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Zeitschrift für christliche Kunst — 32.1919

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Witte, Fritz: Apokryphe, legendarische und volkstümliche Elemente in den Weihnachtsbildern des ausgehenden Mittelalters
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https://doi.org/10.11588/diglit.4306#0138

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122

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST.

Nr. 9

Abb. 4.

Niederländischer Meister um 1520. Weihnacht.

Aufmachung im Gegensatze zu der späteren von Holland her ms Land dringenden
noch von höfischer Feinheit und Zierlichkeit; Naivität, aber nicht niederländische
Derbheit und spießbürgerliche Plattheit spricht aus allem. Die Geburt des
Heilandskindes ist augenscheinlich eben vor sich gegangen: noch halten drei
Engelchen mit keuscher Geste ein Tuch um die Gottesmutter, um sie vor neu-
gierigen Augen zu schützen. Man wird erinnert an die alte griechische Darstellung
der Gebärenden, bei der die Nachbarfrauen das Tuch um sie halten und andere die
Flöte blasen, um das Wehklagen der jungen Mutter zu übertönen. Auf dem ge-
nannten Altarbilde trägt diese naive Szene nicht unwesentlich dazu bei, die
Intimität des Vorganges und vor allem den Eindruck makellosester Reinheit zu
erhöhen. Daß dieseWirkung tatsächlich beabsichtigt ist, erweist auch der Umstand,
daß der hl. Josef bei der Szene vollständig fehlt und nur Gott Vater und Engel
Zeugen der Geburt gewesen sind. Köstlich ist die überschwengliche Freude
Manens wiedergegeben, die in jugendlicher Frische vor dem Kinde kniet und hold-
selig lächelnd die Hände zum Gebete erhebt. Reizend beobachtet und von köst-
licher Naivität sind kleine szenische Beigaben auf diesem Altare: Bei dem Bilde
der Anbetung des Kindes sehen wir in der unteren Bildecke ein Engelchen vor-
sorglich damit beschäftigt, am offenen Feuerchen die feuchten Tücher zu trocknen,
während auf dem der Anbetung der Könige ein Page hinter dem Könige kniet und
ihm die langen Reitersporen von den Füßen nimmt. Verblüffend ist die Überein-
stimmung zwischen dieser Plastik und einem Weihnachtsbilde von Meister
Francke in der Kunsthalle zu Hamburg; sie ist derart tiefgehend, daß Plastik und
Gemälde derselben Werkstatt zugeschrieben werden müssen3. Hier wie dort die

3 S. C. Habicht in Ztschr. f. christl. Kunst XXIX (1916) S. 10, Abb. 4; dort auch
die Literatur über Meister Francke als Bildhauer.
 
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