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Segers-Glocke, Christiane [Editor]; Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Editor]; Institut für Denkmalpflege [Editor]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Haus Altenkamp - ein Herrensitz im Emsland: Denkmalpflege und Kulturgeschichte — Hameln: Niemeyer, Heft 18.2000

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Gutsbetrieb und Principalgarten
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Michaels, Sonja: Die Wohnverhältnisse am Ende des 18. Jahrhunderts
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https://doi.org/10.11588/diglit.51269#0039
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Leben auf Gut Altenkamp - Ein Blick ins 18. Jahrhundert

einzelnen Räume nach bestimmten Funktionen nur wenig diffe-
renziert gewesen. Einen aufschlussreichen Bericht über die Lebens-
verhältnisse der Durchschnittsbevölkerung der Region gibt der
Geistliche Johann Gottfried Hoche, der im Jahre 1798 das Sater-
land, Ostfriesland und Groningen bereiste: „Vor uns lag eine An-
zahl elender Hütten, in welchen das halb vermoderte Strohdach
die armen Bewohner gegen Sturm und Regen nicht schützt. Was
das Herz erfreuet, und Luft zum Leben erzeugt, ist fern von die-
sen Grenzen. (...) Ich war in eine solche Hütte gegangen, um eini-
ge Erfrischungen zu suchen. Vergebens. Zwei weinende Kinder
lagen auf dem gestampften Lehmboden und hielten die harte
Rinde des schwarzen Brods in der Hand, um sie gegen den hung-
rigen Haushund zu schützen. Die Mutter trat endlich hervor, um
mir zu versagen, was ich so sehnlichst wünschte, Milch oder Bier."3’
Auch in anderen Reiseberichten aus dem Ende des 18. Jahr-
hunderts zeichnen die Schreiber ein trauriges Bild. So berichtet
Prof. Dr. Mauritz Dettens über den Hausbau und die Raumauftei-
lung der Häuser im Moor: „Die Dusstorfwände (von dus = trübe,
düster) werden mit Leim bestrichen und beweißt. (...) Die gemei-
nen Leute decken mit Heideplaggen, mit Stroh durchstochen, ihre
Dächer. Auch decken sie ganze Häuser von dicken Plaggen. (...)
Ein solches Haus ist einem Dache ohne unterstützende Wände
ähnlich. Die Holzpfähle sind in der Erde gesteckt und stossen im
Giebel zusammen. Der Zwischenraum wird statt mit Steinen, mit
Plaggen die wie Backstein aufeinander liegen, und worüber ande-
re dünnere, wie Pfannen hergelegt sind, ausgefüllt. An dem einen
Ende des Hauses ist der Feuerheerd und oben im Dache ein Licht
zum Abzüge des Rauchs. Noch giebt es ein oder ein paar Löcher
zur Seite, die statt Fenster dienen und zuweilen auch Glas enthal-
ten. Dieses Haus hat zwei Abtheilungen der Quere nach. Die eine
ist die Diele, die andere die Küche. Zwischen beiden Abtheilungen
befinden sich zwei Bettladen, zwischen welchen ein Gang die
beiden Abtheilungen miteinander verbindet."32
Es handelt sich also um einen kammerfachlosen Bau, d.h. es
fehlt ein beheizbarer separater Raum (Stube) bzw. eine Kammer.
Diese einfache Hausform wurde von den bäuerlichen Unterschich-
ten teilweise bis in unser Jahrhundert errichtet.33 Offensichtlich
wirkten derartige Hausformen auf den zeitgenössischen auswär-
tigen Betrachter recht altertümlich: „Die Bauern aber haben
hinten auf der Diele ihre Feuerstelle. Ueber derselben hängt an
einem hölzernen Arme das Hängehahl. Dieser Arm ist so lang,
dass wenn an seine Spitze die Lampe gehangen wird, die Diele
mit erleuchtet wird. Der Rauch steigt durch einen unten weiten
hölzernen Rauchfang und Schornstein zum Dache hinaus. Um
diese Feuerstelle ist die Familie gelagert, und hat beständig das
Vieh und alle Thüren im Auge. (...)".34
Eine große Anzahl von Möbeln kann hier nicht erwartet
werden, zumal die Region auch arm an Holz war: „Das Holz ist
elend und wenig. Daß das Holz nicht gut fortkomme, beweisen
die zu Clemenswerth von Clemens August gemachten Holzan-
lagen. (...) Daß zu Esterwege befindliche Gehölz ist das beste im
ganzen Niederstifte. Die Leute brauchen aber auch wenig Holz;
weil sie Torf brennen. Sie haben es blos nöthig zum Bau und
Möbeln, wozu es ihnen freilich oft mangelt."35
Anders sah die Wohnsituation in den Städten aus. Hier herr-
schten bessere wirtschaftliche Verhältnisse. In Papenburg zeigen
sich beispielsweise deutlich niederländisch geprägte Häuser, die
im krassen Gegensatz zu den Bauten der Moorgebiete stehen.
Ein Reisebericht aus dem Sommer 1798 von Dr. med. U. J.
Seetzen und dem Juristen D. U. Heinemeyer aus Jever beschreibt
die „freye Herrlichkeit Papenburg" folgendermaßen: „Auf beyden
Seiten dieser Canäle stehen die Häuser. Sie sind alle nur ein Stock-
werk hoch, mit Ziegelmauern und auf Holländische Art mit Gie-
beln versehen, und überdies grösstentheils mit Dach-Ziegeln ge-
deckt. (..,), und man sieht die ungeheuren Scheunen-Thüren, statt


3 Raumansicht des Gartensaales in der Ausgestaltung des späten 19. Jahr-
hunderts.


4 Innenansicht mit Tapisserie. Wandteppiche wurden üblicherweise in den
Inventaren nicht erwähnt, da sie zur Immobilie zählten.

der gewöhnlichen Hausthüren, hier häufig. Die hiesigen Häuser
haben im Ganzen genommen ein gutes, wohlerhaltenes Ansehen
und übertreffen hierin die Häuser der übrigen Münsterschen
Geest-Dörfer bey weiten."36
Als Wärmequelle fungierte in den Bürgerhäusern ein Platten-
herd37 -wegen seiner rauchfreien Wärme ein enormer Fortschritt
gegenüber den offenen Herdstellen auf dem Lande.
Doch welches Selbstverständnis präsentiert sich in den ver-
gleichsweise luxuriösen Wohnausstattungen des Adels, gerade
wenn man diese mit den ärmlichen Lebensumständen der länd-
lichen Durchschnittsbevölkerung betrachtet und vergleicht.38
Noch Ende des 18. Jahrhunderts existierte eine hierarchisch
geordnete Ständegesellschaft. Die Machtverteilung war eindeutig
geregelt: an der Spitze stand der König mit den (hohen) Adligen.
Danach folgten das Bürgertum und zum Schluss, als dritter Stand,
die Bauern, die kleinen Handwerker und das Dienstpersonal.
Niemand durfte es wagen, besser zu bauen und zu wohnen
als es ihm zustand. Damit spiegelt die Haus- und Raumstruktur
die Gesellschaftsordnung im Kleinen wider.39

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