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Gold verändert alles
anderen Geschenke stammten aus dem
Besitz eines Feindes, gegen den Kroisos
vor seiner Thronbesteigung kämpfen
mußte ...»
(Herodot I 92)
«Die Alkmeoniden waren zwar von
alters her in Athen schon bekannt; aber
von Alkmeon und Megakles an wurden
sie erst recht berühmt. Zunächst nämlich
half Alkmeon, der Sohn des Megakles,
den Lydern, die aus Sardes von Kroisos
zum Orakel in Delphi kamen, und unter-
stützte sie bereitwillig. Als Kroisos von
den Lydern, die die Göttersprüche ein-
holten, hörte, daß er ihm gefällig gewe-
sen sei, ließ er ihn nach Sardes kommen
und beschenkte ihn nach seiner Ankunft
mit soviel Gold, wieviel er an seinem
Körper auf einmal wegtragen könne.
Alkmeon aber brachte außer diesem
schon so beachtlichen Geschenk noch
mehr fort. Er ersann und tat nämlich fol-
gendes: Er legte einen weiten Leibrock
an und bildete darin einen tiefen Bausch.
Die weitesten Stiefel, die er auftreiben
konnte, band er sich unter die Füße. So
ließ er sich ins Schatzhaus führen. Er fiel
über einen Haufen Goldstaub her und
stopfte sich zunächst soviel Gold um die
Waden, wie die Stiefel fassen konnten.
Dann füllte er den ganzen Bausch mit
Gold, und in die Kopfhaare verstreute er
Goldstaub; Gold nahm er auch in den
Mund. So verließ er das Schatzhaus und
konnte seine Schuhe kaum schleifen. Er
glich allem anderen mehr als einem Men-
schen. Der Mund war vollgestopft und
alles geschwollen. Als Kroisos ihn sah,
mußte er lachen. Und er überließ ihm
dies alles, und dazu schenkte er ihm auch
noch anderes, nicht weniger als dieses.
So gelangte sein Haus zu großem Reich-
tum; Alkmeon konnte sich nun ein Vier-
gespann halten und siegte in Olympia.»
(Herodot I 125; Übersetzung J. Feix)
Vielfalt der Funde
Nun folgend werden Funde aus dem Ar-
temision vorgestellt, die verschiedenen
Gegenden der antiken Welt zuzuordnen
sind, wobei in den seltensten Fällen zu
entscheiden ist, ob es sich um Importe
handelt oder die Produkte in Ephesos von
einheimischen und auswärtigen Hand-
werkern für verschiedene Auftraggeber
angefertigt woden sind. Damit ist die hier
vorgenommene Klassifikation letzten
Endes eine künstliche. Dennoch hat sie
den Sinn, das multikulturelle Phänomen
dieser Funde aufzuzeigen und dabei die
Hauptströmungen des Ineinandergreifens
verschiedener Kulturkreise zu beleuchten.
Die heterogenen Elemente in der Kunst
des Artemisions sind ein Spezifikum des
Ortes. Daher kann alles, was im Artemi-
sion an Funden vorkommt, sowohl als
Ergebnis eines Austausches von einer
Kultur zur anderen gesehen werden als
auch als Produkt einer eigenen internen
Entwicklung.
Bis vor einigen Jahren war die geo-
metrische Epoche nicht nur im Hinblick
auf die Architektur in Ephesos eine «terra
incognita», sondern auch in bezug auf die
Kunst.
Die Funde, welche Hogarth in seinem
Tempel A (vgl. S. 33, 89) gemacht hatte,
waren sowohl von ihrer Menge als auch
ihrer Qualität höchst bedeutend, sie ent-
hielten aber, mit Ausnahme der Bronze-
fibeln, nichts Geometrisches. Auch ande-
renorts in Ephesos wurden bisher kaum
geometrische Funde gemacht. Namhafte
Archäologen waren daher sogar der An-
sicht, daß die geometrische Kunst des
8. Jhs. v. Chr. in Ionien eine unerheb-
liche Rolle spielte.
Durch die österreichischen Grabungen
des letzten Jahrzehntes wurde dieses Bild
berichtigt. Viele frühe Kultstätten im
Artemision sind nämlich in das 8. und
7. Jh. v. Chr. zu datieren. Daher sind sie
und die dort hinterlegten Weihungen be-
deutende Zeugnisse der geometrischen
und orientalisierenden Kunst. Hier sind
die Goldfunde, die Elfenbeine, die Fa-
yencen, die Bronzen charakteristisch, aber
auch bestimmte Keramiktypen wie die
sog. <ephesische Ware> und <Schwarz auf
Rot>. Für die Keramik des 7. Jhs. v. Chr.
ist auffällig, daß ein starker Bezug zu
Nordionien besteht, kaum aber einer zu
Südionien.
Pflanzliche Symbole der
Fruchtbarkeit
Die Kleinfunde der Artemisiongrabung
können aber auch die Bedeutung der geo-
metrischen Epoche und der mit ihr ver-
bundenen Auffassung vom Menschen
und anderen Lebewesen für das 8. und
7. Jh. v. Chr. neuer und besser definie-
ren. Für die Funde aus diesem Zeitraum
ist es bemerkenswert, daß die Darstellun-
gen der Tiere und Pflanzen denen der
Menschen noch gleichwertig gegenüber-
stehen. So enthält der Brustschmuck des
oben (S. 77 ff.) besprochenen Kultbildes
der geometrischen Zeit nicht nur zwei -
vermutlich weibliche - Menschenköpfe
aus Bernstein, sondern besonders auch
viele Darstellungen von Tierköpfen und
zahlreichen Früchten, wie Hagebutten,
Mohn und Granatäpfeln.
Neben diesen pflanzlichen Symbolen
der Fruchtbarkeit sind es vor allem
Tiere, die Macht symbolisieren, wie
Löwen, Stiere, Greifen, aber auch
Vögel, wie Pfau, Hahn und Ente, die dar-
gestellt werden. Diese Tiere wirkten zu-
mindest teilweise auch in ihrer bildlichen
Präsenz als Opferüberreste weiter, nur
die durchlochten Bärenzähne stehen zwi-
schen den Abbildungen von Tieren und
animalischen Relikten selbst. Das gleiche
gilt auch für eine vergoldete Muschel.
Tierbilder als Weihgeschenke
Pflanzen und Tiere haben also ihr inter-
mediäres Stadium lange bewahrt, sie
können Natur selbst und Abbild von
Natur sein. Dies ist aber nicht allein dar-
auf zurückzuführen, daß Tiere und Pflan-
zen Objekte von Opfern sein konnten. Es
ist dieser ambivalente Charakter, der das
Tier auszeichnet, Natur zu sein und kul-
turell in Besitz genommen zu werden.
Falken
Von ganz besonderem Interesse für das
Artemision sind die vielen Darstellungen
von Falken (Abb. 96), die auch in Zu-
sammenhang mit den weiblichen Statuet-
ten vorkommen. Aus der Grabung von
Hogarth stammt eine weibliche Statuette
aus Elfenbein, die eine Stange auf ihrem
Kopf trägt, auf der ein Falke sitzt; eine
weitere Statuette trägt auf beiden Händen
jeweils einen Falken. Diese Raubvögel
sind in Elfenbein, Terrakotta, Glas, Gold
und Fayence gebildet, die Hausvögel,
wie Pfaue, Enten und Hühner, dagegen
meist in Bronze.
Wahrscheinlich ist, daß der Falke
(griech. Mermnos) als eponymes (epo-
Abb. 97 Marmorrelief eines gelagerten
Löwen, gefunden 1991 an der Südwestecke
des archaisches Tempels.
Abb. 98 Darstellung des Kroisos auf dem
Scheiterhaufen. Die Abbildung illustriert
das Schicksal des Kroisos nach seiner Nie-
derlage gegen die Perser 547 v. Chr. Im Ge-
gensatz zu seinem hier dargestellten persön-
lichen Schicksal haben die Perser aber sein
Werk, den Tempel der Artemis nicht zerstört,
sondern weitergebaut. Nach einer Überliefe-
rung soll der Perserkönig Kyros persönlich
Kroisos wieder vom Scheiterhaufen geholt
haben. Kroisos selbst aber ist, wie S. 42 dar-
gelegt, mit seinen Gegnern nicht so vomehm
umgegangen. Amphora des Myson, um 500
v. Chr., Paris, Louvre.
Gold verändert alles
anderen Geschenke stammten aus dem
Besitz eines Feindes, gegen den Kroisos
vor seiner Thronbesteigung kämpfen
mußte ...»
(Herodot I 92)
«Die Alkmeoniden waren zwar von
alters her in Athen schon bekannt; aber
von Alkmeon und Megakles an wurden
sie erst recht berühmt. Zunächst nämlich
half Alkmeon, der Sohn des Megakles,
den Lydern, die aus Sardes von Kroisos
zum Orakel in Delphi kamen, und unter-
stützte sie bereitwillig. Als Kroisos von
den Lydern, die die Göttersprüche ein-
holten, hörte, daß er ihm gefällig gewe-
sen sei, ließ er ihn nach Sardes kommen
und beschenkte ihn nach seiner Ankunft
mit soviel Gold, wieviel er an seinem
Körper auf einmal wegtragen könne.
Alkmeon aber brachte außer diesem
schon so beachtlichen Geschenk noch
mehr fort. Er ersann und tat nämlich fol-
gendes: Er legte einen weiten Leibrock
an und bildete darin einen tiefen Bausch.
Die weitesten Stiefel, die er auftreiben
konnte, band er sich unter die Füße. So
ließ er sich ins Schatzhaus führen. Er fiel
über einen Haufen Goldstaub her und
stopfte sich zunächst soviel Gold um die
Waden, wie die Stiefel fassen konnten.
Dann füllte er den ganzen Bausch mit
Gold, und in die Kopfhaare verstreute er
Goldstaub; Gold nahm er auch in den
Mund. So verließ er das Schatzhaus und
konnte seine Schuhe kaum schleifen. Er
glich allem anderen mehr als einem Men-
schen. Der Mund war vollgestopft und
alles geschwollen. Als Kroisos ihn sah,
mußte er lachen. Und er überließ ihm
dies alles, und dazu schenkte er ihm auch
noch anderes, nicht weniger als dieses.
So gelangte sein Haus zu großem Reich-
tum; Alkmeon konnte sich nun ein Vier-
gespann halten und siegte in Olympia.»
(Herodot I 125; Übersetzung J. Feix)
Vielfalt der Funde
Nun folgend werden Funde aus dem Ar-
temision vorgestellt, die verschiedenen
Gegenden der antiken Welt zuzuordnen
sind, wobei in den seltensten Fällen zu
entscheiden ist, ob es sich um Importe
handelt oder die Produkte in Ephesos von
einheimischen und auswärtigen Hand-
werkern für verschiedene Auftraggeber
angefertigt woden sind. Damit ist die hier
vorgenommene Klassifikation letzten
Endes eine künstliche. Dennoch hat sie
den Sinn, das multikulturelle Phänomen
dieser Funde aufzuzeigen und dabei die
Hauptströmungen des Ineinandergreifens
verschiedener Kulturkreise zu beleuchten.
Die heterogenen Elemente in der Kunst
des Artemisions sind ein Spezifikum des
Ortes. Daher kann alles, was im Artemi-
sion an Funden vorkommt, sowohl als
Ergebnis eines Austausches von einer
Kultur zur anderen gesehen werden als
auch als Produkt einer eigenen internen
Entwicklung.
Bis vor einigen Jahren war die geo-
metrische Epoche nicht nur im Hinblick
auf die Architektur in Ephesos eine «terra
incognita», sondern auch in bezug auf die
Kunst.
Die Funde, welche Hogarth in seinem
Tempel A (vgl. S. 33, 89) gemacht hatte,
waren sowohl von ihrer Menge als auch
ihrer Qualität höchst bedeutend, sie ent-
hielten aber, mit Ausnahme der Bronze-
fibeln, nichts Geometrisches. Auch ande-
renorts in Ephesos wurden bisher kaum
geometrische Funde gemacht. Namhafte
Archäologen waren daher sogar der An-
sicht, daß die geometrische Kunst des
8. Jhs. v. Chr. in Ionien eine unerheb-
liche Rolle spielte.
Durch die österreichischen Grabungen
des letzten Jahrzehntes wurde dieses Bild
berichtigt. Viele frühe Kultstätten im
Artemision sind nämlich in das 8. und
7. Jh. v. Chr. zu datieren. Daher sind sie
und die dort hinterlegten Weihungen be-
deutende Zeugnisse der geometrischen
und orientalisierenden Kunst. Hier sind
die Goldfunde, die Elfenbeine, die Fa-
yencen, die Bronzen charakteristisch, aber
auch bestimmte Keramiktypen wie die
sog. <ephesische Ware> und <Schwarz auf
Rot>. Für die Keramik des 7. Jhs. v. Chr.
ist auffällig, daß ein starker Bezug zu
Nordionien besteht, kaum aber einer zu
Südionien.
Pflanzliche Symbole der
Fruchtbarkeit
Die Kleinfunde der Artemisiongrabung
können aber auch die Bedeutung der geo-
metrischen Epoche und der mit ihr ver-
bundenen Auffassung vom Menschen
und anderen Lebewesen für das 8. und
7. Jh. v. Chr. neuer und besser definie-
ren. Für die Funde aus diesem Zeitraum
ist es bemerkenswert, daß die Darstellun-
gen der Tiere und Pflanzen denen der
Menschen noch gleichwertig gegenüber-
stehen. So enthält der Brustschmuck des
oben (S. 77 ff.) besprochenen Kultbildes
der geometrischen Zeit nicht nur zwei -
vermutlich weibliche - Menschenköpfe
aus Bernstein, sondern besonders auch
viele Darstellungen von Tierköpfen und
zahlreichen Früchten, wie Hagebutten,
Mohn und Granatäpfeln.
Neben diesen pflanzlichen Symbolen
der Fruchtbarkeit sind es vor allem
Tiere, die Macht symbolisieren, wie
Löwen, Stiere, Greifen, aber auch
Vögel, wie Pfau, Hahn und Ente, die dar-
gestellt werden. Diese Tiere wirkten zu-
mindest teilweise auch in ihrer bildlichen
Präsenz als Opferüberreste weiter, nur
die durchlochten Bärenzähne stehen zwi-
schen den Abbildungen von Tieren und
animalischen Relikten selbst. Das gleiche
gilt auch für eine vergoldete Muschel.
Tierbilder als Weihgeschenke
Pflanzen und Tiere haben also ihr inter-
mediäres Stadium lange bewahrt, sie
können Natur selbst und Abbild von
Natur sein. Dies ist aber nicht allein dar-
auf zurückzuführen, daß Tiere und Pflan-
zen Objekte von Opfern sein konnten. Es
ist dieser ambivalente Charakter, der das
Tier auszeichnet, Natur zu sein und kul-
turell in Besitz genommen zu werden.
Falken
Von ganz besonderem Interesse für das
Artemision sind die vielen Darstellungen
von Falken (Abb. 96), die auch in Zu-
sammenhang mit den weiblichen Statuet-
ten vorkommen. Aus der Grabung von
Hogarth stammt eine weibliche Statuette
aus Elfenbein, die eine Stange auf ihrem
Kopf trägt, auf der ein Falke sitzt; eine
weitere Statuette trägt auf beiden Händen
jeweils einen Falken. Diese Raubvögel
sind in Elfenbein, Terrakotta, Glas, Gold
und Fayence gebildet, die Hausvögel,
wie Pfaue, Enten und Hühner, dagegen
meist in Bronze.
Wahrscheinlich ist, daß der Falke
(griech. Mermnos) als eponymes (epo-
Abb. 97 Marmorrelief eines gelagerten
Löwen, gefunden 1991 an der Südwestecke
des archaisches Tempels.
Abb. 98 Darstellung des Kroisos auf dem
Scheiterhaufen. Die Abbildung illustriert
das Schicksal des Kroisos nach seiner Nie-
derlage gegen die Perser 547 v. Chr. Im Ge-
gensatz zu seinem hier dargestellten persön-
lichen Schicksal haben die Perser aber sein
Werk, den Tempel der Artemis nicht zerstört,
sondern weitergebaut. Nach einer Überliefe-
rung soll der Perserkönig Kyros persönlich
Kroisos wieder vom Scheiterhaufen geholt
haben. Kroisos selbst aber ist, wie S. 42 dar-
gelegt, mit seinen Gegnern nicht so vomehm
umgegangen. Amphora des Myson, um 500
v. Chr., Paris, Louvre.