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Zeitschrift für christliche Kunst — 32.1919

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Witte, Fritz: Apokryphe, legendarische und volkstümliche Elemente in den Weihnachtsbildern des ausgehenden Mittelalters
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https://doi.org/10.11588/diglit.4306#0142

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126

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST. Nr. 9

Apokryphen und Legende beschränkten sich nicht auf die Ausgestaltung der
Weihnachtsbilder selbst; sie statteten auch die Ereignisse aus der Jugend des
Heilandes aus. So verkauft Josef den Ochsen aus dem Stall, um für die hl. Familie
einen Zehrpfennig auf der Flucht zu haben, den Esel aber nimmt er als Saumtier
mit in die neue Heimat. Auf der Flucht selbst passieren allerlei wunderbare Er-
eignisse, die auch die Künstler des ausgehenden Mittelalters zur bildlichen Dar-
stellung reizten. Der Bildschnitzer Douvermann hat alle diese Legenden in seinem
großen Altarwerk zu Calkar am Niederrhein wiedergegeben: Aus dem Hinterhalte
brechen Räuber mit Knitteln in den Händen, um die hl. Familie gefangen fort-
zuführen. Ein Baum neigt ehrfurchtsvoll seine Krone vor den einherziehenden
Heiligen. Ein beliebtes Weihnachtslied des XV. Jahrh. erzählt von den
frommen Bäumen:

Joseph nam das Eselein

Wol bey dem Zaum,

Er fiert Mariam und's Kindelein

Für ein Dattelbaum.

„Ach, lieber Joseph, laß mich hinab,

Und laß mich brechen die Datteln ab,

Dann sy sein süße!"

Da nayget sich der Dattelbaum

Gegen Maria gutte.

Die holländische Fassung des Liedes gestaltet die Szene dialogartig aus. Sie
sagt: „Josef was een out (alt) man, dats hem verdroot", und etwas mürrisch läßt
sie ihn sprechen:

Maria, laat die Datteln staan,

Wie hebben noch viertich milen to gaan,

Het wort seer spade.

Dürer und Schongauer stellen den Dattelbaum dar, letzterer läßt eine Reihe
dienstbeflissener Engelchen die Zweige zur Gottesmutter niederbiegen (Abb.5 u.6).

Ungemein anmutig ist das Bild der hl. Familie von einem unbekannten hol-
ländischen Meister aus dem Ende des XV. Jahrh. im Wallraf-Richartz-
Museum zu Köln, auf dem Maria, Josef und das Christuskind in eine schlichte
Bürgerstube der Zeit versetzt erscheinen. Am einfach gedeckten Tische sitzen die
Gottesmutter mit dem Kinde und der hl. Josef. Maria verabreicht dem Christus-
kinde, das ein großes Stück Brot nach echter Kinderart in den Händchen hält,
das Süppchen, Josef schneidet ein Stück Brot ab. Es ist ein liebliches Famihen-
ldyll, das uns da vorgeführt wird, eine mit verblüffendem Realismus vorgetragene
Szene aus dem täglichen Leben; und doch liegt über dem Bilde der Hauch der
religiösen Weihe, der es, wenn auch nicht zu einem wirklichen Andachtsbilde, so
doch zu einer köstlichen Perle echter religiöser Kunst macht (Abb. 7).

Nur das Weihnachtsbild kann Wirkung haben, das dem Bedürfnis des christ-
lichen Volkes Rechnung trägt, an der Krippe von Bethlehem Friede, Freude,
Glück zu finden. Solange unsere moderne Kunst diesen auf ein lautes Gloria
gestimmten Grundton nicht anzuschlagen weiß, werden ihre Arbeiten auch keinen
Erfolg haben. Wenn irgendwo in der religiösen Kunst, dann muß man bei Weih-
nachtsbild und Krippe nach Frömmigkeit und Poesie in der Auffassung des
Themas und in der Durchführung rufen. Witte.
 
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