Vordergrunde
zwischen Joachim und dem Priester sich abspielenden Abweisungsszene. Die
wirklich dramatisch entworfene Darstellung des Zeichners ist von dem Sticker
mit außerordentlichem Geschick erfaßt und ausgeführt. Die Architekturteile des
gotischen Tempels sind in Goldstickerei gearbeitet, aber durch die glänzende
Behandlung der Uberfangstiche in allen Stärken und Schattierungen des Rots und
eines Versetzungsstiches in Weiß erhält das eintönige Gold eine Plastik, daß die
Architekturteile fast aus dem Gewände herauszutreten scheinen. Den Ranken und
Kreuzstäben, den Krabben und Kreuzblumen, den ausladenden Frauenschuhen
und eingelegten Wappen, den tief gegliederten Maßwerken und Simsen wird durch
den Sticker eine sorgsame, zielbewußte Behandlung zuteil, so daß jeder Architek-
turteil voll zur Geltung kommt. Aus dem reichen Architekturbilde hebt sich das
heilige Zelt in seinem im feinsten Modellierstich ausgeführten satten Grün kräftig
heraus, das Granatapfelmuster der Altardecke ist vom Sticker wirklich filigran-
artig nachgearbeitet. Selbst den Affekten, die der Zeichner in die Gestalten
hineingelegt, strebt der Sticker mit seinem etwas ungefügen Matenale nach. Die
stolze Verachtung des in strotzendem Prachtgewande auftretenden Priesters und
der tiefe Kummer des abgewiesenen, fast flüchtenden Joachim kommen vorzüglich
zum Ausdruck. Das Prachtgewand des Priesters ist mit einer so reichen Orna-
mentik geschmückt, daß sie teilweise nur unter der Lupe erkennbar ist. Joachims


 
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