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Das Jüngere Artemision

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schen Aufstand und während der atheni-
schen Herrschaft verloren, war ein alter
Traum.

Denn alle Schichten der Bevölkerung
wollten offenbar die Vorstellung von
Autonomie architektonisch zum Aus-
druck bringen. Strabon (XIV C 633) sagt
nämlich, daß die Ephesier das Angebot
Alexanders zum Wiederaufbau des Tem-
pels abgelehnt haben. Sie haben ihn mit
ihrem eigenen Geld bezahlt. Die Vorstel-
lung von Autonomie manifestiert sich in-
soweit auch in der architektonischen
Sprache, als man bei den Details auf tra-
ditionellen Formen beharrte und damit
die architektonische Sprache Athens ab-
lehnte.

Die Bevölkerung in den ionischen
Städten war politisch gespalten, ver-
schiedene soziale Schichten hatten ihre
traditionellen Stützen verloren, die fort-
schrittlichen Kräfte waren enttäüscht.

Abb. 63 (S. 56) Rekonstruktion des archai-
schen Tempels nach F. Krischen, hier aber
mit reliefierten Säulentrommeln direkt unter
den Kapitellen. Westliche Frontseite mit
Blick in die Vorhalle. Diese Zeichnung ver-
mittelt einen Eindruck von dem langen -
durch Löwenkopfwasserspeier unterbroche-
nen - figürlichen Simenfries des Baues (vgl.
Abb. 65, 66).

Abb. 64 (S. 57) Rekonstruktion des spät-
klassischen Baues nach F. Krischen mit Ver-
änderungen von A. Bammer. Hier sind die
reliefierten Trommeln direkt unter das Kapi-
tell gesetzt. Man sieht die Südwestecke des
Baues mit einem zehnstufigen Unterbau.

Das Beharren auf traditionellen Symbo-
len zeigt sich etwa bei den reliefierten
Säulen, den Columnae caelatae des Arte-
misions.

Der Grundriß des nach der Brandstif-
tung des Herostrat wiedererrichteten,
spätklassisch-hellenistischen Tempels,
des sog. Jüngeren Artemisions, läßt sich
nur mit Hilfe des etwa 2,76 m darunter-
liegenden archaischen Tempels rekon-
struieren. Denn die Säulen des jüngeren
Baues sind genau über den archaischen
errichtet. Die hohe Plattform, auf der der
jüngere Tempel liegt, ist bedingt durch
das starke Steigen des Meeresspiegels im
4. Jh. v. Chr.

Für beide Tempel gleich waren der fast
quadratische Pronaos, der tiefgelegene
Sekos und die zentrisch übereinanderlie-
genden Innenjoche der Fangseiten. Der
archaische Tempel kann keinen Opistho-
dom (rückwärtige Vorhalle) gehabt
haben, da dies der in Ionien üblichen
Form mit gerader Sekosrückwand wider-
spricht. Der archaische Artemistempel
war, wie auch der sog. Rhoikostempel
auf Samos und der archaische Apollon-
tempel von Didyma, ein sog. «reiner»
Dipteros - ohne dreifache Säulenstellung
an der Hauptfront. Beim Bau des Jünge-
ren Tempels war man aus mehreren
Gründen gezwungen, den Grundriß ge-
genüber dem Vorgänger abzuändern.
Der hohe und breite Stufenbau sowie die
aus der angegebenen Säulenzahl zu er-
schließende, wahrscheinlich vorhandene
dritte Säulenreihe an der Westfront ver-
engten den Platz zwischen Altar und
Tempel. Der Sekos erhielt eine Treppen-

anlage, die auf das Niveau des archai-
schen Tempelhofes hinabführte. Die
Cella erhielt wahrscheinlich einen Anbau
an ihrer Rückseite, einen Opisthodom,
was auch dem Befund bei den Tempeln in
Priene und Sardis entspricht.

Für die Langseiten lassen sich nicht
mehr als 21 Säulen (Abb. 62, 64) er-
schließen, an der Eingangsseite, der West-
front, bleiben acht Säulen. Mit einem
kurzen Opisthodom ergeben sich an der
Rückseite des Artemisions, wie beim
Polykratestempel auf Samos (dem Nach-
folger des Rhoikostempels), drei Reihen
von je neun Säulen. Die Grundrißmaße
betragen etwa 72 X 125 m. Die Höhe be-
trägt bis zum First 32 m.

Auf Münzdarstellungen sind im Tem-
pelgiebel Türen dargestellt (Abb. 7, 70).
Solche Türen kommen bei einem etwas
jüngeren Tempel in Magnesia am Mäan-
der tatsächlich vor, wie aus den gefunde-
nen Architekturfragmenten hervorgeht.
Daher ist es sehr wahrscheinlich, wie
schon Bluma Trell rekonstruiert hat, daß
der spätklassische Tempel an den Giebeln
Türen aufwies. Ihr Sinn könnte darin be-
standen haben, ein Bild der Göttin Arte-
mis als Epiphanie (Erscheinung) am
Opfergeschehen im Altarareal teilneh-
men zu lassen, da der direkte Blick vom
Tempel in den Hof des Altares durch die
fast 10 m hohe, geschlossene Altarwand
verwehrt war (Abb. 69). Nach Orhan
Bingöl könnten die Türen auch zur Be-
leuchtung der Kultstatue durch das
Mondlicht gedient haben.

Vom technischen Standpunkt her
waren die Türen ein Vorteil, da sie das
 
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