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Zeitschrift für christliche Kunst — 32.1919

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Pfeffer, Albert: Schwäbische Schutzmantelbilder aus der Frühzeit des XV. Jahrh.
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https://doi.org/10.11588/diglit.4306#0057

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46

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST. Nr. 3

unmittelbare Frische. Die rhythmische Wiederholung gleichartiger kleiner, ange-
drückter Faltenmotive gibt ihm eine gewisse Ruhe, aber auch eine peinliche
Eintönigkeit. Man fühlt den Stillstand der Entwicklung. Durch die Häufung
will der Eindruck des Reichen erzielt werden; in Wirklichkeit aber erscheint
die Figur trotz des Motivenreichtums und aller versuchter Lieblichkeit infolge
des Fehlens eines starken Formwillens und Formstrebens innerlich arm. Der
Meister des Bildwerks ist archaistisch gesinnt, kommt von der ihm vertrauten
Formsprache nicht los und erscheint als rückständig.

Das sichtlich jüngste Bildwerk aus der zusammengehörenden Gruppe befindet
sich heute im Suermondt-Museum in Aachen15 (Abb. 3). Seinen Weg nach
Aachen hat es aus der Sammlung Moest gefunden. Der Bildhauer und Sammler
Moest in Köln, der aus dem schwäbischen Städtlein Horb stammte, hatte einen
guten Teil seiner Sammlung vorzüglich in seiner engeren Heimat zusammen-
gebracht. Moest hatte das Stück in Herlazhofen, württ. O.A. Leutkirch, erworben,
wo in der 2. Hälfte des XVIII. Jahrh. ein Kirchenmaler lebte, der Holzbildwerke
sammelte. Als ursprünglicher Standort darf mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit
Oberschwaben, das Gebiet zwischen dem Südrand der Alb und den Allgäuer
Alpen, bezeichnet werden. Hier ist im engsten Anschluß an den gekennzeichneten
Typ die Darstellung noch weiter entwickelt. Das Königliche und Hoheitsvolle,
das dem Zwiefalter Gnadenbild eigen ist, hat einer realistischen, hausbackenen
Auffassung weichen müssen, die freilich immer noch Spuren von Innerlichkeit
und Beschaulichkeit aufweist, ein Erbstück der schwäbischen Heimat. Maria
wird eine bürgerliche, einfache Frau mit beengtem Gesichtskreis und etwas
träumerischem Einschlag; diese Eigenschaften scheinen auch auf das Kind über-
gegangen zu sein, das in der Körperauffassung mit dem Gößlinger Bildwerk
nahe zusammengeht. Gegenüber dem Zwiefalter Bild ist das Aachener bewegter.
Die Schutzbefohlenen machen sich von der starren Gebundenheit los und strecken
sich unter dem Mantel; auch halten sie sich nicht mehr so korrekt und brav.
Es dürfte der Zeit um 1440 zuzuschreiben sein.

Der gemeinsamen Züge der 3 Bildwerke sind so viele und so wesentliche,
der Formzusammenhang ein so starker, daß sie notwendig in eine Gruppe
zusammengeschlossen werden müssen. Da der Anstoß zur Weiterentwicklung
eines Formgedankens von einem künstlerisch bedeutsamen Werk auszugehen
pflegt, dem Mittelgut und Werkstattarbeiten in ihren Formcharakteren zu folgen
pflegen16, so dürfte das Urbild in der Mutter Gottes von Zwiefalten zu suchen
sein. Der Bildtyp ist hier am persönlichsten, reinsten und unmittelbarsten zum
Ausdruck gekommen, während das Rottweiler und Aachener Bildwerk sich als
abgeleitet und nachempfunden erweisen. Das Benediktmerkloster in Zwiefalten
war im XIV. und XV. Jahrh. eine der mächtigsten, reichsten und einflußreichsten
Abteien in Oberschwaben. Seme Kirche war von weither besucht von Wall-
fahrern. Es ist daher leicht verständlich, daß das Kloster sich ein bedeutsames
Marienbild von einem hervorragenden Künstler beschaffen ließ, daß durch die
zahlreichen Pilger das Originalbild in kleinen Nachbildungen aus Wachs oder

10 Schweitzer, „Die Skulpturensammlung im Suermondt-Museum in Aachen'',
1910, Bd. II, TA. 1. Höhe 117,5 m; Lindenholz, ohne Fassung. Den Hinweis auf die
Aachener Figur verdanke ich der Güte des Herrn Prof. Dr. Baum in Stuttgart.

16 Lüthgen, „Die niederrheinische Plastik" (1917), S. X.
 
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