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Zeitschrift für christliche Kunst — 32.1919

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Witte, Fritz: Die Erziehung des Klerus zur Kunst: Ein Betrag zum Probleme "katholischer Kulturwille"
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https://doi.org/10.11588/diglit.4306#0027

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Nr. 2 ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST. XI

DIE ERZIEHUNG DES KLERUS
ZUR KUNST

Ein Beitrag zum Probleme „katholischer Kulturwille".

Selbst der Neider wird das Geständnis machen müssen, daß der Klerus
eine seltene Anpassungsfähigkeit an neue Verhältnisse gezeigt und sein
Arbeitsgebiet mit außerordentlicher Geschicklichkeit weiter gespannt
hat. In der Sozialpolitik mit ihren weit verzweigten Spezialgebieten: Vereins-
tätigkeit, Caritas usf. hat er sich schnellstens zurechtgefunden und eine autori-
tative Stellung sich erobert. Bedürfnisse der neuesten Zeit riefen ihn gar, mehr
als manchem wünschenswert erscheinen mag, auf den Kampfplatz der Politik.
Der Kampf um die Schule zwang den Geistlichen zur intensiven Beschäftigung
mit der Pädagogik. So sprang er überall dort sofort ein, wo er irgendein geistiges
Gut gefährdet oder ein solches gewinnen zu können glaubte.

Nimmt eine so vielseitige und intensive Beschäftigung schon einen ganzen
Menschen in Anspruch, so muß zudem der innere Mensch darunter leiden; es
bleibt zu wenig Zeit und Muße, den Geist auf alte Ideale einzustellen und der
Seele genügend Kost zuzuführen. Die Politik gar führt den Priester auch in
Niederungen des Lebens mit ihren unangenehmen oder gar häßlichen Begleit-
erscheinungen : Neid, Haß, Verdrehung und Verleumdung. Ist es da nicht mehr
als je nötig, daß ihm Entgelt dafür geboten wird in idealer geistiger Kost? Mit
der schönen Literatur sich zu befassen wird heute der Geistliche fast gezwungen
dadurch, daß er das eine oder andere Jahr einen Borromäusverein mit seiner
Bücherei zu verwalten hat; auch die Musik und ihre Pflege wird vielen Geistlichen
fast aufgenötigt. Anders ist's mit der bildenden Kunst. Gewiß, auch hier tritt
hundertmal im Leben die Notwendigkeit an den Geistlichen heran, sich mit ihr
zu befassen; aber — hier ist ein gewaltiger Rückstand in der Ausbildung unver-
kennbar. Mehr als einmal haben die verschiedenen Zeitschriften für christliche
Kunst auf den Ubelstand aufmerksam gemacht, daß der Klerus noch immer nicht
das richtige Verhältnis zur Kunst gefunden habe; noch immer aber auch fehlen
die Zeichen einer wesentlichen Besserung. Nach einem glänzenden und sehr
erfolgreichen Anlauf vor 40 Jahren ist ein erschreckender Stillstand eingetreten,
und der ist auch hier gleich Rückschritt. Man lese nur die vielen Aufsätze und
Zuschriften aus Fach- und Geistlichenkreisen in den damaligen Kunstzeit-
schriften ! Das Herz geht uns auf, wenn wir diese Begeisterung erkennen, die
damals die Geistlichkeit erfaßt hatte für diesen ebenso wichtigen wie Eigengenuß
und Freude weckenden Zweig der Seelsorge. Damals fand gerade der Klerus den
Weg zu den bedeutendsten Künstlern und verschaffte diesen und ihren Werken
Zutritt zu den Kirchen. Und heute? Eine erschreckende und fast wahnwitzige
Planlosigkeit überall. Schon wird es merkbar, daß die sogenannte kirchliche Kunst
einen Weg geht, der weit ab von dem der Profankunst liegt. Fragen wir uns: Ist
das gut, ist das überhaupt möglich? Mit einem überaus ernsten Nein müssen
wir antworten ! Die künstlerische Äußerung einer Zeit kann nur eine sein, treten
zwei in die Erscheinung, so muß die eine unwahr, zum mindesten erborgt sein.
Die kirchliche Kunst bewegt sich zumeist noch immer in den Bahnen des
Eklektizismus, im bürgerlichen Leben dagegen wächst der Mensch von heute
 
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