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D a S V ii ch f ii r All e.
Heft i:i.
der Oberst, „und weis war das Resultat Deiner Unter-
suchung?"
„Wenn ich sie weiter führen wvtlte, daun — aber
die Generalin wünscht, daß die Akten geschlossen werden."
„Wohl ihres Bruders wegen?"
„Wie kommst Tu darauf, Papa?" fragte Siegfried
betroffen.
„Bah, ich habe auch meine Nermnthungen, ich habe
ihnen lauge Jahre nachgehangen und an ihnen festgehal-
ten, mochten auch alle Anderen ihnen widersprechen."
Der Assessor blickte gedankenvoll vor sich hin.
„Ich weiß nicht, wie ich darüber urtheilen soll,"
sagte er nach einer Panse; „mitunter steigen entschliche
Vermnthungen in mir ans, aber ich finde keinen Halt-
punkt für sie und ich mag sie nicht aussprechen, so
lange mir Beweise fehlen. Und im Grunde genommen
ist es mir lieb, daß die Sache nicht weiter untersucht
werden soll —"
„Fürchtest Du, daß Nabe eines Verbrechens beschul-
digt werden könnte?"
„Nein," erwiederte Siegfried rasch. „Und wenn die-
ser Fall cinträte, dann würde ich das der Generalin wegen
bedauern. Man würde mir alsdann den Borwurf machen,
daß ich ans Persönlicher Abneigung gegen Rabe Alles
hcrvorgesncht Habe, nm ans ihn die Schuld zu wälzen/'
„Sag's gerade heraus, Du fürchtest, Deine Cousine
könne Dir diesen Vorwurf machen."
„Sie gewiß nicht, sie theilt meine Abneigung gegen
ihren Onkel."
„Sie theilt diese Abneigung?" fragte der Lberst über-
rascht. „Dann fließt das Blut ihres Vaters in ihren
Adern. Aber diese Behauptung paßt auch wieder nicht,
der General war ja ein spezieller Freund der Rabe's.
Daß die Generalin mit ihrer blendenden, imponirenden
Erscheinung ihn gefesselt hat, das ist mir allerdings be-
greiflich, sie könnte heute noch diesen Zauber ausüben,
wenn sie es wollte. Und wie ich mich stets vor dem
Talent gebeugt habe, so beuge ich mich auch vor der
Schönheit; aber unbegreiflich ist es mir, daß der Ge-
neral dein Bruder seiner Frau Vertrauen und seine volle
Gunst schenken konnte. Und was das Testament betrifft,
Siegfried, so habe ich darüber auch meine besonderen
Gedanken. Ich bin kein Kind, ich habe in meinem Leben
auch manche Erfahrung gemacht, und ich liebe es nicht,
wenn man mir ein Märchen anftischt mit der Zumulhung,
an dasselbe zu glauben. Nach dem Tode meines Bru-
ders hat Rabe jedenfalls Alles durchsucht, denn wer ein
solches Testament hinterlassen will, der spricht auch zu
seinen Lebzeiten davon, wenigstens läßt er mitunter eine
darauf bezügliche Aeußernng fallen, nm zu erforschen,
wie seine Angehörigen über diese Bestimmungen denken.
Und Rabe hat sicherlich Kenntnis; davon gehabt, also
wird er auch dem Testament nachgeforscht haben."
„Hätte er es gefunden, so würde er es vernichtet
haben," warf Siegfried ein.
„Davon mag die Generalin ihn zurückgehalten haben —"
„Du glaubst, die Generalin habe früher schon von
der Existenz dieses Dokuments Kenntnis; gehabt?"
„Wäre das etwa unmöglich?"
„Soweit ich die Generalin kenne, halte ich es in der
That für unmöglich. Ich bin fest überzeugt, daß sie
das Testament erst gestern gefunden hat."
„Man kann darüber anderer Ansicht sein."
„Ich nicht, Papa."
„Bah, Deine Menschenkenntniß reicht nicht weit. Die
Generalin wünscht gerade jetzt aus besonderen Gründen
die Aussöhnung, durch das Testament hofft sie dieselbe
anzubahnen."
„Du denkst nicht an das Opfer, welches dieses Do-
kument ihr anferlegt. Sie wird durch dasselbe genöthigt,
ihr halbes Vermögen Dir abzutreten."
„Und die beiden Hälften werden gleich daraus durch
die projektirte Verbindung wieder vereinigt," sagte der
Oberst mit schneidendem Spott. „Ich hoffe und glaube
auch nicht, daß Du die Hände dabei im Spiel hast, das
wäre Deiner unwürdig —"
„Kann ich mehr thnn, als Dir die Versicherung ge-
ben, daß ich von dem Zwecke, der die Generalin hieher
führte, keine Ahnung hatte?" fiel Siegfried ihm vor-
wurfsvoll in's Wort. „Hätte sie mir Vertrauen ge-
schenkt, so würde ich ihr abgerathen und zuvor Dich vor-
bereitet haben, die heftige Scene wäre dadurch vermieden
worden. Mag man über die Sachlage nun auch urthei-
len, wie man will, in diesem Wortstreit konnte ich Dir
nicht Recht geben. Und weshalb sollen die Bestimmungen
dieses Testaments nicht erfüllt werden? Ich finde, daß
der Entschluß des Generals, Dir das Stammgnt zu
übertragen, von einer echt brüderlichen Gesinnung zeugt,
und —"
„Darüber zu entscheiden, steht mir allein zu," er-
wiederte der Oberst auffahrend, während er seine Hand-
schuhe anzvg, „ich handle stets nach meinen eigenen
Grundsätzen."
„Und Du willst bei Deinem Entschluß beharren?"
„Warten wir ab, bis die Generalin mir wirklich das
Gut zur Verfügung stellt."
„Das wird in den nächsten Tagen geschehen."
„Dann ist es immer noch Zeit, darüber zu berathcn.
Ich Ivill auch zuvor noch mit Lossow darüber reden, er
gab mir stets einen guten Rath, wenn ich eines solchen
bedurfte."
Damit ging der alte Herr hinaus, kopfschüttelnd
blickte Siegfried ihm nach, er konnte diesen hartnäckigen,
trotzigen Eigensinn nicht begreifen und noch weniger
billigen.
Das war nicht mehr das zähe Festhalten an schroffen
Vornrtheilen, es war ein tief eingewurzelter Haß, der
durch nichts gerechtfertigt oder entschuldigt werden konnte.
Siegfried konnte freilich keine Ahnung davon haben,
daß die imponirende Schönheit der Generalin, ihr ruhiges,
würdevolles Auftreten, ihre aristokratische Haltung und
vor Allem ihre muthige und energische Vertheidigung
des Gatten einen tiefen und nachhaltigen Eindruck auf
den Oberst gemacht hatten, und daß der alte Herr gegen
diesen Eindruck seinen ganzen trotzigen Stolz aufbvt, weil
er von ihm sich nicht beeinflussen lassen wollte.
Vierzehntes Kapitel.
Ein Kammcrdiencr.
Die Generalin hatte kaum das Gut verlassen, als
Herr v. Barnekow hoch zu Roß aüf demselben eintraf.
Joseph führte den fremden Herrn in den Empfangs-
salon, und einige Minuten später stand Rabe dem Freunde
gegenüber.
„Sie kommen leider zu einer sehr ungelegenen Stunde,"
sagte er einigermaßen verlegen, „die Frau Generalin ist
soeben zur Stadt gefahren, und meine Nichte wird heute
keinen Besuch annehmen."
„Das ist wirklich seltsam," erwiederte Herr v. Bar-
nekvw spöttisch, während er, ohne eine Einladung abzu-
warten, sich in einen Sessel niederließ. „Sie laden mich
ein, in dieser Stunde zu kommen, und sobald ich mich
einfinde, sagen Sie mir, es sei die ungelegenste Stunde,
die ich habe wühlen können."
„Allerdings, mein Freund, aber wegen dieses schein-
baren Widerspruchs trifft mich kein Vorwurf. Unser
alter Gärtner ist in der vergangenen Nacht plötzlich ge-
storben, und meine Nichte hat sich den Trauerfall etwas
allzu sehr zu Herzen genommen. Tadeln will ich sie
deshalb nicht, aber Sie werden begreifen, daß ich unter
diesen Umständen Bedenken tragen mnß, Sie heute vor-
znstcllcn."
„Hm, daß das Ableben eines Dienstboten so großen
Einfluß auf die Gemüthsstimmnng der Herrschaft haben
könnte, will mir nicht recht cinleuchtcn. Man findet
immer wieder Ersatz ---"
„Tie Charaktere sind verschieden, Barnekow; der
Gärtner war ein altes Erbstück, er hat meine Nichte von
Kindheit auf gekannt."
„Wäre nicht ein zufälliges Begegnen zu ermöglichen?"
„Man würde die Absicht merken und verstimmt wer-
den," erwiederte Räbe kopfschüttelnd. „Ueberdies halte
ich eS für besser, wenn Sie sich gedulden, bis ich Sic
auch meiner Schwester vorstcllen kann."
Er zog an der Glvckenschnur und gab dem gleich
darauf eintretendcn Kamme'N.'ner mit leiser Stimme
einen Befehl.
Herr v. Barnekow klopfte mit der Reitgerte auf seine
zierlichen Lackstiefel und blickte durch das goldene Lorgnon
den Freund erwartungsvoll an.
„Und wie lange gedenken Sie meine Geduld ans die
Probe zu stellen?" fragte er.
„Nur einige Tage; Sie werden mir zngeben, daß
man eine solche Sache nicht über's Knie brechen kann."
„Ich verlange das auch nicht, aber ich wünsche doch
bald Gewißheit zu haben. Wenn ich's recht bedenke, so
bereue ich, den Handel mit Ihnen abgeschlossen zu
haben."
„Aus welchem Grunde? Mißtrauen Sie mir?"
„Das will ich nicht gesagt haben, und zu einem sol-
chen Mißtrauen habe ich ja auch noch keinen Grund.
Es genirt, daß ich so lange auf das Geld warten soll.
Nehmen Sie mir das nicht übel, Rabe, ich habe in der
vergangenen Nacht Pech gehabt und mir dadurch Ver-
pflichtungen aufgeladen, die nur sehr unangenehm und
drückend sind."
Joseph trat in diesem Augenblick ein, er trug auf
einem silbernen Teller eine mit Schilf niNflochtene Flasche
und zwei funkelnde Krystallglüser.
„Und das verstimmt Sie?" fragte Rabe lachend, wäh-
rend er behutsam die Gläser füllte. „Sie betreiben die
Sache ja systematisch, was Sie heute verlieren, können
Sie morgen wieder gewinnen."
„Die Möglichkeit ist freilich vorhanden, aber mit der
Aussicht auf diese Möglichkeit kann man keine Spiel-
schulden decken," erwiederte Barnekow ärgerlich. „Es
wäre mir wirklich lieb, wenn Sie mir aus der Verlegen-
heit helfen könnten."
Willibald Rabe warf aus den halbgcschlossenen Angen
einen finsteren Blick auf seinen Freund.
„Sie haben drollige Einfälle," sagte er, „aber be-
sondere Ehre machen sie Ihrem Verstände nicht. Wenn
unter Männern einmal ein Vertrag geschlossen worden
ist, so muß auch Jeder an den Bedingungen desselben
festhalten. Und nach dem zwischen uns geschlossenen
Vertrag haben Sie heute noch kein Recht, Ihre For-
derung an mich geltend zu machen."
„Ich beanspruche dieses Recht auch durchaus nicht,
ich sage ja nur, Sie würden mir damit einen großen
Gefallen erzeigen —"
„Und daneben wissen Sie so gut wie ich, daß es
mir augenblicklich ganz unmöglich ist!"
„Mit 1000 Thalern wäre mir geholfen."
„Und morgen und jeden folgenden Tag abermals
1000 Thaler, bis die Schuld getilgt ist," spottete Rabe.
„Barnekow, mir scheint, Sic glauben, die Forderung sei
Ihnen nicht sicher genug."
Herr v. Barnekow machte eine ungeduldige Bewegung.
„Wenn Sie diesen Verdacht hegen, so wollen wir
nicht weiter darüber reden, sondern uns lediglich an den
Bestimmungen unseres Vertrags hätten," erwiederte er,
während er die Gläser seines Lorgnons reinigte. „Offen-
herzig gestanden, habe ich kein besonderes Vertrauen da^u,
daß ich hier Herr und Gebieter werden soll. Was helft
es, ob ich mich in Illusionen wiege, die eben nichts wei-
ter als Phantome sind! Erkundigt man sich nach mir,
so wird man erfahren, daß ich keine Mittel besitze —"
„Ich glaubte alle diese Bedenken beseitigt zu haben,
und nun tauchen sie noch einmal auf," unterbrach Rabe
ihn sarkastisch; „mit Ihnen ist nichts anzufangen, der
Muth fehlt Ihnen. Machen Sie wenigstens den Ver-
such, zurücktreten können Sie noch immer."
Der Gutsbesitzer war bei den letzten Worten an's
Fenster getreten, die vielen Einwürfe lind Zweifel des
Freundes, die offenbar nur darauf hinausliefen, die Schuld-
forderung geltend zu machen, ärgerten und verstimm-
ten ihn.
Sein Blick fiel auf Arabella, sie wanderte in: Garten
zwischen den Blumenbeeten auf und nieder.
„Der Zufall scheint Sie begünstigen zu wollen, Bar-
nekow," sagte Räbe rasch entschlossen, „meine Nichte ist
im Garten, kommen Sie, ich werde Ihnen meine Rosen
zeigen."
Herr v. Barnekow erhob sich hastig und warf einen
Blick auf den Spiegel; ein selbstzufriedenes Lächeln glitt
über seine Lippen, seine Toilette war tadellos.
„Ich hoffe, Sie werden sich in die Rolle eines Rosen-
liebhabers hineinfinden können," fuhr Rabe fort, während
er der Thüre zuschritt, „es ist dazu weiter nichts nöthig,
als daß sie dann und wann ein Wort der Bewunderung
einflechten."
Barnekow nickte zustimmend mit der Miene eines
Mannes, der sich seines WertheS bewußt ist.
Die beiden Herren verließen das Schloß, Arabella
bemerkte sie erst, als sie bereits in ihrer Nähe waren.
Ausweichen konnte sie ihnen nicht mehr, aber sie
empfing den Freund ihres Onkels mit kühler, zurück-
haltender Höflichkeit, ihre erregte Stimmung erlaubte ihr
nicht, den Fremden freundlich zu empfangen.
Herr v. Barnekow suchte ein Gespräch anzuknüpfen,
Arabella antwortete nur kurz und einsilbig, trotz der vor-
wurfsvollen Blicke ihres Onkels, der sich häufig genöthigt
fäh, an ihrer Stelle den Faden der Unterredung auf-
zunehmen.
Und die Schmeicheleien, die Barnekow allerdings ge-
schickt eiuzuflechten verstand, machten auch nicht den
beabsichtigten Eindruck, Arabella zog im Gcgentheil die
seinen Brauen ernster zusammen und mitunter erschien
ein verächtlicher Zug um die Lippen, der nur zu deutlich
erkennen ließ, daß auf diesem Wege der ersehnte Zweck
nicht zu erreichen war.
Herr v. Barnekow sprach über Theater und Musik
mit einer wahrhaft erstaunlichen Leichtigkeit und einer
bestechenden Eleganz, aber seine Urtheile waren außer-
ordentlich oberflächlich, und nur die wahrhaft verwegene
Kühnheit, mit der sie ausgesprochen wurden, war an
ihnen zu bewundern.
Arabella hätte ihm das beweisen, ihn vor den Augen
ihres Onkels demüthigen können, sie verzichtete darauf,
mit ihrem scharfen Blick hatte sie die Seichtheit und
Oberflächlichkeit dieses Mannes bereits erkannt, er war
ihr zu unbedeutend.
Barnekow bemerkte von alledem nichts, aber er stutzte
doch, als Arabella Plötzlich mitten in der Unterhaltung
sich verbeugte und ihm den Rücken wandte.
Er klemmte das Lorgnon aus die Nase und sah ihr
betroffen nach, dann heftete er den Blick auf den Freund,
in dessen Augen die Gluth des Zornes loderte.
„Was bedeutet das?" fragte er.
„Das bedeutet, daß Sie —"
Mit den Zähnen knirschend brach Rabe mitten in der
Antwort ab, er schien es doch nicht für rathsam zu halten,
die Worte auszusprechen, die ihm auf der Zunge schwebten.
„Ich begreife Sie nicht, Barnekow," fuhr er nach
einer Pause in ruhigerem Tone fort, „wie können Sie
denn glauben, das; Ihre albernen, aus Zcitungsrecensioneu
geschöpften Urtheile eine feingebildele Dame interessireu
werden. Dergleichen können Sie am grünen Tisch znm
Besten geben, wenn Niemand weiter darauf achtet, aber - "
„Erlauben Sie, ich habe über dieses Thema in durch-
aus geistreicher Weise gesprochen," sagte Barnekow gereizt.
D a S V ii ch f ii r All e.
Heft i:i.
der Oberst, „und weis war das Resultat Deiner Unter-
suchung?"
„Wenn ich sie weiter führen wvtlte, daun — aber
die Generalin wünscht, daß die Akten geschlossen werden."
„Wohl ihres Bruders wegen?"
„Wie kommst Tu darauf, Papa?" fragte Siegfried
betroffen.
„Bah, ich habe auch meine Nermnthungen, ich habe
ihnen lauge Jahre nachgehangen und an ihnen festgehal-
ten, mochten auch alle Anderen ihnen widersprechen."
Der Assessor blickte gedankenvoll vor sich hin.
„Ich weiß nicht, wie ich darüber urtheilen soll,"
sagte er nach einer Panse; „mitunter steigen entschliche
Vermnthungen in mir ans, aber ich finde keinen Halt-
punkt für sie und ich mag sie nicht aussprechen, so
lange mir Beweise fehlen. Und im Grunde genommen
ist es mir lieb, daß die Sache nicht weiter untersucht
werden soll —"
„Fürchtest Du, daß Nabe eines Verbrechens beschul-
digt werden könnte?"
„Nein," erwiederte Siegfried rasch. „Und wenn die-
ser Fall cinträte, dann würde ich das der Generalin wegen
bedauern. Man würde mir alsdann den Borwurf machen,
daß ich ans Persönlicher Abneigung gegen Rabe Alles
hcrvorgesncht Habe, nm ans ihn die Schuld zu wälzen/'
„Sag's gerade heraus, Du fürchtest, Deine Cousine
könne Dir diesen Vorwurf machen."
„Sie gewiß nicht, sie theilt meine Abneigung gegen
ihren Onkel."
„Sie theilt diese Abneigung?" fragte der Lberst über-
rascht. „Dann fließt das Blut ihres Vaters in ihren
Adern. Aber diese Behauptung paßt auch wieder nicht,
der General war ja ein spezieller Freund der Rabe's.
Daß die Generalin mit ihrer blendenden, imponirenden
Erscheinung ihn gefesselt hat, das ist mir allerdings be-
greiflich, sie könnte heute noch diesen Zauber ausüben,
wenn sie es wollte. Und wie ich mich stets vor dem
Talent gebeugt habe, so beuge ich mich auch vor der
Schönheit; aber unbegreiflich ist es mir, daß der Ge-
neral dein Bruder seiner Frau Vertrauen und seine volle
Gunst schenken konnte. Und was das Testament betrifft,
Siegfried, so habe ich darüber auch meine besonderen
Gedanken. Ich bin kein Kind, ich habe in meinem Leben
auch manche Erfahrung gemacht, und ich liebe es nicht,
wenn man mir ein Märchen anftischt mit der Zumulhung,
an dasselbe zu glauben. Nach dem Tode meines Bru-
ders hat Rabe jedenfalls Alles durchsucht, denn wer ein
solches Testament hinterlassen will, der spricht auch zu
seinen Lebzeiten davon, wenigstens läßt er mitunter eine
darauf bezügliche Aeußernng fallen, nm zu erforschen,
wie seine Angehörigen über diese Bestimmungen denken.
Und Rabe hat sicherlich Kenntnis; davon gehabt, also
wird er auch dem Testament nachgeforscht haben."
„Hätte er es gefunden, so würde er es vernichtet
haben," warf Siegfried ein.
„Davon mag die Generalin ihn zurückgehalten haben —"
„Du glaubst, die Generalin habe früher schon von
der Existenz dieses Dokuments Kenntnis; gehabt?"
„Wäre das etwa unmöglich?"
„Soweit ich die Generalin kenne, halte ich es in der
That für unmöglich. Ich bin fest überzeugt, daß sie
das Testament erst gestern gefunden hat."
„Man kann darüber anderer Ansicht sein."
„Ich nicht, Papa."
„Bah, Deine Menschenkenntniß reicht nicht weit. Die
Generalin wünscht gerade jetzt aus besonderen Gründen
die Aussöhnung, durch das Testament hofft sie dieselbe
anzubahnen."
„Du denkst nicht an das Opfer, welches dieses Do-
kument ihr anferlegt. Sie wird durch dasselbe genöthigt,
ihr halbes Vermögen Dir abzutreten."
„Und die beiden Hälften werden gleich daraus durch
die projektirte Verbindung wieder vereinigt," sagte der
Oberst mit schneidendem Spott. „Ich hoffe und glaube
auch nicht, daß Du die Hände dabei im Spiel hast, das
wäre Deiner unwürdig —"
„Kann ich mehr thnn, als Dir die Versicherung ge-
ben, daß ich von dem Zwecke, der die Generalin hieher
führte, keine Ahnung hatte?" fiel Siegfried ihm vor-
wurfsvoll in's Wort. „Hätte sie mir Vertrauen ge-
schenkt, so würde ich ihr abgerathen und zuvor Dich vor-
bereitet haben, die heftige Scene wäre dadurch vermieden
worden. Mag man über die Sachlage nun auch urthei-
len, wie man will, in diesem Wortstreit konnte ich Dir
nicht Recht geben. Und weshalb sollen die Bestimmungen
dieses Testaments nicht erfüllt werden? Ich finde, daß
der Entschluß des Generals, Dir das Stammgnt zu
übertragen, von einer echt brüderlichen Gesinnung zeugt,
und —"
„Darüber zu entscheiden, steht mir allein zu," er-
wiederte der Oberst auffahrend, während er seine Hand-
schuhe anzvg, „ich handle stets nach meinen eigenen
Grundsätzen."
„Und Du willst bei Deinem Entschluß beharren?"
„Warten wir ab, bis die Generalin mir wirklich das
Gut zur Verfügung stellt."
„Das wird in den nächsten Tagen geschehen."
„Dann ist es immer noch Zeit, darüber zu berathcn.
Ich Ivill auch zuvor noch mit Lossow darüber reden, er
gab mir stets einen guten Rath, wenn ich eines solchen
bedurfte."
Damit ging der alte Herr hinaus, kopfschüttelnd
blickte Siegfried ihm nach, er konnte diesen hartnäckigen,
trotzigen Eigensinn nicht begreifen und noch weniger
billigen.
Das war nicht mehr das zähe Festhalten an schroffen
Vornrtheilen, es war ein tief eingewurzelter Haß, der
durch nichts gerechtfertigt oder entschuldigt werden konnte.
Siegfried konnte freilich keine Ahnung davon haben,
daß die imponirende Schönheit der Generalin, ihr ruhiges,
würdevolles Auftreten, ihre aristokratische Haltung und
vor Allem ihre muthige und energische Vertheidigung
des Gatten einen tiefen und nachhaltigen Eindruck auf
den Oberst gemacht hatten, und daß der alte Herr gegen
diesen Eindruck seinen ganzen trotzigen Stolz aufbvt, weil
er von ihm sich nicht beeinflussen lassen wollte.
Vierzehntes Kapitel.
Ein Kammcrdiencr.
Die Generalin hatte kaum das Gut verlassen, als
Herr v. Barnekow hoch zu Roß aüf demselben eintraf.
Joseph führte den fremden Herrn in den Empfangs-
salon, und einige Minuten später stand Rabe dem Freunde
gegenüber.
„Sie kommen leider zu einer sehr ungelegenen Stunde,"
sagte er einigermaßen verlegen, „die Frau Generalin ist
soeben zur Stadt gefahren, und meine Nichte wird heute
keinen Besuch annehmen."
„Das ist wirklich seltsam," erwiederte Herr v. Bar-
nekvw spöttisch, während er, ohne eine Einladung abzu-
warten, sich in einen Sessel niederließ. „Sie laden mich
ein, in dieser Stunde zu kommen, und sobald ich mich
einfinde, sagen Sie mir, es sei die ungelegenste Stunde,
die ich habe wühlen können."
„Allerdings, mein Freund, aber wegen dieses schein-
baren Widerspruchs trifft mich kein Vorwurf. Unser
alter Gärtner ist in der vergangenen Nacht plötzlich ge-
storben, und meine Nichte hat sich den Trauerfall etwas
allzu sehr zu Herzen genommen. Tadeln will ich sie
deshalb nicht, aber Sie werden begreifen, daß ich unter
diesen Umständen Bedenken tragen mnß, Sie heute vor-
znstcllcn."
„Hm, daß das Ableben eines Dienstboten so großen
Einfluß auf die Gemüthsstimmnng der Herrschaft haben
könnte, will mir nicht recht cinleuchtcn. Man findet
immer wieder Ersatz ---"
„Tie Charaktere sind verschieden, Barnekow; der
Gärtner war ein altes Erbstück, er hat meine Nichte von
Kindheit auf gekannt."
„Wäre nicht ein zufälliges Begegnen zu ermöglichen?"
„Man würde die Absicht merken und verstimmt wer-
den," erwiederte Räbe kopfschüttelnd. „Ueberdies halte
ich eS für besser, wenn Sie sich gedulden, bis ich Sic
auch meiner Schwester vorstcllen kann."
Er zog an der Glvckenschnur und gab dem gleich
darauf eintretendcn Kamme'N.'ner mit leiser Stimme
einen Befehl.
Herr v. Barnekow klopfte mit der Reitgerte auf seine
zierlichen Lackstiefel und blickte durch das goldene Lorgnon
den Freund erwartungsvoll an.
„Und wie lange gedenken Sie meine Geduld ans die
Probe zu stellen?" fragte er.
„Nur einige Tage; Sie werden mir zngeben, daß
man eine solche Sache nicht über's Knie brechen kann."
„Ich verlange das auch nicht, aber ich wünsche doch
bald Gewißheit zu haben. Wenn ich's recht bedenke, so
bereue ich, den Handel mit Ihnen abgeschlossen zu
haben."
„Aus welchem Grunde? Mißtrauen Sie mir?"
„Das will ich nicht gesagt haben, und zu einem sol-
chen Mißtrauen habe ich ja auch noch keinen Grund.
Es genirt, daß ich so lange auf das Geld warten soll.
Nehmen Sie mir das nicht übel, Rabe, ich habe in der
vergangenen Nacht Pech gehabt und mir dadurch Ver-
pflichtungen aufgeladen, die nur sehr unangenehm und
drückend sind."
Joseph trat in diesem Augenblick ein, er trug auf
einem silbernen Teller eine mit Schilf niNflochtene Flasche
und zwei funkelnde Krystallglüser.
„Und das verstimmt Sie?" fragte Rabe lachend, wäh-
rend er behutsam die Gläser füllte. „Sie betreiben die
Sache ja systematisch, was Sie heute verlieren, können
Sie morgen wieder gewinnen."
„Die Möglichkeit ist freilich vorhanden, aber mit der
Aussicht auf diese Möglichkeit kann man keine Spiel-
schulden decken," erwiederte Barnekow ärgerlich. „Es
wäre mir wirklich lieb, wenn Sie mir aus der Verlegen-
heit helfen könnten."
Willibald Rabe warf aus den halbgcschlossenen Angen
einen finsteren Blick auf seinen Freund.
„Sie haben drollige Einfälle," sagte er, „aber be-
sondere Ehre machen sie Ihrem Verstände nicht. Wenn
unter Männern einmal ein Vertrag geschlossen worden
ist, so muß auch Jeder an den Bedingungen desselben
festhalten. Und nach dem zwischen uns geschlossenen
Vertrag haben Sie heute noch kein Recht, Ihre For-
derung an mich geltend zu machen."
„Ich beanspruche dieses Recht auch durchaus nicht,
ich sage ja nur, Sie würden mir damit einen großen
Gefallen erzeigen —"
„Und daneben wissen Sie so gut wie ich, daß es
mir augenblicklich ganz unmöglich ist!"
„Mit 1000 Thalern wäre mir geholfen."
„Und morgen und jeden folgenden Tag abermals
1000 Thaler, bis die Schuld getilgt ist," spottete Rabe.
„Barnekow, mir scheint, Sic glauben, die Forderung sei
Ihnen nicht sicher genug."
Herr v. Barnekow machte eine ungeduldige Bewegung.
„Wenn Sie diesen Verdacht hegen, so wollen wir
nicht weiter darüber reden, sondern uns lediglich an den
Bestimmungen unseres Vertrags hätten," erwiederte er,
während er die Gläser seines Lorgnons reinigte. „Offen-
herzig gestanden, habe ich kein besonderes Vertrauen da^u,
daß ich hier Herr und Gebieter werden soll. Was helft
es, ob ich mich in Illusionen wiege, die eben nichts wei-
ter als Phantome sind! Erkundigt man sich nach mir,
so wird man erfahren, daß ich keine Mittel besitze —"
„Ich glaubte alle diese Bedenken beseitigt zu haben,
und nun tauchen sie noch einmal auf," unterbrach Rabe
ihn sarkastisch; „mit Ihnen ist nichts anzufangen, der
Muth fehlt Ihnen. Machen Sie wenigstens den Ver-
such, zurücktreten können Sie noch immer."
Der Gutsbesitzer war bei den letzten Worten an's
Fenster getreten, die vielen Einwürfe lind Zweifel des
Freundes, die offenbar nur darauf hinausliefen, die Schuld-
forderung geltend zu machen, ärgerten und verstimm-
ten ihn.
Sein Blick fiel auf Arabella, sie wanderte in: Garten
zwischen den Blumenbeeten auf und nieder.
„Der Zufall scheint Sie begünstigen zu wollen, Bar-
nekow," sagte Räbe rasch entschlossen, „meine Nichte ist
im Garten, kommen Sie, ich werde Ihnen meine Rosen
zeigen."
Herr v. Barnekow erhob sich hastig und warf einen
Blick auf den Spiegel; ein selbstzufriedenes Lächeln glitt
über seine Lippen, seine Toilette war tadellos.
„Ich hoffe, Sie werden sich in die Rolle eines Rosen-
liebhabers hineinfinden können," fuhr Rabe fort, während
er der Thüre zuschritt, „es ist dazu weiter nichts nöthig,
als daß sie dann und wann ein Wort der Bewunderung
einflechten."
Barnekow nickte zustimmend mit der Miene eines
Mannes, der sich seines WertheS bewußt ist.
Die beiden Herren verließen das Schloß, Arabella
bemerkte sie erst, als sie bereits in ihrer Nähe waren.
Ausweichen konnte sie ihnen nicht mehr, aber sie
empfing den Freund ihres Onkels mit kühler, zurück-
haltender Höflichkeit, ihre erregte Stimmung erlaubte ihr
nicht, den Fremden freundlich zu empfangen.
Herr v. Barnekow suchte ein Gespräch anzuknüpfen,
Arabella antwortete nur kurz und einsilbig, trotz der vor-
wurfsvollen Blicke ihres Onkels, der sich häufig genöthigt
fäh, an ihrer Stelle den Faden der Unterredung auf-
zunehmen.
Und die Schmeicheleien, die Barnekow allerdings ge-
schickt eiuzuflechten verstand, machten auch nicht den
beabsichtigten Eindruck, Arabella zog im Gcgentheil die
seinen Brauen ernster zusammen und mitunter erschien
ein verächtlicher Zug um die Lippen, der nur zu deutlich
erkennen ließ, daß auf diesem Wege der ersehnte Zweck
nicht zu erreichen war.
Herr v. Barnekow sprach über Theater und Musik
mit einer wahrhaft erstaunlichen Leichtigkeit und einer
bestechenden Eleganz, aber seine Urtheile waren außer-
ordentlich oberflächlich, und nur die wahrhaft verwegene
Kühnheit, mit der sie ausgesprochen wurden, war an
ihnen zu bewundern.
Arabella hätte ihm das beweisen, ihn vor den Augen
ihres Onkels demüthigen können, sie verzichtete darauf,
mit ihrem scharfen Blick hatte sie die Seichtheit und
Oberflächlichkeit dieses Mannes bereits erkannt, er war
ihr zu unbedeutend.
Barnekow bemerkte von alledem nichts, aber er stutzte
doch, als Arabella Plötzlich mitten in der Unterhaltung
sich verbeugte und ihm den Rücken wandte.
Er klemmte das Lorgnon aus die Nase und sah ihr
betroffen nach, dann heftete er den Blick auf den Freund,
in dessen Augen die Gluth des Zornes loderte.
„Was bedeutet das?" fragte er.
„Das bedeutet, daß Sie —"
Mit den Zähnen knirschend brach Rabe mitten in der
Antwort ab, er schien es doch nicht für rathsam zu halten,
die Worte auszusprechen, die ihm auf der Zunge schwebten.
„Ich begreife Sie nicht, Barnekow," fuhr er nach
einer Pause in ruhigerem Tone fort, „wie können Sie
denn glauben, das; Ihre albernen, aus Zcitungsrecensioneu
geschöpften Urtheile eine feingebildele Dame interessireu
werden. Dergleichen können Sie am grünen Tisch znm
Besten geben, wenn Niemand weiter darauf achtet, aber - "
„Erlauben Sie, ich habe über dieses Thema in durch-
aus geistreicher Weise gesprochen," sagte Barnekow gereizt.