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Zeitschrift für christliche Kunst — 32.1919

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Witte, Fritz: Johann Hartmann
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https://doi.org/10.11588/diglit.4306#0125

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110

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST.

Nr. 8

Abb. 5.

Ave Maria.

die Äußerung des
Schmerzes und der
Entrüstungüberden
angekündigten Ver-
rat wiedergegeben.
Ohne jede Pose steht
der Heiland, den
Kelch betend um-
fassend, inder Tafel-
runde und schaut
über den Bildrand
weg zu uns Be-
schauern hinüber.

In seinem,,Judas-
kuß" wird Hart-
mann kühn: an die Stelle der Henker treten die Spartakiden von heute, die
vielfachen Richter und Henker der christlichen Weltanschauung. Glänzend ist
die Gegenüberstellung: auf der einen Seite die Apostel, die zum Teil vor dem
Terror fliehen, zum Teil dem Schrecken sich entgegen werfen, allen voran der
temperamentvolle Petrus, der stürmisch den Eindringlingen mit dem gezückten
Schwerte entgegentreten will und nur mit Mühe von zwei Mitaposteln zurück-
gehalten wird. Auf der anderen Seite die polternde Gesellschaft der Schreckens-
männer, zweifelhaftes Gelichter, vom fanatischen Rechtsverdreher mit der Ver-
haftungsurkunde in der Hand bis zum blöden, wüsten Gassenlümmel, der mit
Gewehr bei Fuß darauf wartet, Gewalttätigkeiten üben zu können. Wie fein ist
die Abstufung von Roheit und Gemeinheit wiedergegeben in dieser Gruppe,
die feige Zurückhaltung auch der Angreifer aus „besseren Ständen", die rohe
Brutalität der Häscher! Und dieses ganze pulsierende Leben brandet um den
ruhenden Pol, den Heiland in der Mitte, in großer, hoheitsvoller Haltung. In
dieser fem beobachteten Vielgestaltigkeit der Abstufungen ist dennoch nichts
Abschrift von der Natur, alles ist dem Streben nach Ausdruckskraft unter-
geordnet (Taf.VIII).

Hartmann hat sich auch an das große Thema der Passion herangemacht und
eine Folge der vierzehn Stationen des Kreuzweges in kleinem Formate geschnitten.
Der Ton hat wenig dramatische Akzente; er ist rein erzählender Art, aber voll
der Innigkeit und des Mitfühlens, überaus volkstümlich und überraschend ein-
fach und anspruchslos. Dennoch, besser gesagt infolgedessen ist die Wirkung
dieser Holzschnittfolge durchaus geeignet, dem einfachen, nicht komplizierten
Menschen die Ereignisse des Leidensweges lebendig vor die Seele zu führen, sie
ist volkstümlich im besten Sinne. Auch hier arbeitet Hartmann stark mit Gegen-
sätzen in der Charakterisierung der handelnden Personen, ein Experiment, das
gerade bei der.Passion zu Wirkungen führen muß. Derb sind die Schergen,
rücksichtslose Menschen, etwas ungepflegt, aber niemals roh; ergreifend geht
zwischen ihnen durch die hoheitsvolle, von Leid überschüttete, aber doch starke
Gestalt des Kreuzträgers. In dieser kleinen Folge greift Hartmann zu der prä-
gnanten, lakonischen Sprache des Holzschnittes bis zur Konsequenz; er verzichtet
auf jede stofflichen Eindrücke und Plastik anstrebende Strichlage, die Schnittlinien
 
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