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Hch 13

Das Buch für Alle.

„Ja, was Sie geistreich nennen! Sogar meine Ge-
duld wurde auf eine harte Probe gestellt, nnd mich
wundert nur, daß Sie nicht auch noch über Pferde
nnd Hunde ein Kapitel abgeleiert haben. Sic sind un-
verbesserlich."
„Und Sie sind außerordentlich grob!" erwiederte Herr
v. Barnckow achselzuckend. „Wie ich mich einer Dame
gegenüber zu verhalten habe, weiß ich selbst sehr Wohl,
und hat Fräulein v. Stuckmann in der That eine so
gediegene Bildung genossen, so hätten Sie mich darauf
aufmerksam machen sollen."
„Bei Ihnen glaubte ich das nicht nöthig zu haben,"
sagte Rabe mit schneidendem Spott.
„Und nun glauben Sie, mein erstes Debüt habe
Alles verdorben?"
„Das will ich nicht behaupten, Barnekow, Sie können
immerhin den zweiten Versuch noch machen! Aber warten
Sie damit, bis ich Sie meiner Schwester vorstellen kann,
ich sagte Ihnen ja früher schon, die Entscheidung hänge
hauptsächlich von dem Eindruck ab, dem Sie auf die
Generalin machten."
Herr v. Barnekow belustigte sich damit, seinen Grimm
an einem Beet voll blühender Petunien anszulnssen, die
er mit feiner Reitgerte kunstgerecht köpfte.
„Ich habe das Vertrauen verloren," erwiederte er,
„Fräulein v. Stuckinan n hat durch ihre plötzliche und
gänzlich unmotivirte Entfernung mir eine entschiedene
Abneigung gezeigt. Schon der Empfang war nichts
weniger als ermuthigend, Sie werden mir wohl die Be-
merkung erlauben, daß eine feingebildete Dame in dieser
Weise keinen Gast empfängt, der ihr zum ersten Male
vorgestellt wird."
„Und Sie werden mir dagegen Wohl die Bemerkung
nicht übel nehmen, daß man in einem fremden Garten —"
„Verzeihen Sie, der Unmuth ließ mich vergessen, wo
ich mich befinde," unterbrach Barnckow ihn rasch, wäh-
rend er sichtbar erschreckt die bereits zu einem neuen
Hieb geschwungene Reitgerte sinken ließ. „Sie hatten
mir so große Hoffnungen gemacht und —"
„Wollen Sie auf diese Hoffnungen schon verzichten?
Ich sagte Ihnen ja, daß meine Richte heute nicht in
der Stimmung sei, Fremde zu empfangen, weshalb
zwangen Sie mich durch Ihre Zweifel, Sie dennoch vor-
zustellen? Sie hätten sich gedulden sollen!"
„Gedulden!" wiederholte Barnekow spöttisch. „Wenn
Einein die glühende Kohle auf dem Fuß liegt, dann hat
alle Geduld ein Ende. Ich komme nochmals auf meinen
bereits ausgesprochenen Wunsch zurück, haben Sie die
Güte, Ihren Schuldschein einzulösen, so ist unsere An-
gelegenheit geordnet."
Ein höhnischer Zug umzuckte die Lippen Rabe's, lang-
sam schritten die beiden Herren zum Schloß zurück.
„Sie kennen unfern Vertrag," sagte er; „in diesem
Augenblick können Sie noch nicht mit Sicherheit be-
haupten, daß Ihre Aussichten hoffnungslos sind, also
haben Sie auch keinen berechtigten Grund, den Vertrag
umzustoßcn. Wollen Sie das aber dennoch thun, dann
werde ich diese Angelegenheit dem Urtheil unserer Freunde
unterbreiten."
„Ich glaube nicht, daß Sie das thun werden," er-
wicderte Barnekow mit demselben Hohn, „das Urtheil
würde seine ganze Schürfe gegen Sie richten. Sollen
nur uns denn dieser Bagatelle wegen entzweien, Rabe?
Sie können über die Hand Ihrer Nichte nicht verfügen,
und von Ihrem Einfluß auf die Frau Generalin halte
ich nicht viel, da ist es doch nach meiner Meinung besser,
daß wir uns nicht thörichten Hoffnungen hingeben, deren
Verwirklichung in der Unmöglichkeit liegt. Und Ehren-
schulden muß man so rasch wie möglich tilgen, Sie
haben diesen Grundsatz stets anerkannt
„Und es ist sehr überflüssig, daß Sie mich darauf
aufmerksam machen," unterbrach Rabe ihn barsch. „Wenn
Sic das Geld haben müssen und wollen, so werde ich
suchen, cs Ihnen zu verschaffen, dann aber sind wir ge-
schiedene Freunde."
Herr v. Barnekow winkte dem Kutscher, der das Pferd
am Zügel aus und ab führte, dann blickte er forschend
zu den Fenstern des Schlosses hinauf.
„Wann wünschen Sie, daß ich wieder komme?"
fragte er.
„Sie wollen also wirklich noch einen Versuch machen?"
„Wenn Sie meine Geduld nicht auf eine zu schwere
Probe stellen, ja."
„Jedenfalls werden Sie warten müssen, bis der
Gärtner beerdigt ist. Es ist überhaupt in den letzten
Tagen hier so viel Unangenehmes vorgefallen, daß ich
Ihnen den Rath geben möchte, sich noch einige Zeit zu
gedulden."
„Und meine Spielschuld?"
„Bah, Sie können in der nächsten Nacht wieder so
viel gewinnen, wie Sie in der vorigen verloren haben."
„Das ist ein schlechter Trost."
„Dem Spieler von Profession bleibt kein anderer,
und ein Trost ist es immerhin, wenn ec sich auch auf
eine schwache Hoffnung stützt. Ich werde morgen zu
Ihnen kommen und weiter mit Ihnen berathen, gedul-
den Sic sich wenigstens so lange."

Herr v. Barnekow gab darauf keine Antwort, der
Ausdruck seines Gesichts verrietst, daß die ersten W.ortc
Rabe's ihn tief beleidigt hatten. Er schwang sich in den
Sattel nnd lüftete den Hut.
„Bis morgen also!" sagte er, dann ritt er von
dannen, und Willibald Rabe sah ihm mit glühendem
Blick nach.
„Ich habe da einen dummen Streich gemacht," mur-
melte er, „es ist immerhin gefährlich, mit solchen Leuten
sich zu liiren. Wenn er von dein Testament Kenntniß
erhält, so wird er keine Rücksicht mehr kennen. Ich werde
ihm das Geld zählen müssen, und je eher das geschehen
kann, desto besser ist es, Lossow darf von diesem Handel
nichts erfahren."
Er ging in den Empfangsfalon zurück und füllte
sein Glas noch einmal, dann zog er heftig an der
Glockenschnur.
Joseph erschien so rasch, daß man hätte vermnthen
können, er habe auf den Ruf gewartet, und seine Hal-
tung war so trotzig und herausfordernd, daß sie sogar
dem Gutsbesitzer anffiel.
„Sie find auch als Zeuge vernommen worden?"
fragte Räbe, nachdem sein stechender Blick eine Weile
forschend auf deni Kammerdiener geruht hatte.
„Und sollte ich noch zehnmal vernommen werden, so
wird man ans mir doch nichts herausbringen, wenn ich
nicht reden will," antwortete Joseph in sarkastischem
Tone.
„Wenn Sie nicht reden wollen? Was wollen Sie
damit sagen?"
„Daß nach meiner Ansicht der Zeuge nicht ver-
pflichtet ist, Alles zu sagen, was er weiß."
Rabe zog die Brauen hoch hinauf, in seinem starren
Blick spiegelte sich eine namenlose Angst.
„Sind Sie über die Papiere befragt worden?" sagte er.
„Ueber diesen Punkt bin ich sehr leicht hinweg ge-
gangen," erwiederte Joseph, der jetzt einen vertraulichen
Ton anschlng, „aber ich hätte über einen andern Punkt
Auskunft geben können, der gar nicht berührt worden ist."
„Wollen Sie mir Räthsel aufgcben?"
„Für jeden Andern wäre es ein Räthsel, für uns
Beide ist es keines."
„Ich verbitte mir diesen Ton," fuhr Räbe auf, „ver-
gessen Sie nicht, wem Sie gegenüber stehen! Welcher
Punkt ist nicht berührt worden?"
„Die Flasche, in der das Gift sich befand."
Das Gesicht des Gutsbesitzers wurde noch fahler, die
Lippen preßten sich fest auf einander, nnd flammende
Blitze zuckten aus den weit geöffneten Augen.
„Die Flasche, in der das Gift sich befand, war die-
selbe Flasche, aus der Georg seinen Branntwein trank,"
erwiederte er. „Wollen Sie vielleicht das in Zweifel
ziehen?"
„Ja Wohl, Herr Rabe."
„Und worauf stützen Sie diese Zweifel?"
„Auf die Verschiedenheit der Flaschen," erwiederte der
Kammerdiener.
Rabe zuckte die Achseln.
„Ich glaube, Sie greifen Vermuthungcn aus der
Luft, die nur dazu dienen sollen, die Thatsache zu ver-
wirren," sagte er.
„Keineswegs, meine Behauptungen stützen sich auf
Wahrheit. Als ich die Papiere holte, nahm ich die
Branntweinflasche mit, ich wollte dadurch den Verdacht
auf Andere lenken. Diese Flasche übergab ich Ihnen,
eS Ivar eine Mineralwasserflasche, sie trug die Aufschrift:
„Künstliches Selterswasser". Die Flasche aber, die Sie
mir gestern zurückgaben mit dem Befehl, sie auszugießen
und in den Park zu werfen, trug die Aufschrift: „Apol-
linaris-Brunnen. Doppcltkohlensaure Füllung". Die
Verschiedenheit dieser beiden Flaschen konnte ich mir nicht
erklären, ein Tausch mußte stattgefunden haben. Aber
wie, wann mid in welcher Weise war er geschehen? Die
Antwort auf diese Frage fand ich, als ich heute Morgen
entdeckte, daß die Flasche, die das Gift enthielt, genau
dieselbe Flasche war, die ich damals aus der erbrochenen
Kiste mitgenommen und Ihnen übergeben hatte."
Mit der Hand ans eine Ecke des Tisches gestützt,
stand Rabe seinem Kammerdiener gegenüber, den starren
Blick drohend auf ihn geheftet.
„Das ist eine Lüge!" sagte er. „Ich habe Ihnen
dieselbe Flasche gegeben, die ich von Ihnen erhielt."
„Ich bin meiner Sache gewiß!" erwiederte Joseph
ruhig.
„Sie sind ein - — — wie wäre denn ein Tausch
möglich gewesen? Wie hätte ich Ihnen eine andere Flasche
geben können?"
Neber das Gesicht des Kammerdieners glitt ein' bos-
haftes Lächeln.
„Möglich ist Alles," erwiederte er, „man muß nur
den Muth haben, den Folgen die Stirne zu bieten."
„Ich werde Sie entlassen," sagte Rabe, zitternd vor
Erregung, „Sie nehmen sich mir gegenüber zu viel
heraus. Wenn Sie behaupten wollen, daß ich Ihnen
den Auftrag gegeben habe, die Papiere zu stehlen, so
werde ich dieser Behauptung energisch entgegentrcten.
Ich habe Ihnen nur gesagt, daß ich von dem Inhalt

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dieser Papiere Kenntniß zu erhalten wünsche, nnd wenn
Sie daraufhin einen Einbruch verüben, so fallen die
Folgen tiefes Verbrechens auf Sie allein zurück."
Der Kammerdiener verlor seine trotzige Ruhe nicbt,
die drohenden Blicke seines Herrn konnten ihn nicht ein-
schüchtern.
»Ich hege nicht die Absicht, eine Beschuldigung gegen
Sie auszusprechen," erwiederte er, „ich habe ja vorhin
schon behauptet, daß ich nicht sagen würde, was ich wisse.
Kurz vordem Sie die Flasche mir übergaben, waren Sie
im Park —"
„Lüge!"
„Ich habe Sie hineingehen nnd zurückkommen sehen!"
„Sie wollen mir drohen, aber —"
„Herr Rabe, eine Drohung ist noch nicht über meine
Lippen gekommen, aber was ich mit Bestimmtheit weiß,
daran soll Niemand rütteln. Und was ich mit meinen
eigenen Augen gesehen habe, das —"
„Das berechtigt Sie noch immer nicht zu kindischen
Vermuthungcn," fiel Rabe wüthend ihm in's Wort.
„Sie glauben wahrscheinlich, ich habe nicht den Muth, '
Sie zu entlassen, weil ich Ihre Drohungen fürchte, und
darauf gestützt, versuchen Sie jetzt, Geld zu erpressen,
aber dieser Plan, so schlau er auch ersonnen sein mag,
wird Ihnen nicht gelingen."
Der Kammerdiener strich mit der Hand über sein
glatt rasirtes Gesicht und zuckte leicht die Achseln.
„Die Entlassung ist ja ohnedies nähe," erwiederte er,
„der Oberst v. Stnckmann wird schwerlich mit dem Gute
auch das Personal übernehmen."
„Also das wissen Sie auch schon?"
„Ein guter Kammerdiener muß stets von Allem
unterricht t sein."
„Sie sind ein Spion!"
„Ich spionire nur dann, wenn es mir befohlen wird,
oder wenn mein eigenes Interesse es erfordert. Mit der
Gegenwart allein ist Niemanden gedient, man sieht auch
gerne in die Zukunft. Wie gesagt, Herr Rabe, auf meine
Entlassung bin ich gefaßt, und was meine Zukunft be-
trifft, so habe ich meinen Plan bereits entworfen. Ich
will einen kleinen Gasthof übernehmen, das Zeug dazu
fühle ich in mir, cs handelt sich nur noch uni die Mittel."
„Und die soll ich Ihnen Wohl geben?"
„So dachte ich."
„Da hätten wir also die Erpressung!"
„Sie werden entschuldigen, Herr Rabe, es ist nur
eine Bitte, und wenn Sie Ihrem Kammerdiener auf einen
grünen Zweig helfen, so wird das ja Niemand befremden."
Rabe hatte sich in den Sessel, neben dem er stand,
niedergelassen, er schien seine Ruhe wieder gefunden zu
haben.
„Haben Sie schon einen Gasthof gefunden, den Eie
übernehmen können?" fragte er.
„Noch nicht, aber die Gelegenheit bietet sich ja täg-
lich, in jeder Zeitung werden Gasthöfe angeboten."
„lind die Wirthin?"
„Franziska wird eine Wirthin sein, wie sie im Buch
steht."
„Tie Rechnung scheint ja schon nach allen Seiten
hin fertig zu sein," spottete Nabe.
„Allerdings, nur das Geld fehlt noch."
„Und wie groß müßte die Summe sein?"
„Mindestens zehntausend Thaler."
„Zur Uebernahme eines Gasthofes ist das wenig ge-
nug, aber eine unverschämte Forderung ist es, wenn Sic
diese Summe von mir verlangen."
„Dieser Ansicht kann ich nicht beipflichten," sagte
Joseph mit unerschütterlicher Ruhe. „Die Flasche, welche
Sie mir übergeben haben, befindet sich noch in meinen
Händen, die andere Flasche ist in den Händen des Ge-
richts, nnd wenn der Assessor im nächsten Verhör die
Frage an mich richten sollte, ob ich —"
„Schweigen Sie!" siel Räbe ihm in's Wort. „Sic
kennen mich genau genug, um zu wisse», daß ich mich
niemals durch Drohungen einschüchtcrn lasse. Von einer
Verwechslung der beiden Flaschen ist mir nichts bekannt,
nnd ich sage Ihnen noch einmal, sie kann unmöglich
stattgefunden haben. Liegt also hier kein Jrrthnm Ihrer-
seits vor, so ist die Anklage absichtlich aus der Luft ge-
griffen, und eine solche Anklage fällt stets auf den Ur-
heber zurück. Ich gebe Ihnen deshalb den guten Rath,
Ihre Zunge im Zaume zu halten, und was Ihre Zu-
kunft betrifft, so bin ich nicht abgeneigt, etwas für Sie
zn thun, vorausgesetzt, daß Sic mir gegenüber einen an-
deren Ton und eine andere Haltung annehmcn. Vor
allen Dingen verlange ich die Pluslieferung jener Flasche,
nicht deshalb, weil sie Ihnen als Beweismittel dienen
könnte, sondern lediglich, um Ihren Gehorsam zu er-
proben; so lange Sie in meinen Diensten stehen, schul-
den Sie mir Gehorsam in erster Reihe. Wollen Sie
dieser ersten Bedingung sich nicht fügen, so werde ich
selbst Sie des Diebstahls beschuldigen nnd mit Lchimpf
nnd Schande Sie entlassen. Jetzt gehen Sic nnd denken
Sie über unsere gegenseitige Stellung nach, nnd nehmen
Sie die Versicherung mit, daß ich Mittel genug besitze,
feder boshafte» Verleumdung mit Entschiedenheit eni
gegen zn treten."
 
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