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Der ephesische Artemistempel

lenstellung, die von einer Attika bekrönt
wird. Vor die Eingangsfront ist eine
spitzgiebelige, viersäulige Portikus gela-
gert, die einer Münzabbildung des Tem-
pels nachgebildet ist. Optisch dominieren
bei seinem Entwurf nicht licht- und luft-
durchlässige Säulenstellungen, sondern
geschlossene Mauermassen.

Es sind riesige Mauermassen, die auch
viele Reisende des 18. Jhs. als Überreste
des einstigen Weltwunders erwartet haben.
So hielten die meisten Besucher der Rui-
nenstadt die Trümmer des römischen
Hafengymnasiums und dessen Substruk-
tionsgewölbe für das Artemision. Zu
ihnen gehörte auch der Engländer Ed-
ward Falkener, der sich für eine wissen-
schaftliche Erforschung dieser Ruine
durch die englische Regierung einsetzte.
In seinen <Travels in Asia Minor> (er-
schienen 1776) wies Richard Chandler
zwar auf die Unhaltbarkeit dieser These
hin und deutete die Ruinen richtig als
Gymnasium, doch glaubte auch er, daß
der Tempel über Gewölbesubstruktionen
errichtet worden sein müsse. Auch das
Tor des immer sichtbaren Stadions wurde
von vielen Reisenden für den Eingang
des Tempels der Artemis gehalten.

Der besondere Anreiz, das Artemision
auszugraben, beruhte ohne Zweifel auf
seiner antiken Einschätzung als Welt-

wunder. Das Interesse an antiken Welt-
wundern dürfte nicht unbeeinflußt gewe-
sen sein von den damals hoch im Kurs
stehenden Weltausstellungen, bei denen
ebenfalls <Weltwunderbauten> errichtet
wurden (z. B. der Kristallpalast in Lon-
don, der Eiffelturm in Paris usw.). Es
wäre eine Untersuchung wert, den Vor-
bildcharakter und die stimulierende Wir-
kung herauszufmden, welche die antiken
Weltwunder auf die Erbauer und Zeitge-
nossen der Weltausstellungen ausübten,
ausgehend nicht zuletzt von der Vorstel-
lung, daß die Verbindung von Kunst und
Technik ein antikes Weltwunder ausma-
che. Die langjährige vergebliche Suche
nach dem Bauwerk mit den immer neu
einsetzenden Ausgrabungen hat das Rät-
selhafte des Heiligtums wachgehalten. So
schreibt der Entdecker des Artemisions,
der englische Eisenbahningenieur John
Turtle Wood (Abb. 5 ): «Indem ich diese
Ausgrabung, die 1863 begonnen wurde,
unternehme, ist es meine Absicht, die
Überreste des großen Tempels der Diana
zu finden, welche so lange Zeit unter der
Erde begraben liegen. Über der Erde fin-
det sich keine einzige Spur, und viele
zweifeln deshalb daran, daß das Gebäude
überhaupt existiert hat.»

Durch die Entdeckung des Artemisions
durch Wood und seine Grabungen wurde

zum ersten Mal die Vorstellung vom Ar-
temision als Weltwunder von der Phanta-
sie in die Realität übertragen. Und auch
nach den dann folgenden Ausgrabungen
ist das Artemision als etwas Einzigartiges
anzusehen. Denn obgleich gerade im Be-
reich der Antike die ausgegrabenen
Überreste des menschlichen Lebens oft
ein redundantes Bild ergeben, haben die
Grabungen im Artemision gezeigt, daß
hier nur wenig wiederholt wird, was es
sonst in der Antike gab.

John Turtle Wood identifizierte zwei
Marmortempel. Da der ältere bereits
durch einen Brand zerstört war, kann als
Weltwunderbau aber nur der Tempel des
4. Jhs. v. Chr. gelten.

Denn nur jenen konnten die hellenisti-
schen Gelehrten, welche die ersten Welt-
wunderlisten aufstellten, gesehen haben.
Dieser Bau war immerhin 125 m lang und
am Stiegenaufgang etwa 72 m breit und
bis zum First 32 m hoch. Besonders
beeindruckend muß gewesen sein, daß
der gesamte Bau aus Marmor gefertigt
war, was zwar für Kleinasien selbstver-
ständlich war, nicht jedoch für Reisende,
die aus Griechenland kamen.

Das Artemision ist jedenfalls nicht zu-
fällig ein antikes Weltwunder. Die bishe-
rigen Ergebnisse der Ausgrabungen und
Forschungen führten zu einer Vielfalt an
Fragestellungen zum antiken Leben, die
weit über Architektur, Kunst und Reli-
gion hinausgehen. Die wichtigsten Er-
gebnisse für die Klassische Archäologie
sind die Entdeckung eines großen Hofal-
tares als Vorbild für spätere antike Archi-
tektur, die Ausgrabung des bisher älte-
sten Peripteros der griechischen Bauge-
schichte, der Beitrag zur Datierung der
Elektronmünzen und die Entdeckung des
Zusammenhanges mehrerer nebeneinan-
der existierender Kultplätze. Von spe-
zieller Bedeutung ist außerdem die Ent-
deckung einer bronzezeitlichen Vergan-
genheit im Artemision.

Abb. 7 Münze aus römischer Zeit mit vier-
säuligem Artemision und Bild der ephesi-
schen Artemis, von deren Händen Wollbin-
den herabhängen. Der auf einem Stufenbau
stehende Tempel zeigt im spitzen Giebel drei
Öffnungen; über der mittleren ein rundes
Emblem. Der Bau weist vier ionische Säulen
mit Basen auf. Silber-Cystophor, 117 n. Chr.,
Wien, Kunsthistorisches Museum, Münz-
kabinett.
 
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