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Bastine, Reiner [Hrsg.]
Klinische Psychologie (Band 1): Grundlegung der allgemeinen klinischen Psychologie — Stuttgart, Berlin, Köln, 1998

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https://doi.org/10.11588/diglit.16129#0195

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3.3 Psychische Störung und Persönlichkeit

3.3.1 Psychische Störungen, Persönlichkeitseigenschaften und
Persönlichkeitsstörungen

Psychische Störungen sind also Eigenarten einer Person, die als ihr zugehörig angese-
hen werden, d.h. die als persönliche Probleme begriffen und die nicht z.B. als Ausdruck
von bestimmten äußeren Umstände, Situationen oder allgemeinen gesellschaftlichen
Problemen verstanden werden. Sie unterscheiden sich einerseits von Persönlichkeitsei-
genschaften, andererseits von Persönlichkeitstörungen:

Persönlichkeitseigenschaften. Psychische Störungen sind in der Regel vorübergehende
problematische Zustände (states), während Persönlichkeitseigenschaften zeitlich relativ
stabile und relativ kontextunabhängige persönliche Merkmale (traits) bezeichnen. Zeit-
lich stabil und kontextunabhängig heißt, daß sich eine Person durch diese Eigenschaften
von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter (mindestens aber über lange Zeitspannen des
Erwachsenenalters) und in verschiedensten Situationen auszeichnet. Wenn es bei psy-
chischen Störungen zu längerdauernden Beinträchtigungen kommt, beispielsweise bei
chronisch defizitären Zuständen im Anschluß an psychotische Störungen oder im chro-
nischen Verlauf von Süchten, sind diesen vorher gesunde Zustände vorausgegangen.
Wenn die relative zeitliche Stabilität und Kontextunabhängigkeit von Persönlichkeitsei-
genschaften betont wird, verweist dies auf die Wandelbarkeit und Anpassungsfähigkeit
der Person. Je nachdem, wie Persönlichkeit verstanden wird (z.B. als die persönlichen
Dispositionen, als Muster der persönliche Anliegen und Zielvorstellungen oder als die
Person als Ganzes), ist die Frage unterschiedlich zu beantworten, ob, wann und unter
welchen Umständen sich die Persönlichkeit verändern kann und wie diese Verände-
rungen sich zeigen (Heatherton & Weinberger, 1993). Persönlichkeitseigenschaften ha-
ben für die Pathopsychologie und Psychotherapie besonders im Rahmen der modernen
Vulnerabilitäts-Stress-Modelle (auch: Diathese-Stress-Modelle) eine große Bedeutung.
In diesen Modellen (•=> 2.3.2 und 5.1.2) wird davon ausgegangen, daß Personen mit be-
stimmten Eigenschaften eher disponiert sind, psychische Störungen zu entwickeln. Diese
Dispositionen bestehen einerseits aus Risikofaktoren (Vulnerabilitäten, Diathese), ande-
rerseits aus protektiven Faktoren (Immunitäten), die angeborene oder erworbene Merk-
male der Person sind. Vulnerable Persönlichkeiten entwickeln nur dann psychische Stö-
rungen, wenn die Person besonderen Belastungen (allgemein: Stress) ausgesetzt ist (vgl.
Becker, 1995; Watson & Clark, 1994).

Persönlichkeitsstörungen sind extreme Ausprägungen von Persönlichkeitseigenarten.
Das Verhalten persönlichkeitsgestörter Personen weicht typischerweise von sozialen
Regeln und Erwartungen ab, und läßt entweder die Person selbst darunter leiden
und/oder beeinträchtigt maßgeblich andere Personen. Charakteristisch für diese Störun-
gen ist vor allem „ein extremes, oft mit subjektivem Leiden verbundenes Versagen im
Beziehungs- und Leistungsbereich, andererseits eine mehr oder weniger aktive Tendenz
zu ständiger Norm- und Regelverletzung" (Fiedler, 1995, S. 5). Diese Norm- und Regel-
verletzungen treten bei einigen Persönlichkeitsstörungen in Form von Dissozialität oder

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