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Zeitschrift für christliche Kunst — 32.1919

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176

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST.

Nr. 12

Plastik zu einer Maßregelung des anthropo-
morphen Schönheitsprinzips gezwungen war,
um ohne große Rücksichtnahme auf Natur-
formen zu einem das Geistige betonenden Re-
sultat zu gelangen. Man hat das Bewußtsein,
bei Dvo^äks Deduktionen auf absolut siche-
rem Boden zu stehen, so logisch sind seine
Aufdeckungen über die inneren Zusammen-
hänge und leise schreitenden Entwicklungen
innerhalb der Geschichte der Geistesum-
stellung und damit auch der Umstellung der
Kunst in den verschiedenen Perioden. Und,
was so ungeheuer wichtig ist, wir werden
durch die gotische Kunst unmittelbar vor
unsere eigene aufstrebende gestellt, vor unsere
Ausdruckskunst, und mild verzeihend treten
wir auch ihren Vergewaltigungen der Natur-
erscheinungen gegenüber. Alle lauten Gegner
sollten D.s Ausführungen lesen; er beweist
ihnen, wie töricht und ergebnislos alle Stil-
nachahmung des verflossenen Jahrhunderts
bleiben mußte.

Die Kunst des jungen germanischen Volkes
im frühen Mittelalter ist antimaterialistisch,
wie der spätere gotische Idealismus. Während
aber die Frühkunst gewissermaßen eine Ver-
leugnung der Wirklichkeit der Naturformen
gewaltsam faßt und grausam durch eine ge-
wisse barbarische Transzendenz, die wir ger-
manischen Mystizismus nennen, erstrebt,
scheut sich die Gotik nicht, sich des Mittels
der Naturformen zum Ausdruck des Geistigen
zu bedienen; sie findet sich mit ihnen ab,
schlägt eine Brücke zwischen Diesseits- und
Jenseitsvorstellungen. Das ist ja das Geheim-
nis, daß in allen Naturerscheinungen ein Hin-
weis, eine Beziehung zum Schöpfer und damit
zum außerkörperlichen Zustand der Seele
besteht, daß darum auch das Mittel der Aus-
wahl natürlicher Formen zur Darstellung des
Geistigen noch längst nicht heterogen, son-
dern eben auch natürlich und selbstverständ-
lich ist. — Wollten das doch unsere Modernen
erkennen, sie würden so, und nur so vor dem
künstlerischen Nihilismus bewahrt. — Hier
geht D. auch auseinander mit Worringer, der
vor Jahren so kühn den Stein ins Rollen
brachte, indem er ebenfalls hinter das Wesen
der Kunstwerke zu gelangen suchte.

Die Antike machte ihren Schönheitskanon
zur Formel, deswegen konnte sie auch nicht
recht eigentlich das werden, was D. von der
Gotik behaupten darf: „zum Organ des
religiössubjektiven Gefühlslebens ...", „ein
erster Schritt in der allmählichen Umwandlung
zum Organ des subjektiven Seelenlebens

überhaupt." Die Gotik adelt im besten Sinne
alle Natur, die sie zur Darstellung notwendig
hat, sie konstruiert vor allem in ihren heiligen
Gestalten ein „ethisch höheres Menschen-
tum". Auf das Charakteristische, das Indi-
viduelle kommt es ihr an, das sie in den
Dingen beobachtet hat. Das behandelt D. im
zweiten Abschnitt seines Buches. Der dritte
befaßt sich dann mit dem Problem der Lösung
des ewigen Widerstreites zwischen Idealismus
und Naturalismus in der Gotik. An Jan van
Eyck wird gezeigt, wie der Wert der Natur
gehoben wird dadurch, daß sie nicht mehr als
Mittel zum Zweck allein, sondern als solche
an sich der künstlerischen Behandlung würdig
erachtet wird. Dadurch wird die Naturdar-
stellung, besser der Naturausschnitt selb-
ständig, er verliert seine Dienerrolle und wird
unabhängig von der gotischen Form, er wird
definitiv eingeführt in die neue Kunst. Nach
D.s Ausführungen kommt uns zum Bewußt-
sein, wie gerade Jan van Eyck eigentlich den
Bruch vollzogen hat mit der mittelalterlich
sakralen Kunst, die in einfacher Addition
metaphysischer oder empirischer Zusammen-
hänge und Normen das Heil sah. „Um den
vollständigen Sieg jener subjektiven Ent-
deckung der Welt in ihrer unendlichen
Mannigfaltigkeit, wie sie sich aus der mittel-
alterlichen Weltauffassung verknüpft mit
überweltlichen Voraussetzungen entwickelt
hat und nun selbst Weltanschauung und die
auf sich selbst beruhende Quelle der Kunst
geworden ist."- Mit van Eyck tritt eine grund-
sätzlich neue Auffassung des Verhältnisses
zwischen Mensch, Kunst und Umwelt zu-
tage; der Mensch erhebt sich in seinem Wir-
kungskreise in eine höhere Sphäre des geisti-
gen Weitbewußtseins.

Wenn wir D.s Ausführungen überschauen,
so scheinen auch sie mir wenigstens erneut den
Beweis dafür zu erbringen, daß Umstellungen
der künstlerischen Probleme, wie heute, so
auch im Mittelalter stets eingeleitet und mög-
lich gemacht werden durch jeweilige Kampf-
ansage seitens des menschlichen Willens an
scheinbar unumstößliche Normen und Ge-
setze; die Geschichte der germanischen Kunst
wenigstens ist eine Kriegsgeschichte, die
Geschichte des Kampfes um die Freiheit, um
Befreiung; das ist sie erst recht seit Jan van
Eyck. So mag jeder Leser mit sich selbst
zu Rate gehen, ob er auch für unsere Tage
eine wesenhafte Umstellung in der Kunst für
möglich oder gar für notwendig und selbst-
verständlich halten will.
 
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