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Zeitschrift für christliche Kunst — 32.1919

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Witte, Fritz: Zwei Michaelfiguren des Diözesanmuseums
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https://doi.org/10.11588/diglit.4306#0170

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Nr. 10/11

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST

153

rechte angewinkelte Unterarm hielt in der Hand die Lanze, die in dem Rachen
des emporgereckten Drachenkopfes steckte. Der Blick des lieblichen, kindhaften
Antlitzes ist geradeaus gerichtet. Zottige Flügel mit dekorativ symmetrisch
gekrümmten Federn sind steil emporgereckt. Im Gegensatze zu der älteren
größeren Michaelsfigur, die wulstig gelocktes
Haar aufweist, trägt der Seelenwäger länge-
res gelocktes Haar mit angedeutetem Ohr-
löckchen. Die Polychromie der 85 cm hohen
vollrunden Figur ist verhältnismäßig gut er-
halten; sie ist wesentlich einfacher ohne Poly-
ment in stumpfen Erdfarben wie die Hildes-
heimer Stuckfiguren gehalten.

Es ist interessant, die beiden Statuen
nebeneinanderzustellen. Obgleich zeitlich nicht
weit auseinanderlegend, sind sie dennoch
Kinder zweier grundverschiedener Auffas-
sungen. Schon die oberflächliche Behandlung
des Körpers, die flache Bearbeitung des Ge-
wandes, das Abgeschnittene an den Fuß-
partien, die ganze, etwas unmotivierte Hal-
tung der kleineren Figur, alles das läßt die
Qualitäten der großen Statue in hellerem
Lichte erscheinen. Hier lebt das tief unter-
schnittene Mantelstück mit dem warmlebigen
Körper; was bei der kleinen Figur dekorativ
ist, ist hier motiviert und groß in der Auf-
fassung. Man beachte einmal die köstlichen
Parallelen der lässig ausgestreckten Rechten
und des in fast gleich starken Proportionen
gehaltenen Drachenkopfes, die durch die
zarte, dem Körper wiederum parallele Lanze
verbunden werden. Das ist sicher: in dem
kleinen Michael steckt weit mehr von der
heimischen Art eines weniger bedeutenden
Meisters; sie ist aber entstanden in bewußter
Anlehnung an die große Figur. Verwandt-
schaftliche Beziehungen bestehen auch zu
den Plastiken der Brauttür der Marienkirche
zu Osnabrück5.

Die Datierung der beiden Figuren ist
insofern etwas unsicher, als wir bei der älteren einen direkten starken franzö-
sischen Einfluß feststellen zu müsren glauben. Immerhin gehen wir wohl
nicht fehl, wenn wir ihre Entstehung in das letzte Viertel des XIII. Jahrh.
verlegen, etwa um 1290. Der kleinere Michael dagegen dürfte um 1320 ent-
standen sein. Witte.

Abb. 2.

5 Kunstdenkmäler a. a. 0. Taf. XXII.
 
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