Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Bastine, Reiner [Hrsg.]
Klinische Psychologie (Band 1): Grundlegung der allgemeinen klinischen Psychologie — Stuttgart, Berlin, Köln, 1998

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.16129#0324

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
5 Zur Entstehung von psychischen Störungen

5.3 Psychologische Störungstheorien

Metatheoretische und methodologische Aspekte der großen klinisch-psychologischen Modelle wur-
den bereits im •=> Kapitel 2.2.2 zusammenfassend dargestellt. Behandelt wurden dort das psycho-
analytische (*> 2.2.2.1), das humanistische {<=> 2.2.2.2), das verhaltenstheoretische {<=> 2.2.2.3),
das kognitive {<=>2.2.2.4) sowie das interpersonale Modell (<=> 2.2.2.5). Der Schwerpunkt in Kapitel
2.2.2 liegt auf den Grundannahmen, den anthropologischen Annahmen, der Methodologie sowie ei-
ner kritischen Diskussion des jeweiligen Modells als Ganzen.

Im vorliegenden Kapitel 5.3 kann dieser metatheoretische und methodologische Hintergrund daher
vorausgesetzt werden, wenn es hier um die wichtigsten psychologischen Störungstheorien im enge-
ren Sinne geht. Die pathosychologischen Theorien werden nach ihrer Zugehörigkeit zu „Theorie-
familien" eingeteilt, im einzelnen psychoanalytische {•=> 5.3.1), verhaltenstheoretische 5.3.2),
kognitive (<=> 5.3.3), emotionale {<=> 5.3.4) und interpersonale Störungstheorien (*=> 5.3.5). Die
Zuordnung einzelner Erklärungsmodelle zu einer dieser Gruppen ist in der Regel bei den ersten die-
ser Konzeptionen eindeutiger und bei den letzteren uneindeutiger. Dies hängt damit zusammen, daß
die meisten kognitiven, emotionalen und interpersonalen Erklärungsansätze verschiedene psychi-
sche Modalitäten einbeziehen und sich oft nur durch Akzentsetzungen unterscheiden. In Anbetracht
der Vielfalt der Störungstheorien werden im letzten Abschnitt dieses Kapitels übergreifende Ge-
sichtspunkte zu deren Bewertung diskutiert (•=> 5.3.6).

In der Erklärung psychischer Störungen konkurrieren verschiedene Störungstheorien
miteinander, die sich in ihren metatheoretischen und grundlegenden Annahmen zum Teil
erheblich voneinander unterscheiden (O 2.2.2). Die psychologischen Störungstheorien
unterscheiden sich aber auch in ihren Geltungsansprüchen: Insbesondere die älteren Stö-
rungstheorien streben einen universalen Geltungsbereich an, d.h. sie zielen darauf ab,
alle psychischen Störungen zu erklären. Prototypisch dafür ist etwa der psychoanalyti-
sche Erklärungsansatz, der außerdem die Besonderheit aufweist, auch die Verschieden-
heit der Störungen zu erklären, also eine differentielle Ätiologie beispielsweise für Per-
sönlichkeits- und Angststörungen zu entwickeln. Ein ähnlich umfassender und zugleich
differentieller Erklärungsanspruch wird auch in den kognitiv-verhaltenstheoretischen
Modellen vertreten. Diese Erklärungsansätze könnten als „universal-differentialätiolo-
gische Störungstheorien" bezeichnet werden. In anderen Theorien wird zwar gleichfalls
ein universaler Anspruch verfolgt, ohne jedoch die Unterschiede zwischen den verschie-
denen Arten psychischer Störungen herauszuarbeiten. Solche „universal-nichtdifferen-
tiellen Störungstheorien" findet sich etwa bei der kognitiven Konzeptionen von Ellis
(O 5.3.3. J) oder bei interpersonalen Störungstheorien, z.B. bei der klientenzentrierten,
kommunikationsorientierten oder systemtheoretischen Konzeption (O 5.3.5).

Von diesen Konzeptionen setzen sich die speziellen Störungstheorien ab, die ihren
Geltungsanspruch jeweils auf die Entstehung einer einzelnen Störung beschränken. Ein
Beispiel dafür ist die attributionstheoretische Erklärung der Depression von Seligman (O
5.3.3.3). Die Beschränkung des Geltungsbereichs auf eine Störung schafft die Möglich-
keit, die spezifischen Bedingungen und Prozesse bei der Entstehung dieser Störung de-

308
 
Annotationen