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72

Artemis Ephesia

84

Die ephesischen Kultbilder

Die Frage nach dem oder den Kultbildern
der Artemis ist von grundlegender Be-
deutung für das Verständnis der Kulte im
Artemision. Im Laufe der Jahrhunderte
existierten wahrscheinlich drei Kultbil-
der, die sich von der in Griechenland ge-
läufigen Ikonographie der göttlichen Jä-
gerin deutlich unterscheiden: 1. eines,
dessen Aussehen sich vielleicht durch
den Schmuck aus dem Hortfund im geo-

metrischen Peripteros näher definieren
läßt; 2. das Kultbild des Endoios, der in
der antiken Literatur erwähnt wird, und
dessen Werk im Naiskos des Kroisostem-
pels aufgestellt war; 3. das Kultbild, das
nach dem Brand des Tempels für den
spätklassischen Bau angefertigt wurde,
von dem wir das durch hellenistische und
römische Nachbildungen bekannte Bild
der Artemis Ephesia mit den sog. «Brü-
sten» kennen.

Die Kultstatue der geometrischen Zeit

scheint unter einem Baldachin aufgestellt
gewesen zu sein, dessen sechs Säulen auf
Basen aus Grünschiefer standen (Abb.
32, 35). Es existieren Parallelen aus der
Vasenmalerei, die Baldachine als Ort für
eine Kultstatue, aber auch als Altar zei-
gen. Im Artemision wäre von der Größe
der Basis her gesehen beides gleichzeitig
möglich, allerdings deutet die geringe
Anzahl von Tierknochen in diesem Be-
reich eher auf seltene blutige Opfer hin.
Das archaische Kultbild des Endoios be-
fand sich zwar fast an derselben Stelle,
nämlich im Naiskos aus Marmor (vgl.
S. 53), stand aber etwa 2,5 - 3,0 m höher
als das Kultbild der geometrischen Zeit.

Diejenige Kultstatue, welche uns so
anschaulich aus hellenistisch-römischen
Nachbildungen bekannt ist, dürfte auf ein
Vorbild zurückgehen, das anläßlich der
Neuerbauung des Tempels im 4. Jh.
v. Chr. - in Anlehnung an das ältere - ge-
schaffen wurde, da auch der Naikos des
Kroisostempels beschädigt und restau-
riert worden sein dürfte. Die bekannte-
sten und am besten erhaltenen Darstel-
lungen des Typus der Artemis Ephesia,
die am Ort selbst gefunden wurden, stam-
men aus dem Prytaneion der Stadt und
sind in das 2. Jh. n. Chr. datiert worden
(Abb. 83, 84). Im Artemision selbst
wurde dagegen nie eine Statue dieses
Typus entdeckt. Man geht aber von der
Annahme aus, daß diese Figuren das
jüngste der drei erwähnten Kultbilder
wiedergeben, da auch viele Darstellun-
gen auf Münzen dieses Bild im Tempel
der Artemis zeigen. Dieses wird in der
Episode der Apostelgeschichte (Acta 19,
35), die von der Auseinandersetzung
des Paulus mit den ephesischen Silber-
schmieden erzählt, als «diopetes = vom
Himmel gefallen» bezeichnet. Auch wenn

Abb. 84 Römische Nachbildung der Stadt-
göttin von Ephesos aus Marmor. Die Göttin
steht auf einer quaderförmigen Basis und
wird von Hirschkühen flankiert, rechts und
links finden sich die Reste von geknoteten
Wollbinden, die von ihren Handgelenken
herabfielen (vgl. Abb. 7). Unterkörper und
Beine sind von einem schürzenartigen Ge-
wand (dem sog. Ependytes) bedeckt, des-
sen Felder Reliefs tragen: Löwen, geflü-
gelte Stiergreifen, Flügelgreifen, Löwinnen,
Hirschkühe und Rinder. Seitlich finden sich
Rankenfrauen, Rosetten und Bienen. Den
unteren Teil des Oberkörpers bedecken die
sog. Brüste, die auch als Eier, Datteln oder
Stierhoden gedeutet wurden. Darüberfinden
sich neun Tierkreiszeichen. Um den Hals
trägt sie eine Girlande aus Immortellen. Auf
jedem Oberarm sitzen zwei Löwen. Museum
Selguk; Höhe 1,74 m.
 
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