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Hrst 3.

Das Bach für Alle.

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gar keine Zweifel mehr aufkommm läßt. Der Ver-
haftete stand früher in unseren Diensten, ich kann an
seine Schuld nicht glauben, und deshalb halte ich es für
meine Pflicht, ihm einen Verthcidigcr zur Seite zu stellen,
von dem ich erwarten darf, daß er seine ganze Kraft
dieser Sache widmen wird. Da ist denn meine Wahl
ans Sie gefallen!"
,,Aus'mich'? Sehr schmeichelhaft, aber —"
„Sie müssen das annehmen, Justizrath, alle Kosten
werde ich decken."
„Hm, verlorene Sache, wenig Ehre dabei zu holen."
„So darf ein Verthekdiger nicht denken!"
„Seht sich auch nicht gern einer sicheren Nieder-
lage aus!"
„Redeu Sie mit dem Verhafteten, dem Verthcidigcr
muß mau ja den Zutritt zu ihm erlauben, sehen Sie >
die Akten durch und dann sagen Sie mir Ihre Meinung.
Ist der Mann schuldig, dann Plaidiren Sie für Mil-
derungsgründe, im anderen Falle muß er freigesprocheu
werden."
„Nehmen so großes Interesse daran?" fragte der
Justizrath. „Sonderbar, weshalb?"
/.Ich sagte Ihnen schon, daß der Mann früher in
unseren Diensten gestanden hat, und daß ich au seine
Schuld nicht glauben kann," erwiederte Rabe ruhig. „Auf
der anderen Seite läßt sich mit Sicherheit erwarten, daß
Assessor v. Stuckmann sich die größte Mühe geben wird,
die Schuld des Verhafteten festzustellen, einestheils, um
jenes alte Verbrechen zu sühnen, auderntheils, um seinen
Scharfblick zu beweisen."
Der Justizrath nickte zustimmend.
„An Ihnen aber findet der Assessor einen Gegner,
der ihm gewachsen ist," fuhr Nabe, dem alten Herrn
schmeichelnd, fort, „und deshalb auch ist auf Sie meine
Wahl gefallen."
„Hin, will sehen —"
„Sie müssen es mir versprechen!"
„Nun ja, aber zuvor Akten durchsehen," sagte der
Justizrath zögernd, „übernehme nicht gerne faule Sachen."
„Sie werden in den Akten nichts finden, was man
einen unwiderlegbaren Beweis nennen konnte," erwiederte
der Gutsbesitzer, an dm Enden seines Schnurrbarts
drehend. „Bald nach dem Morde ist Halm ansgewandert,
ein Verdacht lag gegen ihn nicht vor. Nur ein Zeuge,
ein früherer Diener meiner Schwester, hat ausgesagt,
Halm habe eine Drohung gegen den Doktor ausgestoßen,
aber dieser Diener hat später wegen eines Diebstahls ent-
lassen werden müssen, auf sein Zeugniß ist also gar
kein Gewicht zu legen. Nachträglich hat mau dann in
der Hütte des Ausgewanderten eine Büchse gefunden, und
weil die Kugel, die den Doktor tödtete, in den Lauf die-
ser Büchse paßt, behauptet man, Halm müsse der Mör-
der gewesen sein. Einen weiteren Anhaltspunkt hat die
Untersuchung nicht."
„Keinen?"
„Nein."
„Büchse als Eigcnthurn des Angeklagten rekognoscirt?"
„Halm hat sie als sein Eigcnthum anerkannt."
„Schlimm, aber —"
„Ich glaube, die Kugel würde auch in manche andere
Büchse Passen," sagte Rabe ruhig. „Aber Sie werden
ja die ganze Unhaltbarkeit der Anklage schon erkennen,
wenn Sie die Akten durchgcsehcn haben."
„Hm, werden sehen!"
„Ich hätte gerne mit dem Verhafteten darüber ge-
sprochen, ich kenne ihn besser wie jeder Andere, aber
Assessor v. Stuckmann wollte mir die Erlanbniß nicht
geben."
„Darf er auch nicht."
„Ich wollte es im Interesse der Untersuchung thun."
„Flansen! Untersuchung nicht Ihre Sache!"
„Sie werden es begreiflich finden, daß ich mich den-
noch dafür intercssire, wenn es auch im Grunde ge-
nommen mir glcichgiltig sein kann, ob der Verhaftete
schuldig ist oder nicht. Ich würde mit ihm gesprochen,
ihn au frühere Ereignisse erinnert und dabei'jedenfalls
einen klaren Blick gewonnen haben. Dadurch wäre dein
Assessor ein wesentlicher Dienst geleistet worden."
„Unsinn!" hrummte der Justizrath. „Finger davon
ablassen, undankbares Geschäft."
Der Gutsbesitzer strich mit der Hand über die Stirne
und ein seltsamer Zug umzuckte dabei seine Lippen.
„Auf Dank habe ich nie gerechnet," sagte er, „und
in Fällen, wie der vorliegende, bin ich stets meinen Ein-
gebungen gefolgt. Was ich mir einmal vorgenommcn
habe, das führe ich auch aus, und stoße ich 'dabei auf
Hindernisse, so wird durch sie mein Vorsatz nur befestigt.
Sie kennen wohl keinen Weg, auf dem man mit einem
Gefangenen in Verbindung treten kann?"
„Nein!?
„Dann ist es auch nutzlos, daß wir weiter darüber
reden, und der Assessor muß selbst zusehcn, wie er mit
dem Alaune fertig wird. Die Sache wird Wohl mit
einen: Justizmord enden, man weiß ja aus Erfahrung,
wie ein junger, ehrgeiziger Untersuchungsrichter —"
„Keine Sorge! Vcrtheidigee auch noch da," erwiederte
der Justizrath, während er die Brille dicht vor die Augen
rückte. „Werde die Akten einsehen und Ihnen dann An-

sicht mitthcilen. Keiner; Versuch machen, mit dem Ge-
sungenen zu sprechen, sage Ihnen noch einmal: Unsinn!
Konnten in die Geschichte verwickelt werden, wäre sehr
unangenehm."
Rabe hatte sich erhoben, er zuckte geringschätzend die
Achseln.
„Ich werde den Assessor nicht noch einmal fragen,"
sagte er verächtlich, „will er mir die Erlaubnis; nicht
geben, so werde ich nicht weiter darum bitten. Mir ist
la auch, ich wiederhole es, die Sache ziemlich glcichgiltig,
und ich würde mich gar nicht darum bekümmert haben,
wenn nicht der Verhaftete früher in meinen Diensten
gewesen wäre. Er war, so lange ich ihn kannte, ein
braver, ordentlicher Mensch, ich kann nicht annehmen,
daß er dieses Verbrechen begangen haben soll, zumal keine
Motive vorliegen. Sie werden diese Ueberzcugung auch
gewinnen, ich zweifle nicht daran, und ich erwarte, daß
Sie sich des Mannes annehmen."
Der Justizrath nickte.
„Wollen schon gehen?" fragte er. „Augenblick war-
ten, werde mitgchen, furchtbaren Durst."
„Sie wollen in die rothe Traube?"
„Sie nicht?"
„Ich habe vorher noch einen Gang zu machen, viel-
leicht komme ich später, also auf Wiedersehen."
Willibald Rabe nickte dem alten Herrn zu und ver-
ließ rasch das Haus, es hatte fast den Anschein, als ob
er fürchte, daß der Justizrath ihm seine Begleitung auf-
drängen könne.
Der Abend war schon ziemlich weit vorgerückt, mehr
und mehr verstummte das Leben in den Straßen, es zog
sich in die Schenken zurück, aus denen dem einsamen
Wanderer verworrener Lärm, mitunter durch lautes Ge-
lächter unterbrochen, entgegenschallte.
Der Gutsbesitzer verfolgte seinen Weg mit auffallen-
der Hast, er wanderte dem einsamsten Stadtviertel zu,
jenen; Viertel, in welchem das Gefängniß lag, und das
meist nur von der ärmeren Klasse bewohnt wurde.
Das Gefängniß selbst war ein großes, stattliches Ge-
bäude , mit hoher; Mauern umgeben, vor denen Tag und
Nacht eine Schildwache auf und nieder schritt.
Der Anstalt gegenüber uud ihr zur Seite hatten
spekulative Köpfe armselige Verkaufsläden errichtet, in
denen der Branntwein den Hauptartikel bildete.
Auch eine Schenke befand sich in unmittelbarer Nähe,
eine unsaubere Kneipe, aus deren niedrigen Räumen
nicrnals der Tabaksqualm wich, ein drückender Dunst,
der aus allen Ritzen und Fugen der Wände und des
Fußbodens quoll und den Gästen, die diese Kneipe be-
suchten, eher angenehm als beschwerlich war; sie waren
ja gewohnt, in solcher Luft zu athmen, und ihr eigener
Athen; trug nur dazu bei, sic noch mehr zu verpesten.
In diese Schenke trat der Gutsbesitzer, nachdem er
vor dem Hause eine geraume Weile auf und nieder
gewandert war.
Er blieb auf der Schwelle des Schenkzimmers unwill-
kürlich stehen, es schien ihr; Ueberwiudung zu kosten, in
diese Atmosphäre cinzutrcten, zumal es auch im ersten
Moment seinem Blick nicht möglich war, der; Qualm,
der ihm entgegcnquoll, zu durchdringen.
Endlich trat er, rasch entschlossen, auf den Schenk-
tisch zu, ein hagerer Mann mit einem galligen Gesicht,
dessen ganze Vorderseite eine unsaubere Schürze bedeckte,
stand hinter demselben, während ein kleiner Bursche mit
semmelblondem Haar die Gäste bediente, die zumeist aus
Tagelöhnern und Fabrikarbeitern bestanden. Ter Wirth
sah den elegant gekleideten Herrn befremdet au, er mochte
einen solchen Gast wohl noch nie in seinem Hause gesehen
haben.
„Haben Sie einen guten Liqucur, der den Magen
erwärmt?" fragte der Gutsbesitzer in einem Tone, der
ein wirkliches Leiden vermuthen ließ. „Auf den Preis
kommt es nicht an."
Der Wirth hatte seine Mütze abgenommcn, dienst-
eifrig , der hohen Ehre sich bewußt, die dieser Herr ihm
erzeigte, stellte er ein Glas aus den Schcnktisch, welches
er aus verschiedenen Flaschen füllte.
„Der sogenannte Cholerabitter!" sagte er, selbstgefällig
lächelnd, „meine Gäste finden ihn ausgezeichnet."
„Ja, Ihre Gäste!" erwiederte Rabe, nachdem er an
dem Glase genippt hatte. „Deren Zungen haben andere
Eeschuracksncrven, wie die meinige. Sind wohl meist
Arbeiter, wie?"
„Aufzuwarteu, gnädiger Herr!"
„Wer ist denn der Mauri in Uniform dort?"
„Ein Gefüngnißwärter."
„Scheint ein armer Teufel zu sein."
„Bah, arm sind sie alle, sic werden schlecht bezahlt."
„Und dabei ein mühsamer Dienst."
„Ja, freilich," nickte der Wirth, während Rabe noch
einmal einen verstohlenen Blick auf den Uuiformirteu warf.
Es war eine robuste breitschulterige Gestalt mit kurz-
geschorenem Haar und struppigem Bart, eine Physio-
gnomie ohne bestimmten Ausdruck mit glotzenden Augen
und einer leicht gerötheten Nase.
Die Uniform war alt und abgetragen und nichts
weniger als sauber, der Mann schien auf seine äußere
Erscheinung nicht den mindesten Werth z» legen.

„Man sollte diese Leute besser besolden," sagte Nabe,
und dabei stieß er, Wohl aus Versehen, mit einer unge-
schickten Bewegung sein Glas um, so daß der Inhalt
desselben sich über den Schenktisch ergoß.
„Bitte um Entschuldigung."
„Der Schaden kann leicht reparirt werden," erlvie-
dcrte der Wirth, während er die Flaschen wieder hervor-
holte, um das Gebräu noch einmal zu mischen. „Die
bessere Besoldung ist leider nur ein frommer Wunsch,
der Wohl nie erfüllt wird."
„Ist der Mann verheirathet?"
„Er hat eine kranke Frau und fünf lebendige Kinder."
„Hm, da wird Schmalhans Wohl oft Küchen-
meister sein."
Der Wirth verstand offenbar diese Worte nicht, er
sah den Fremden an und schüttelte der; Kopf.
„Ich meine, dann wird die ganze Familie am Hunger-
tuche nagen," erläuterte Rabe seine Bemerkung.
„Das können Sie denken, eine solche Familie zu
ernähren ist keine Kleinigkeit."
„Empfängt er keine Unterstützung?"
„Von wem sollte er sie empfangen? Vom Staat?
Der sagt ihm einfach, thn' Deine Schuldigkeit, oder Tu
wirst entlassen, er kann ja jeden Tag ein Dutzend finden,
die gern diese Stelle annehmen."
„Das mag wahr sein, aber es ist traurig. Es gibt
ja Privatverenre genug, die für derartige Zwecke sam-
meln, weshalb wendet er sich nicht an solche?"
„Die Privatvereine?" erwiederte der Wirth achsel-
zuckend. „Die liefern den Heiden wollene Socken, ein
sonderbares Vergnügen, und ich sage immer, es ist schade
um das schöne Geld, es könnte zu besseren Zwecken ver-
wendet werden."
„Na, na, Sie urtheilen da etwas scharf," lachte
Rabe, „aber ich nehme Ihnen das nicht übel, denn Sie
verstehen nichts davon. Ich bin Vorstandsruitglied eines
Vereins, der nur verarmte Beamte unterstützt, und da
will ich denn doch sehen, ob ich nichts für den Mann
thun kann. Aber Sie müssen darüber schweigen, ver-
standen ?"
„Soll's im Geheimen geschehen?"
„Wenn es bekannt würde, dann meldeten sich Alle,
und unter diesen auch solche, die es nicht nöthig haben.
Wir können die Verhältnisse jedes einzelnen Mannes nicht
so genau untersuchen, Sie werden das begreifen, und
Unwürdige wollen wir nicht unterstützen."
„Natürlich nicht!" nickte der Wirth.
„Also wie heißt der Mann?"
„Robert Schmalz."
„Und Wo wohnt er?"
„Jur dritten Hause nebenan, im Unterhause ist eirr
Spezereiwaarcugcschüft."
„Er wohnt wohl unter dein Dach?"
„Im Hinterhaus, es soll eine armselige Wohnung
sein."
Der Schließer erhob sich in diesen; Augenblick, es
schien fast, als ahne er, daß man über ihn spreche, mit
einem scheuen Blick auf den Wirth ging er hinaus.
„Sprechen Sie auch mit ihm selbst nicht darüber,"
sagte der Gutsbesitzer, während er ein Geldstück ans den
Tisch legte, „ich weiß ja noch nicht, ob der Mann der
Unterstützung würdig befunden wird, und man darf
solchen Leuten keine Hoffnungen machen, wenn man nicht
mit Sicherheit weiß, daß sie erfüllt werden."
„Ich werde schweigen."
„Na, rinn ist es mir dennoch lieb, daß rnein Magen-
leiden mich in Ihr Haus geführt hat, unter anderen
Umständen würde ich cs vielleicht nicht betreten haben.
Man sollte öfters in solche Schenken geben, in ihnen
lernt man das Elend kennen."
„Auch nicht immer, gnädiger Herr!"
„Mar; findet freilich neben dem Elend auch das
Laster — apropos, der Mann wird wohl kein Trunken-
bold sein?"
„Bewahre! Wenn er daun und wann einmal ein
Gläschen trinkt, so kann inan ihm das Wohl gönnen;
er hat ein saures Amt uud das Elend zu Hause treibt
ihn auch hinaus."
„Schuldet er Ihnen Geld?"
„Viel ist es nicht, man muß mitunter den Leuten
borgen, sie haben nur zu Anfang des Monats ein paar
Groschen, und dann zahlen sie auch, was sie schuldig
sind."
Der Gutsbesitzer erwiederte darauf nichts, er rückte
den Hut noch tiefer in die Angen, einige in der Nähe
sitzende Gäste, die aufmerksam auf ihn geworden waren,
beobachteten ihn unverwandt, und daß diese Beobachtung
einem so vornehmen Herrn unangenehm war, konnte
Niemand Wundern.
„Wissen Sie vielleicht, auf welchen; Fuße der Manu
mit seiner; Vorgesetzten steht?" fragte er. „Ich möchte
das gerne wissen, für den Fall uns von dieser Seite eine
schlechte Auskunft über ihn gegeben würde."
„Der Inspektor ist sein Freund nicht," erwiederte
der Wirth. „Arif ihn fällt dabei kein Vorwurf, denn
der Inspektor ist bei Allen verhaßt."
„So weiß ich, wonach ich mich zu richten habe,
gute Nacht."
 
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