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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 25.1909

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Heft 4
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Widmer, Karl: Das abstrakte Ornament in der Entwicklung der modernen Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.42077#0037

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1909

ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

Heft 4

Landgericht III in Charlottenburg. Erbaut vom Kgl. Ministerium der öffentlichen Arbeiten in Berlin.
Oberleitung; Geh. Oberbaurat P. Thoemer in Berlin.


Das abstrakte Ornament in der Entwicklung der modernen Kunst.
Ein Rückblick von Professor Karl Widmer in Karlsruhe.

Jede stilisierte Ornamentform kann sich dem abstrakten Orna-
ment nähern. Denn durch die Vereinfachung der Dar-
stellung, welche die ornamentalen Linien aus dem Naturvorbild
herausholt, verflüchtigt sich das Gegenständliche von selbst.
So haben z. B. durch die konsequente Stilisierung der Pflanzen-
form die Eierstäbe, Palmetten, Rosetten u. s. w. der Antike
ihren abstrakten Charakter erhalten. Auch in der modernen
Kunst spielt dieser Übergang der stilisierten Naturform in die
abstrakte Form eine große Rolle; z. B. im modernen Künstler-
schmuck: Käfer, Schmetterlinge, Blumen u. dergl. werden
Schmuckformen zu Grunde gelegt, welche die Form des Natur-
vorbilds nur noch ahnen lassen.
Von wesentlich andern Voraussetzungen geht aber das
abstrakte Ornament aus, welches in der modernen Kunst als
Prinzip einer neuen Stil¬
entwicklung auftritt. Es ist
der Ausdruck einer künstleri¬
schen Bewegung, die mit dem
darstellenden Ornament über¬
haupt bricht. Indem sie die
Natur als Quelle der Ornament¬
form grundsätzlich verwirft,
entwickelt sie ihre ornamentale
Sprache ausschließlich aus den
in Rhythmus und Proportion
gegebenen Gesetzen der Linie.
Die Linie als »reiner Gefühls¬
ton«, als »Mittel der Äuße¬
rungen von Freude, Schlaff¬
heit, Heiterkeit, Schutz, Wiegen,
Schlummer«, soll »keinen an¬
dern Gesetzen unterworfen
werden, als denen, welche ihr
Harmonie und Gleichgewicht
anstrebendes Ziel ihr auferlegt«
(van de Velde). Von jeder dar¬
stellenden Nebenabsichtbefreit,
soll also das Ornament seiner
eigentlichen Aufgabe als Stim¬
mungsträger den reinsten,
absolutesten Ausdruck geben.

In diesem Sinne ist das abstrakte Ornament jedenfalls die
strengste und folgerichtigste Konsequenz des Prinzips, daß
das Wesen des Ornaments keine Schilderung, sondern ein
sinnlicher Formen- und Farbeneindruck ist. Es äußert sich
darin ein geistiger Zusammenhang dieser künstlerischen Rich-
tung mit dem Grundgedanken des Impressionismus, der ja
auch die Aufgabe der Kunst nicht in der inhaltlich-tatsäch-
lichen Wiedergabe der Dinge an sich, sondern in dem sinn-
lich-psychischen Eindruck ihrer Erscheinung sucht. Das
gegenstandslose Ornament ist der Ausdruck impressionistisch-
moderner Kunstanschauung in seiner prägnantesten Fassung.
Seine führenden Vertreter, wie van de Velde und Pankok, wie
sie vielfach Maler von Haus aus sind, haben das Wesen des
Impressionismus gleichsam ins Ornament übersetzt. Sie haben
sich damit zugleich das schmieg-
samste Ausdrucksmittel einer
subjektiven Künstlerempfin-
dung geschaffen. Die ganze
moderne Stilbewegung hat ja
damit eingesetzt, daß sich die
Künstler an Stelle der geschicht-
lich überlieferten Ornament-
formen die Quellen einer eige-
nen ornamentalen Sprache auf-
schlossen: im Gegensatz zu
der konventionellen Ornamen-
tik der historischen Stile eine
Ornamentik von persön-
lichem Charakter. Das ab-
strakte Ornament ist das per-
sönliche Ornament in seiner
ausgesprochensten Form.
Aber im Extrem liegt auch
schon die Gefahr. Das bloße
Rhythmus- und Proportions-
gefühl ist eine vage Gestal-
tungsbasis, auf der die Orna-
menterfindung leicht in Will-
kür und Phantastik verfällt.
Wo das gegenstandslose Orna-
ment in der alten Kunst auf-


Aussichtshaus auf einer
Waldlichtung.

27

Architekten: Professor
P. Schmohl & G. Staehelin in Stuttgart.
 
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