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08

Das Buch für Alle.

Heft 5.

„weshalb wallt ihr euch nach länger ärgern? Recht
bekommt inan bei solchen Leuten nicht, und Jakob Hoch-
muth ist in der ganzen Stadt als Grobian bekannt. Ich
möchte wissen, wovon er lebt."
„Das alte Gerümpel da unten kann ihn: nicht so
viel einbringen," antwortete das Mädchen, „inan sieht
imd hört ja kaum etwas von dein armseligen Geschäft."
„Ich glaube, er macht Wuchergeschäfte," sagte Frau
Siebet. „Daß er Geld verleiht, habe ich vorhin erfahren."
„Sollte er so viel besitzen?" fragte Werner zweifelnd.
„Wenn er's nicht hätte, konnte er's nicht verleihen.
Sie haben Recht, Werner, dem Aerger muß ein Ende
gemacht werden. Ich habe bisher eure Hochzeit immer
noch hinausgeschoben, jetzt wollen wir sie, wenn ihr nichts
dagegen habt, in vier Wochen feiern."
„So bald schon?" fragte Apollonia verwirrt. „Wir
werden bis dahin mit der Aussteuer nicht fertig sein, es
ist noch so vieles anzuschaffen, und —"
„Dafür laßt mich sorgen," fiel ihr die kleine Frau
in's Wort, „ich werde morgen damit beginnen. Sorgen
Sie für eine Wohnung, Werner, ich verlange für mich
selbst nur ein Zimmer; sobald Sie eine passende ge-
funden haben, kündige ich dem Grobian!"
„lind woher nehmen wir das Geld, Mutter?" cr-
wiederte Apollonia.
„Auch dafür forge ich, die Generalin v. Stuckmann
hat mir immer versprochen — apropos, wie steht es mit
dem Verhafteten, Werner? Hat er die Schuld ein-
gestanden?"
„Ich weiß nichts davon, mit der Untersuchung hat
die Polizei nichts zu schassen, das ist Sache des Gerichts.
Halten Sie ihn für schuldig?"
„Hm, ich kenne den Alaun nicht, weiß auch nicht,
welche Beweise gegen ihn vorliegcn. Tie Leute schwätzen
viel, der Eine spricht so, der Andere so, man wird nicht
klug daraus. Und ich mag mit der Sache nichts zu
thun haben! Der Grobian da unten meint, mein Zeug-
nis; werde auch verlangt werden; was soll ich denn be-
zeugen?"
Werner blickte die kleine Frau scharf an.
„Wissen Sie, welche Vermuthnng oft in mir auf-
gestiegen ist?" fragte er.
„Run?"
„Daß Sie mehr wissen, als Sie verrathcn wollen."
„Unsinn, Werner, wie kommen Sie darauf?"
„Ich lasse es nur nicht ausreden, daß Sie ein Ge-
heimnis; besitzen, welches Sie nicht enthüllen wollen oder
dürfen; aber welcher Art dieses Geheimnis; ist und worauf
es sich bezieht, das konnte ich noch nicht ergründen."
Frau Siebel hatte im ersten Augenblick den jungen
Mann bestürzt angesehen, jetzt zuckte sie mit einer ge-
ringschätzenden Miene die Achseln und ein spöttisches
Lächeln umspielte ihre Lippen.
„Geheimnisse gibt es Wohl in jedem Menschenleben,"
sagte sie, „aber für Andere haben sic kein Interesse. Es
find Erinnerungen an Erlebnisse, die man am liebsten
vergessen möchte, das ist Alles."
„Ich glaube, es ist doch etwas Anderes," erwiederte
Werner; „aber wenn Sie das Geheimniß Ihren Kindern
nicht enthüllen wollen, so dürfen wir uns auch nicht
hineindrängen."
„Und es wäre mir lieb, wenn Sie nicht mehr darauf
zurückkommen wollten. Ich habe Vieles erlebt, Werner,
und in der Thal ist manches Erlebnis; nicht zum Weiter-
erzählen geeignet. Nicht meinetwegen, bewahre, die Rück-
sicht auf Andere verbietet es mir. Es ist Thorheit, daß
wir darüber reden, und damit sei's genug. Haben Sie
denn gar nichts weiter von der Verhaftung Halm's ge-
hört? Ich denke doch, Sie müssen Manches erfahren,
was uns verschwiegen bleibt."
„Ich weiß nur, daß der Verhaftete leugnet, und daß
der Untersuchungsrichter von der Schuld des Mannes
überzeugt ist. Die Untersuchung muß nun das Weitere
ergeben."
„Und glauben Sie, daß alle Zeugen noch einmal
vernommen werden?"
„Unzweiselhast."
„Das wäre nur unangenehm."
„Aus welchem Grunde?"
„Ich gehe nicht gern an's Gericht."
„Wenn Sie als Zeugin vorgeladen werden, so ist
ja nichts weiter dabei," erwiederte Werner. „Und ob es
Ihnen angenehm ist oder nicht, darauf kann der Richter
auch keine Rücksicht nehmen, durch die Zeugenaussagen
muß die Schuld des Angeklagten festgestellt werden."
„Durch sie ist auch schon oft ein Schuldloser über-
führt worden," sagte Frau Siebel gedankenvoll. „Am
besten wäre die alte Geschichte begraben geblieben, es
wird doch niemals Klarheit hinein kommen, wenn der
Thüter nicht selbst ein Geständnis; ablegt. Hat das Ge-
richt damals nichts entdeckt, wird es auch jetzt nichts
entdecken, es ist Niemand dabei gewesen, wie der Doktor
erschossen wurde."
Sie hatte diese Worte in auffallender Erregung ge-
sprochen und jetzt ging sie hinaus, um für das Abend-
brod zu sorgen.
Das Brautpaar aber kam auf das abgebrochene Thema
nicht wieder zurück, es schmiedete Pläne für die Zukunft,

über die plötzlich ein ganzes Meer von Licht sich er-
gossen hatte.
Was die Mutter so ganz unerwartet bewog, den
Hochzeitstag so nähe zu rücken, den sie bisher mit
hartnäckigem Eigensinn immer wieder hinausgeschoben
hatte, konnten sie nicht errathen; aber sie grübelten über
diese Frage auch nicht lange nach, ungetheilt ihrem Glücke
sich hingebend, dachten sie nur an die Zukunft, und alle
Luftschlösser, die sie in früheren Jahren gebaut hatten,
tauchten jetzt vor ihren Geistesblicken in leuchtendem
Glanze wieder empor.
Sechstes Kapitel.
Im Bureau des Justizraths.
Willibald Rabe verließ das Haus des Antiguars in
so erregter Stimmung, daß er draußen vor der Thüre
stehen bleiben mußte, um Athem zu schöpfen und seine
Gedanken wieder zu sammeln.
Es ärgerte ihn jetzt, daß er nicht selbst an den Weg
gedacht hatte, den Jakob Hochmuth ihm zeigte, daß er
nicht auf den Einfall gekommen war, feine Schwester
um Uebernahme der Bürgschaft zu bitten.
Er wäre dadurch der Nvthwendigkeit, seinem Gläu-
biger gute Worte geben zu müssen, überhoben worden.
Jndeß, geschehene Dinge ließen sich nicht ungeschehen
machen, und er sah Wohl ein, daß er der Forderung
des Antiguars nachgeben mußte, wenn er die unangenehmen
Folgen einer gerichtlichen Klage vermeiden wollte.
Langsam die Straßen durchschreitend, dachte er darüber
nach, ans welchem Wege er die Erfüllung dieser For-
derung Seitens der Generalin am sichersten erreichen
könne, und nie zuvor war seine abhängige Stellung ihm
so drückend gewesen, wie in dieser Stunde.
Er erinnerte sich der Bemerkung Arabella's, daß er
im Hause seiner Schwester nur ein Geduldeter sei, er
erinnerte sich ferner der Vorwürfe, welche die Generalin
ihm gemacht hatte, und bei dem Gedanken an die neuen
Dcmüthigungen, die ihm bevorstanden, stieg ihm das
Blut in die Wangen.
Das sollte und mußte anders werden!
Wurde seine Schwester plötzlich abberufen, so durfte
er erwarten, daß Arabella ihm die Thüre zeigte, und
was dann?
Wenn er auch die Macht besaß, für diesen Schimpf
Rache zu nehmen, was gewann er selbst durch die Rache?
Kühn und offen wollte er bei dein Freiherrn v. Lossow
um die Hand Ella's werben, und wurde diese Werbung
zurückgewiesen, dann sollte Ella entscheiden, ob er in
den Kampf um ihren Besitz eintreten durfte.
Sic mußte dann Partei ergreifen, entweder für oder
gegen ihn, und ans ihren Worten glaubte er entnehmen
zu dürfen, daß sie in diesem Kampfe auf seiner Seite
stehen werde.
Der altadelige Name Derer v. Lossow ging dabei
freilich in die Brüche, aber wenn Ella sich darüber hin-
wegsetzte, die doch am nächsten dabei berührt wurde, so
konnte der alte Herr sich schließlich auch darüber trösten.
Der nächste Tag follte die Entscheidung bringen; mit
diesem Entschluß trat Rabe in das Bureau des Justiz-
raths Walter.
Der alte Herr saß vor einem gewaltigen Aktenstoß,
umhüllt von dichten Rauchwolken, die lange Pfeife zwi-
schen den Lippen und eine schwarze Hornbrille mit großen
runden Gläsern auf der Nafc.
Beim Eintritt des Gutsbesitzers blickte er nur flüchtig
auf, dann zeigte er mit der Pfeifenspitze auf einen Stiehl.
„N'Abend," sagte er lakonisch, „Platz nehmen, gut,
das; Sie kommen."
„Sie haben mich erwartet?" fragte Rabe überrascht.
„Das nicht, hm, merkwürdiger Fall!"
„Darf ich fragen, wovon Sie reden?"
Der Justizrath blätterte in den Akten weiter und
blies einige Rauchwolken vor sich hin.
„Habe da die Papiere Ihres Schwagers," sagte er
in seiner kurz angebundenen Redeweise, „werden sich er-
innern, wurden damals mir zur Durchsicht übergeben."
„Jawohl, nach dem Tode meines Vaters, der meines
Schwagers Geschäftsführer gewesen war," nickte Rabe
erwartungsvoll. „Haben Sie etwas Besonderes entdeckt?"
„Häufig von einein Testament die Rede, Welches der
General gemacht haben will."
„Ein Testament? Er hat keins hinterlassen."
„Wissen das bestimmt?"
„Sehr bestimmt sogar."
„Ist aber eins dagewesen."
„Dann wäre es doch gefunden worden."
Der Justizrath schüttelte den Kopf.
„Wird hier mit Sicherheit behauptet," sagte er hart-
näckig, „mehrmals sogar. Muß ein Testament vorhanden
gewesen sein."
„Ans welcher Zeit datiren diese Behauptungen?"
fragte Rabe spöttisch. „Sind sie vor der Hochzeit des
Generals oder nach derselben niedergeschrieben worden?"
„Im letzten Jahre, knrz vor seinem Tode."
„Und welche Bestimmungen soll das Testament ent-
halten haben?" fuhr der Gutsbesitzer fort, dessen Miene
jetzt ernster und nachdenklicher wurde.

„Weiß nicht, nur zu errathen. Oberst v. Stuckmann
Miterbe."
„Das kann nicht wahr sein," entgegnete Rabe lebhaft.
„Mit seinen; Bruder hatte der General auf feindlichem
Fuße gestanden, ihn hat er keinesfalls zum Erben ein-
gesetzt. Der Oberst v. Stuckmann hatte noch dazu den
Bruch herbeigeführt, der General wollte gar nichts von
ihn; wissen."
„Kann dennoch möglich sein!"
„Nein, es kann nicht möglich sein. Ich will zngeben,
daß der General vor seiner Heirath ein solches Testament
aufgesetzt hat, dann aber hat er es nach der Hochzeit
vernichtet, er war das seiner Frau und seinen; Kinde
schuldig."
„Behauptungen!" sagte der Justizrath achselzuckend.
„Deren Begründung auf der Hand liegt."
„Müssen bewiesen werden! Also Testament nicht ge-
funden worden?"
„Nein."
„Nach den; Tode sofort Siegel angelegt worden?"
„Sofort."
„Und nachher?"
„Nachher sind alle nachgelassenen Papiere durchgesehen
worden, aber es hat sich, wie dies auch zu erwarten stand,
kein letzter Wille vorgefundcn. Wie kommen Sie nm;
nach 19 Jahren dazu, den alten Staub wieder aufzu-
wirbeln und aus den vergessenen Scharteken das tollste
Zeug herauszustudiren?"
Der Justizrath blickte den Fragenden an, als ob er
den Sinn der Worte nicht verstanden habe; er rückte an
seiner Brille und blies dem Gutsbesitzer eine Rauchwolke
in's Gesicht.
„Hm, hatte die Akten ganz vergessen," sagte er, „dachte
wieder daran, als Assessor v. Stuckmam; Untersuchung
wegen Wieland wieder anfnchmen wollte, glaubte in den
Papieren eine Spur zu finden."
„Sie glaubten das?" erwiederte Rabe erstaunt. „Wel-
chen Aufschluß könnten denn diese Papiere über jenes
Verbrechen geben ? Mache;; Sie nicht selbst sich un-
nöthiger Weise Kopfweh, Justizrath; die Vermuthung,
daß der General ein Testament hinterlassen haben könne,
ist ein Nonsens, ich habe an diese Möglichkeit niemals
gedacht."
„Will ich glauben," nickte der alte Mann, „wäre
auch für Sie sehr unangenehm gewesen. Aber Möglich-
keit drum doch vorhanden."
„So schweigen Sie doch endlich von diesem Unsinn.
Wenn die Akten nichts Besseres enthalten, wollen wir
sie in's Feuer werfen."
„Darf nicht geschehen!"
„Pah, weshalb nicht?"
„Sind nicht Ihr Eigenthum, gehören den rechtmässigen
Erben, könnten später darauf znrückkoininen müssen."
Der Gutsbesitzer hatte die Stirne in Falte;; gezogen,
ein grollender Blick traf aus seinen flammenden Augen
den alten Mann, der seinen Arn; auf die Akten legte,
als ob er fürchte, daß ein Raub an ihnen begangen wer-
den könne.
„Auf die Möglichkeit, daß ein Testament vorhanten
gewesen sein könne?" fragte er scharf. „Es fehlte jetzt
nur noch, daß der Assessor v. Stuckmann von diesen tollen
Vermuthungen Kenntnis; erhielte, Sie Hütten uns dann
eine schöne Suppe eingebrockt. Ich gebe Ihnen auf Ehren-
wort die Versicherung, daß kein Testament vorgefunden
worden ist. Oder wollen Sie an; Ende die Fran Ge-
neralin v. Stuckmam; der Unterschlagung beschuldigen?"
„Bewähre!" rief der Justizrath erschreckt. „Denke
nicht daran, wäre Unsinn! Hat mich nur frappirt, daß
so oft die Rede davon ist."
„Was will das heißen? Der General war ein alter
Mann, der heute Dies, morgen Jenes wollte, ein Kind,
das mit Ideen und Entschlüssen spielte, wie andere Kin-
der nut Kieselsteinen. Zerbrechen Sic sich nicht weiten-
den Kopf darüber, cs wäre nutzlose Blühe. Die Akten
können Sie nur morgen zurückschicken, oder ich lasse sie
hier abholen."
„Will erst durchlesen."
„Wie Sie wollen, aber ich erwarte, daß Sie mit
i Niemand über den Inhalt derselben reden werden. Mit
Vermuthungen muß man vorsichtig sein."
„Werde schweigen — hm, merkwürdiger Fall!"
„Merkwürdiger Unsinn, Justizrath, weiter nichts!"
sagte Rabe ärgerlich. „Und was Sie in diesen Akten
suchen, werden Sic auch nicht finden. Sie haben Wohl
gehört, daß ein früherer Tagelöhner, der bald nach den:
Verbrechen answanderte und vor einigen Tagen zurück-
gekehrt ist, verhaftet wurde."
„Natürlich."
„Herr v. Stuckmann ist bereits von der Schuld die-
! ses Mannes überzeugt, obgleich er noch nicht einmal Zeit
; gefunden hat, die Üntersuchungsakten ans jener Zeit zu
studiren. Man kennt das ja, ein junger Beamter macht
gern Earriöre —"
„Hin, soll ein ziemlich klarer Fäll sein," fiel der
Justizrath ihn: in die Rede, „Beweise überzeugend —"
„Im Gegentheil, die Beweise sind so schwach wie
! möglich, aber ein geschickter Untersmhungsriehter kann
§ mit einiger Phantasie einen Anklageakt ansertigen, der
 
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