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Allgemeine Kunstchronik: ill. Zeitschr. für Kunst, Kunstgewerbe, Musik, Theater u. Litteratur — 15.1891

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Allgemeine Kunst-Chronik. XV. Band Nr. 1
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https://doi.org/10.11588/diglit.73795#0031
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Allgemeine Kunst-Chronik.

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mehrere Andere. Am Jungfernstieg hat der genannte
Kunsthändler Karl Marr's „Flagellanten" in einer Sonder-
ausstellung zur Ansicht gebracht.
Paris. Die Sammlung jüdischer Alter-
thümer, die der frühere Kapellmeister der Hof- und
Opernbälle Isak Strauß im Laufe von 50 Jahren ver-
einigt und in der englisch-jüdischen Ausstellung der
Royal Alberthall zu London 1887 ausgestellt hatte, ist
von der Baronin Nathaniel von Rothschild in das
Museum von Cluny gestiftet worden. Die Sammlung um-
fasst 120 Gegenstände, darunter ein im alten Judenviertel
von Lyon ausgegrabener achtarmiger Leuchter, der Stirn-
seite einer Kirche nachgebildet, im romanischen Stil des
XIII. Jahrhunderts; eine Bundeslade (Aron hakodesch)
aus der Synagoge von Modena, im Stil der italienischen
Renaissance, mit gothischem Schnitzwerle aus Nussbaum-
holz; eben dorther ein Betpult (theba) im selben Stile;
eine tragbare Bundeslade aus getriebenem Silber mit
einer musizirenden Engelsgestalt ; sieben-, acht- und neun-
armige Leuchter aus Holz, Silber, Kupfer u. s. w., sehr
schöne Büchsen für Wolgerüche (aftaba) aus Silber-
filigran und farbigen Steinen, und Emails, biblische Vor-
gänge darstellend, oder aus getriebenem Silber, Kupfer,
Bronze; kostbare Metallstäbe mit einer Hand, deren aus-
gestreckter Zeigefinger zum Verfolgen des Textes in den
heiligen Büchern dient; zahlreiche Verlobungsringe in
emaillirtem Gold; kunstvoll verzierte Beschneidungs-
werkzeuge; Standbildchen von Moses und Aaron; Amu-
lette, Gebetbücher u. s. w.

Kunst-Versteigerungen.
Wien. Am 12. d. M. und den folgenden Tagen
wird in den Räumlichkeiten des Wiener Künstlerklubs,
Graben 10, durch Kunsthändler C. J. Wawra die Ge-
mäldesammlung moderner Meister von Herrn Fr.
Terzer (Wien) und die Antiquitätensammlung
von Herrn E. Nollet (Paris), die vom 8. bis II.
öffentlich ausgestellt werden, versteigert. In der ersteren
sind zumeist österreichische Künstler vertreten, wie
Amerling, H. Charlemont, J. Blaas, Th. Ender, Fendi,
Gauermann, J. Gisela, v. Haanen, Hamza, Munsch, Ober-
müllner, Pettenkofen, Raffalt Vater und Sohn, J. Ranftl,
Ribarz, Ritter, K. Schindler, Schramm, Schrödl, Wald-
müller, und besonders stattlich Alb. Zimmermann; von
den fremden sind zu nennen: T. Conti, Delestre, Harte-
rich, H. Salmson.
Die von ihrem Besitzer im Laufe langer Jahr-
zehnte mit unermüdlicher Liebe vereinigte Antiquitäten-
sammlung Nollet's ist — ein in seiner Art neuer, kühner
Versuch — vom Antiquitätenhändler Egger als Ganzes
in Paris erworben und auf den Wiener Kunstmarkt ge-
bracht worden, der, wir zweifeln nicht daran, seine Auf-
nahmsfähigkeit bewähren wird. Sind doch in dieser
Sammlung herrliche, echte Kunstschätze geboten, wie
zahlreiche Palissys, z. B. zwei ausgezeichnet schöne
Exemplare ovaler vertiefter Schüsseln von besonderer
Schärfe und leuchtenden Farben und geschmackvoller
Komposition; ein sehr gut erhaltenes Limusiner Re-
liquienkästchen aus dem XII. Jahrhundert und ein sehr
schöner Buchdeckel in Grubenemail aus dem XIII. Jahr-

hundert ; prächtige französische Holzschnitzereien wie
eine ursprünglich vergoldete und bemalte Madonna mit
den Tauben aus dem Ende des XV. Jahrhunderts; ge-
schmackvolle flamändische und fianzösische Möbel aus
dem XV. und XVI. Jahrhundert; nicht zu vergessen
eine Anzahl prächtiger Waffen.
Paris. Die Versteigerung der Kunstgegenstände
aus der Sammlung Lancey durch Sedelmeyer bat
430.594 Francs abgeworfen. Und zwar brachte unter
Anderem ein Corot „Morgen und Abend" 2360; ein
I-abey „Umgang in der Kathedrale von Toledo"
16.350, „Der alte Hafen von Boulogne" von demselben
21.200; eine Marmorgruppe „Leda und Jupiter" von
Carrier-Belleuse 1960; ein Gobelin (Louis XIV.) „Apo-
theose des königlichen Wappens von Frankreich" 18.100,
ein anderer (Louis XV.) „Triumph der Amphitrite" nach
Boucher 26.000; vier Brüsseler (Regence) Tapeten
„Venus im Bade", „Orpheus mit Agamemnon", „Diana
von Orpheus angelockt", „Opfer an Silen" 25 500; drei
Aubusson-Teppiche (Louis XV.) nach Huet und Boucher
18.900 Francs. — Die „Gesellschaft der französischen
Pastellmaler" veranstaltet zu Gunsten der Witwe und
Tochter J. Lewis - Brown's eine Versteigerung,
zu deren Beschickung die Künstler aller Fächer auf-
gefordert werden.

Wiener Theater.
Ein neuer Kassenmagnet scheint unserem Musen-
tempel am Opernring gewonnen in dem von Gaul und
Hassreiter verfassten Ballet „Tanzmärchen". Auch
der verwöhnteste Balletfreund mag wähnen, ein Traum-
bild aus Tausend und eine Nacht zu sehen. Boten die
„Wiener Walzer" eine geschichtliche Lokalstudie, so um-
fassen im „Tanzmärchen" die weitausgespannten Arme des
Balletmeisters den Erdball und führen uns die wichtigsten
kulturellen Entwicklungsphasen der gesammten zivilisirten
morgen- und abendländischen Menschheit durch aller-
hand künstliche Beingymnastilr in jagenden, gravitätischen
und hopsenden Rhythmen vor.
Mangels einer eigentlichen Handlung sowie eines
verbindenden Fadens, der die einzelnen Prachtbilder,
die vor dem Beschauer entrollt werden, verknüpft, sucht
ein mythologisches Vorspiel die dramatische Ehre zu retten.
Es spielt auf dem Parnass, wo sich Herr Bayer, oder
richtiger gesagt der Sicilianer Andron an Flötengetute
erlustigt. Richtig springen, angelockt von den neckischen
Klängen, eine zierliche Oreade und ein alter bock-
fiißiger Pan herbei und machen ihren ersten possirlichen
Tanzversuch, worauf Apoll, von Andron beschworen,
erscheint und aus der harmonischen Vereinigung der
Musik, Poesie und Plastik die Muse der Tanzkunst
schafft. Als diese im Verein mit der Musik sich zur
Erde niederlässt, werden ihr vom Genius der Zeit ein
Opfermesser, ein Schleier, ein Blumenkranz und Speer
dargereicht und vom finstern „Geist des Heidenthums"
eine brennende Fackel in die Hand gedrückt, wobei sie
entsetzt zurückweicht und ihre Wanderung im Zeit- und
Weltenraum beginnt. Die erste Szene des folgenden
Tanzdramas spielt auf der Höhe des Kahlenbergs im
geheiligten Eichenhaine der keltischen Vrudonen.
 
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