Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für christliche Kunst — 32.1919

DOI Artikel:
Witte, Fritz: Die Reste eines Tragaltares vom Meister Rogerus aus dem Anfange des XII. Jahrhunderts
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4306#0164

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Nr. 10,11 ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST. 147

Heiligenfiguren und um zwei ausgeschnittene, gravierte und leicht angetriebene
Beschlagrosetten. Die hagiographische Frage spielt hier kaum eine Rolle; wir
haben die Bilder der Heiligen vor uns, deren Reliquien in dem Kasten geborgen
lagen, die voraussichtlich identisch sind mit den Patronen der besitzenden Kirchen-
gemeinde.

Es handelt sich um zwei männliche und zwei weibliche Heilige, von welch'
letzteren eine in Verlust geraten ist; sie befinden sich zum Teil im Diözesanmuseum
zu Osnabrück, zum Teil im Schnütgen-Museum zu Köln. Es erübrigt sich, an-
gesichts der Abbildungen, viel Beschreibendes über die in kräftigem Duktus mit
ungeheurer Sicherheit hingesetzten Bilder zu sagen. Was allen gemeinsam ist,
das ist das seelische Element in ihnen, das ist das Expressionistische in Haltung und
Gebärde, der persönliche Stil. Eine ungewöhnliche Ergriffenheit spricht aus den
Bildern; alle Mittel der Gestuskunst sind dazu herangeholt: die Brustbilder in
ihrem glücklichen Ausschnitt sind beherrscht von prachtvoller Statik; das Vor-
nehmen einer Schulter, die immer wiederkehrende plötzliche Wendung des
Kopfes, die ihr folgende Stellung der Augen, das Hochrücken der Pupille, der
emporschnellende Gestus einer Hand, das leicht Geöffnete des Mundes sagen alle
dasselbe: verhaltene germanische Leidenschaft, tiefste Ergriffenheit, die nur eben
noch vor lautem Ausbruch bewahrt wird. Rein bildmäßig sind die Bruststücke
glänzend in den Rundraum komponiert; breit sockelartig geben Arme und
Hüften die Stütze; die Arm- und Handbewegungen sowie die leicht geschwunge-
nen Palmwedel nehmen mit dem Heiligenschein die kreiselnde Bewegung der Rund-
scheiben auf; Bewegung bringen selbst die radial geschnittenen kurzen Strahlen-
hmen des Rundrahmens.

Der Wert der gravierten Bilder liegt in der Ausdruckskraft und der Indivi-
dualisierung der dargestellten Persönlichkeiten. Es ist der völlig ausgereifte Meister,
der hier seine Karte abgibt. Man vergleiche nur einmal die temperamentvolle,
etwas laut werdende Bewegung auf dem Tragaltare der Abdinghof-Kirche, die in
größerer Abklärung erscheinenden Apostel auf dem Portatile im Paderborner
Dom und die hier vorgeführten Heiligen. Es wird dadurch unbedingt klar, daß
diese Dreifolge wirklich die einzig annehmbare ist. Allerdings ist zuzugestehen,
daß die stilistische Durchbildung des Meisters nicht in allen Teilen eine Vervoll-
kommnung bedeutet, mag die Loslösung von der Tradition immerhin von einem
stärkeren persönlichen Wollen sprechen. Was uns hier vorliegt, entbehrt der
Frische, die wir auf dem Abdinghofer Altar so sehr begrüßen und bewundern.
Anderseits ist aber auch zuzugestehen, daß Arbeiten in solch' abgeklärter Ver-
fassung den Anforderungen des Objektes, für das sie geschaffen wurden, weit
mehr entsprechen: es liegt über ihnen eine heilige, weltferne Ruhe, heilige Er-
griffenheit und ein packendes Ruhen in sich.

Es kann sich hier nicht handeln um die umstrittene Frage nach der Identität
des Rogerus, des Verfertigers des Portatile im Dome zu Paderborn mit dem Ver-
fasser der Schedula diversarum artium; wir haben hier nur den Nachweis zu er-
bringen, daß die hier veröffentlichten Platten ebenfalls jenem Rogerus zuzuweisen
sind, daß sie das Opus des völlig ausgereiften Meisters darstellen. Schon die sou-
veräne Beherrschung des Gravierverfahrens an sich bringt die Platten der Werk-
statt eines bedeutenden Meisters seiner Zeit nahe. Rogerus handhabt den Stichel
mit verblüffender Sicherheit, seine Technik setzt ihn in den Stand, wo er will,
 
Annotationen