ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU
Heft 12
1909
Landhaus des Herrn Julius Vorster Architekt: Geh. Baurat Otto March
in Obercassel. in Charlottenburg.
Von Nordosten gesehen.
Große Berliner Kunstausstellung 1909.
Die Architektur auf der Großen Berliner Kunst-
ausstellung 1909.
Von einer Architekturabteilung im Sinne einer geschlossenen Zusammen-
fassung der ausgestellten Werke ist diesmal nicht wohl zu reden, denn der
langgestreckte Doppelraum neben dem Skulpturensaal enthält nur den
größeren Teil der Arbeiten. Eine kleinere, aber weder inhaltlich noch hin-
sichtlich des Verfassers einheitliche Gruppe ist in einem Kabinett unter-
gebracht, das von dem Hauptraum durch einen Bildersaal getrennt ist und
weit davon, jenseits der langen Flucht der Mittelsäle, finden sich zwischen
den Kabinetten für Bilder und Kleinplastiken noch zwei kleine zusammen-
hängende Räume von intimer Wirkung, in denen in vortrefflichen photo-
graphischen Aufnahmen größten Maßstabes eine Auswahl von Architektur-
bildern aus den Schöpfungen Ludwig Hoffmanns gegeben ist.
Ob damit eine ähnliche Durchdringung und Verschmelzung beabsichtigt
ist, wie zwischen den Werken der Malerei, Bildnerei und des Kunstgewerbes?
Jedenfalls wird dem Aschenbrödel »Architektur« damit kein besonderer
Dienst erwiesen, und mancher, der bei beschränkter Zeit nur die Architektur-
ausstellung besuchen will, wird die Nebenräume übersehen, da auch im
Katalog kein entsprechender Hinweis sich findet. Für das große Publikum
aber würde eine einheitlichere Zusammenfassung alles Zusammengehörigen
doch ein bedeutenderes, dem vortrefflichen Inhalt entsprechenderes äußeres
Bild geboten haben.
Freilich, eins der Leitmotive der gegenwärtigen architektonischen
Bestrebungen: Erkenntnis und Wertschätzung alter Städtebaukunst und
malerischer Straßenbilder im ganzen, wie der traulichen schlichtbürgerlichen
Wohnhäuser vergangener Zeiten in Nord und Süd unseres großen Vater-
landes, tritt auch in den Bildersälen sehr bemerkenswert in den Vordergrund.
So wird auch hier gar manche treffliche Architekturaufnahme, manches
prächtige, wenig bekannte Stück alter bodenständiger Baukunst im vollen
Zauber der Farbenwirkung dem allgemeinen Interesse nähergebracht und
damit indirekt, aber nicht weniger nachdrücklich, für die Wirksamkeit des
Heimatschutzes und der Denkmalpflege der Boden bereitet.
Wahrung bezw. Wiedergewinnung einer einheitlichen, den örtlichen
und landschaftlichen Verhältnissen gemäßen und somit wieder zu örtlicher
Eigenart führenden Bauweise gewinnen immer mehr ausschlaggebende
Bedeutung. Von der unbekümmerten Betätigung des Gestaltungsdranges
und dem oft neid- und leidvollen Ringen um neue Schlager setzt sich das
architektonische Schaffen zu immer erfreulicherer Selbstzucht durch, die
in maß- und stimmungsvoller Einpassung des Hauses in die Straße, des
Monumentalbaus in die Silhouette der Stadt und des freistehenden Land-
hauses wie ganzer Gebäudegruppen in die Landschaft die Baugesinnung
Hansabrücke in Berkn. Architekt: Professor Bruno Möhring
Nach dem Modell. in Berlin.
Große Berliner Kunstausstellung 1909.
wieder zu betätigen sucht, welche aus den Werken der Vergangenheit eine
so beredte und herzgewinnende Sprache zu uns redet.
Dieses Streben hat der Mehrzahl der ausgestellten Arbeiten eine größere
innere Gleichwertigkeit ohne Schädigung der persönlichen Selbständigkeit, dem
Gesamteindruck trotz der Verschiedenheit der
Hansabrücke in Berlin. (Nach dem Modell.) Architekt: Professor Bruno Möhring in Berlin.
Große Berliner Kunstausstellung 1909.
Aufgaben und der Hervorhebung der Landes-
und Stammeseigentümlichkeiten eine wohl-
tuende Ruhe und Einheitlichkeit verliehen, deren
künstlerische Wahrheit durch die charakter-
vollen Werke der fremden Meister Saarinen
und Berlage kräftig hervorgehoben wird.
Als Beispiele zielbewußter An- und Ein-
passung seien die Wettbewerbentwürfe für das
Spandauer Rathaus von Drescher & Berghoff
und Heidenreich & Michel, für das Rudolstädter
Rathaus von Alfred Herrmann, der preisge-
krönte Entwurf von Otho Orlando Kurz für ein
Schulhaus in Meiningen, J.Theedes Kieler Stadt-
ldoster und seine Landkirchen für Laboe und
Gundelsby, Martin Hermanns Kirche mit Pfarr-
haus für Felleringen (Oberelsaß) und die
Landesheil- und Pflegeanstalt bei Herborn a.Dill
von Schmieden & Boethke genannt. Auch
Steinmetz & Müller haben in ihrer Gruppe von
Kirche und Pfarrgehöft für einen Gutsbezirk
bei Posen den Anschluß an die friderizianische
Barockzeit gut getroffen. Hervorragende städte-
baukünstlerische Leistungen zeigen Gustav
Schmolls Straßendurchbruch in Saarbrücken
und Richard Woernles Wettbewerbentwurf
(1. Preis) für die Umgestaltung des Ulmer
Münsterplatzes. Den Abschluß einer großen
Aufgabe, wie sie im Aufbau der modernen
Großstädte leider noch selten einem berufenen
Künstler anvertraut werden, gibt Bruno Schmitz
in seinem Reiß-Museum für den Friedrichsplatz
in Mannheim (Tafel 97).
99
Heft 12
1909
Landhaus des Herrn Julius Vorster Architekt: Geh. Baurat Otto March
in Obercassel. in Charlottenburg.
Von Nordosten gesehen.
Große Berliner Kunstausstellung 1909.
Die Architektur auf der Großen Berliner Kunst-
ausstellung 1909.
Von einer Architekturabteilung im Sinne einer geschlossenen Zusammen-
fassung der ausgestellten Werke ist diesmal nicht wohl zu reden, denn der
langgestreckte Doppelraum neben dem Skulpturensaal enthält nur den
größeren Teil der Arbeiten. Eine kleinere, aber weder inhaltlich noch hin-
sichtlich des Verfassers einheitliche Gruppe ist in einem Kabinett unter-
gebracht, das von dem Hauptraum durch einen Bildersaal getrennt ist und
weit davon, jenseits der langen Flucht der Mittelsäle, finden sich zwischen
den Kabinetten für Bilder und Kleinplastiken noch zwei kleine zusammen-
hängende Räume von intimer Wirkung, in denen in vortrefflichen photo-
graphischen Aufnahmen größten Maßstabes eine Auswahl von Architektur-
bildern aus den Schöpfungen Ludwig Hoffmanns gegeben ist.
Ob damit eine ähnliche Durchdringung und Verschmelzung beabsichtigt
ist, wie zwischen den Werken der Malerei, Bildnerei und des Kunstgewerbes?
Jedenfalls wird dem Aschenbrödel »Architektur« damit kein besonderer
Dienst erwiesen, und mancher, der bei beschränkter Zeit nur die Architektur-
ausstellung besuchen will, wird die Nebenräume übersehen, da auch im
Katalog kein entsprechender Hinweis sich findet. Für das große Publikum
aber würde eine einheitlichere Zusammenfassung alles Zusammengehörigen
doch ein bedeutenderes, dem vortrefflichen Inhalt entsprechenderes äußeres
Bild geboten haben.
Freilich, eins der Leitmotive der gegenwärtigen architektonischen
Bestrebungen: Erkenntnis und Wertschätzung alter Städtebaukunst und
malerischer Straßenbilder im ganzen, wie der traulichen schlichtbürgerlichen
Wohnhäuser vergangener Zeiten in Nord und Süd unseres großen Vater-
landes, tritt auch in den Bildersälen sehr bemerkenswert in den Vordergrund.
So wird auch hier gar manche treffliche Architekturaufnahme, manches
prächtige, wenig bekannte Stück alter bodenständiger Baukunst im vollen
Zauber der Farbenwirkung dem allgemeinen Interesse nähergebracht und
damit indirekt, aber nicht weniger nachdrücklich, für die Wirksamkeit des
Heimatschutzes und der Denkmalpflege der Boden bereitet.
Wahrung bezw. Wiedergewinnung einer einheitlichen, den örtlichen
und landschaftlichen Verhältnissen gemäßen und somit wieder zu örtlicher
Eigenart führenden Bauweise gewinnen immer mehr ausschlaggebende
Bedeutung. Von der unbekümmerten Betätigung des Gestaltungsdranges
und dem oft neid- und leidvollen Ringen um neue Schlager setzt sich das
architektonische Schaffen zu immer erfreulicherer Selbstzucht durch, die
in maß- und stimmungsvoller Einpassung des Hauses in die Straße, des
Monumentalbaus in die Silhouette der Stadt und des freistehenden Land-
hauses wie ganzer Gebäudegruppen in die Landschaft die Baugesinnung
Hansabrücke in Berkn. Architekt: Professor Bruno Möhring
Nach dem Modell. in Berlin.
Große Berliner Kunstausstellung 1909.
wieder zu betätigen sucht, welche aus den Werken der Vergangenheit eine
so beredte und herzgewinnende Sprache zu uns redet.
Dieses Streben hat der Mehrzahl der ausgestellten Arbeiten eine größere
innere Gleichwertigkeit ohne Schädigung der persönlichen Selbständigkeit, dem
Gesamteindruck trotz der Verschiedenheit der
Hansabrücke in Berlin. (Nach dem Modell.) Architekt: Professor Bruno Möhring in Berlin.
Große Berliner Kunstausstellung 1909.
Aufgaben und der Hervorhebung der Landes-
und Stammeseigentümlichkeiten eine wohl-
tuende Ruhe und Einheitlichkeit verliehen, deren
künstlerische Wahrheit durch die charakter-
vollen Werke der fremden Meister Saarinen
und Berlage kräftig hervorgehoben wird.
Als Beispiele zielbewußter An- und Ein-
passung seien die Wettbewerbentwürfe für das
Spandauer Rathaus von Drescher & Berghoff
und Heidenreich & Michel, für das Rudolstädter
Rathaus von Alfred Herrmann, der preisge-
krönte Entwurf von Otho Orlando Kurz für ein
Schulhaus in Meiningen, J.Theedes Kieler Stadt-
ldoster und seine Landkirchen für Laboe und
Gundelsby, Martin Hermanns Kirche mit Pfarr-
haus für Felleringen (Oberelsaß) und die
Landesheil- und Pflegeanstalt bei Herborn a.Dill
von Schmieden & Boethke genannt. Auch
Steinmetz & Müller haben in ihrer Gruppe von
Kirche und Pfarrgehöft für einen Gutsbezirk
bei Posen den Anschluß an die friderizianische
Barockzeit gut getroffen. Hervorragende städte-
baukünstlerische Leistungen zeigen Gustav
Schmolls Straßendurchbruch in Saarbrücken
und Richard Woernles Wettbewerbentwurf
(1. Preis) für die Umgestaltung des Ulmer
Münsterplatzes. Den Abschluß einer großen
Aufgabe, wie sie im Aufbau der modernen
Großstädte leider noch selten einem berufenen
Künstler anvertraut werden, gibt Bruno Schmitz
in seinem Reiß-Museum für den Friedrichsplatz
in Mannheim (Tafel 97).
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