358
Heino trat in den Garten zurück. Er sah, daß Adel-
heid mit ihrem Vater sehr eifrig sprach; als sie ihn be-
merkte, entfernte sie sich.
Bonda trat auf Heino zu, sein Gesicht war vom
Weine gervthet, seine Augen blickten unwillig, seine
Tochter hatte ihm offenbar geklagt, daß sie von Heino
vernachlässigt war.
„Herr Lieutenant, Sie bevorzugen ja heute in fast
auffallender Weise daS bürgerliche Element!" rief er.
Die Worte sollten halb scherzhaft klingen, sein Ge-
sicht blieb aber ernst dabei.
„Das bürgerliche Element?" wiederholte Heino
läcbclnd, obschon ihn die Worte ärgerten. „Herr von
Bonda, ich bevorzuge unter den jungen Damen immer
die hübschesten und unter den Männern die klügsten und
diejenigen, welche sich die größten Verdienste erworben
haben!"
Der Gutsbesitzer richtete den Kopf empor. Lag nicht
in diesen Worten eine Zurücksetzung seiner Tochter, hatre
Heino nicht damit erklärt, daß er die Töchter des Fabri-
kanten hübscher finde? Es war unerhört, daß er die
beiden bürgerlichen Mädchen mit Adelheid zu vergleichen
wagte.
„Ich hoffe, daß Ihre Worte nur ein Scherz sind,"
sprach er.
„Sie sind mein vollständiger Ernst," versicherte Heino.
„Ich wüßte auch in der That nicht, durch welche andere
Gründe ich mein Urtheil beeinflussen lassen sollte. Sie
werden mir zugestehen, daß für die Frauen die Schön-
heit und für die Männer die Klugheit zu den besten
Eigenschaften gehören."
„Nein, das gestehe ich nicht zu!" rief der Guts-
besitzer erregt. „Die beste Eigenschaft ist der Name!"
„Ah, einen ehrlichen und unbescholtenen Namen habe
ich natürlich vorausgesetzt!" versicherte Heiuo.
„Es handelt sich nicht um die Ehrlichkeit des Na-
mens, sondern um den Adel desselben," fuhr der Guts-
besitzer fort. „Ich fasse nicht, wie Sic Bürgerliche mit
Adeligen vergleichen können!"
Heino zuckte mit der Schulter.
„Da gehen unsere Ansichten freilich sehr weit aus
einander," bemerkte er. „Ich vergleiche sie nicht allein
mit einander, sondern stelle sic gleich, der Maßstab des
Werthes ist für mich ein ganz anderer."
Bonda trat unwillkürlich einen Schritt zurück.
„Herr Lieutenant, da vergessen Sie, daß Sie ein
Buddenberg sind!" rief er.
Heino zuckte leicht zusammen, fein Blut wallte auf,
er beherrschte sich indessen.
„Wenn ich die-s vergäße," crwicderte er rnhig, „so
würde ich Ihnen vielleicht eine andere Antwort geben
und nicht in Erwägung ziehen, daß ich dem Gaste mei-
ner Mutter Rücksichten schuldig bin. Lassen Sie uuS
deshalb unseren Streit in Ruhe beilegen, einigen werden
Wir uns Wohl kaum und ich glaube, man kann auch bei
verschiedenen Ansichten friedlich neben einander durch das
Leben gehen."
„Nein, ich kann nicht mit einein Manne Verkehren,
welcher von dein Rechte, welches auch ich das meinige
nenne, so gering denkt!" rief Bonda immer erregter.
Einige hinzutretenden Herren versuchten vergebens,
ihn zu beruhigen.
„Welches Recht meinen Sie, Herr v. Bonda?" fragte
Heino ruhig, wenn auch sehr ernst.
„Das Recht meines Namens und meiner Geburt,
das Recht des Adels, welches uns eine ganz andere Stel-
lung in dem Leben anweist als anderen Menschen!" rief
der Gutsbesitzer. „Ich fühle gottlob, daß in meinen
Aldern ein anderes und besseres Blut fließt und all' diese
Herren werden dasselbe empfinden, lieber will ich mein
Leben hiugcben, ehe ich mich einem Bürgerlichen gleich-
stellen lasse!"
„Herr v. Bonda, ich will Ihnen Ihr Vorurtheil
nicht nehmen, gestatten Sie aber anch mir, daß ich mein
Urtheil Von einem ruhigeren und freieren Gesichtspunkte
aus bilde," bemerkte Heino. „Wer von uns Beiden Recht
hat, darüber ist von unserem ganzen Zeitalter längst
entschieden."
„Ich beuge mich keiner Entscheidung Anderer!" unter-
brach ihn Bonda. „Ich weiß Wohl, daß an unserem
heiligen Rechte gerüttelt wird, ich Hütte aber nimmer-
mehr geglaubt, daß dies auch von Jemand geschehen
könnte, der treu und fest zu uns stehen sollte!"
„In diesem Falle kann ich mich nicht auf Ihre
Seite stellen!"
„Und ich kann nicht mit einem Manne verkehren,
der solchen Grundsätzen huldigt!" rief Bonda und eilte
hastig erregt fort.
Einige seiner Freunde folgten ihm.
Die Herren, welche bei Heino zurückblieben, schwie-
gen und es lag in dieser zurückhaltenden Stille etwas
Peinliches. Sie waren sämmtlich adelig und stimmten
im Herzen Bonda bei. Heino las dies aus ihren
Blicken.
„Meine Herren, ich bcdaure unendlich diesen uner-
warteten Zwischenfall," sprach er. „Daß mir jede Ab-
sicht, dem Herrn v. Bonda zu nahe zu treten, fern ge-
legen hat, brauche ich Wohl nicht zu versichern. Ich
Das Buch für All e.
habe für mich nur das Recht der freien Ueberzeuguug in
Anspruch genommen und dies werde ich immer thun."
Keiner der Herren antwortete.
„Mir ist es unbegreiflich, wie Herr v. Bonda sich be-
leidigt fühlen kann, weil ich anderer Ansicht bin als er,"
fuhr Heino fort. „Daß ich die seinige für ein Vor-
urtheil halte, werden Sie natürlich finden, denn thäte
ich dies nicht, fo müßte ich sie theilen. Bei Meinungs-
verschiedenheiten hält Jeder seine Ansicht für die richtige."
„Ich stimme Ihnen auch nicht bei und weiß, daß
Ihr Vater ganz anders dachte," warf ein alter Herr ein.
„Kann darin ein Vorwurf für mich liegen?" ent-
gegnete Heino. „Die Menschheit wäre nie weiter ge-
kommen, wenn der Sohn immer auf dem Standpunkte
seines Vaters stehen geblieben wäre! Doch wir wollen
uns nicht auch entzweien, beim Weine werden wir, hoffe
ich, uns völlig wieder aussöhnen."
In dein Hause herrschte die größte Verwirrung und
Bestürzung. Der Herr v. Bonda hatte seinem Kutscher
den Befehl crtheilt, sofort anzuspannen, dann hatte er
die Freifrau aufgesucht, in ihrem Zimmer eine kurze
Unterredung mit ihr gehabt und war dann fortgefahreu.
Einige ihm befreundete Familien waren ihn: gefolgt.
Die Gesellschaft war in einer unerwartet schroffen
Weise gestört, die Zurückgebliebenen schienen, wie ihre ver-
legenen Mienen verriethen, nicht zu wissen, was sie thun
sollten.
Die Freifrau fchrilt an ihrem Sohne vorüber, ohne
ihn eines Blickes zu würdigen, ihr Gesicht war bleich,
ihre Augen leuchteten in unheimlicher Weise, sie schien
alle Kräfte aufzubieten, um sich zu beherrschen, die Hef-
tigkeit des Zornes ging indessen über ihre Kraft hinaus.
Mit leise bebender Stimme bat sie die zurückgebliebenen
Gäste, in das Speisezimmer zu treten, sie selbst gelangte
indessen nicht dort hin, halb ohnmächtig sank sie aus
einen Sessel.
Mehrere Damen eilten ihr zu Hilfe, sie fühlte sich
so schwach, daß sie in ihr Zimmer gebracht werden
mußte. Dies war für die Zurückgebliebenen das Zeichen
zum Ausbruche, alle fuhren sort, sich nur flüchtig von
Heino verabschiedend.
Heino sah die Letzten sortfahren, er war äußerlich
scheinbar ruhig, aber in ihm wogte und stürmte es. Es
hatte ihm ferne gelegen, die Gesellschaft zu stören, er
hatte nur nicht geglaubt, daß die Macht der Vvrurtheile
noch eine so mächtige war. Daß seine Mutter an den-
selben mit voller Zähigkeit hing, wußte er, die Anderen
hatte er für milder in ihren Ansichten und Urtheilen
gehalten.
Langsam, allein schritt er in dein Speisezimmer auf
und ab, von den Speisen berührte er nichts, allein hastig
trank er Glas auf Glas, und der Wein schien ihm Be-
ruhigung zu bringen. Es war ihm, als ob er in der
Ferne das Brausen des Meeres vernähme, er glaubte
das Heulen des Sturmes zu hören und zu sehen, wie
die wilden Wogen sich schäumend am Ufer brachen. Er
war darauf vorbereitet, sich ihnen entgegen zu stemmen.
Wie ein'Seemann, der bereit ist, sein Boot in die Bran-
dung zu treiben, den Hut fester in die Stirne rückt und
das Ruder mit voller Kraft ergreift, fo rüstete auch er
sich im Geiste auf den Sturm, der ihm bevorstaud.
Er zagte nicht, obschon er nicht wußte, wie der Sturm
für ihn enden werde. Das gute Recht und die gute Sache
seines Herzens verliehen ihn: Muth. Es war ihm, als
ob Else vor ihn hinträte und ihm flehend zuriefe: „Ver-
laß mich nicht, gib mich nicht auf, mein Herz hängt ja
mit voller Liebe an Dir und mehr als aller Ahnenstolz
vermag ich Dir zu geben!"
Der Diener trat mehrere Male neugierig in das
Speisezimmer, als erwartete er Befehle, Heino bemerkte
ihn kaum. Noch immer schritt er auf und ab. Er war
sich bewußt, daß er vor einer Entscheidung stand, die auf
sein ganzes Leben den größten Einfluß üben mußte.
Fest zu bleiben war sein Entschluß.
Es war bereits spät geworden. Die Lampions, durch
welche der Park erhellt war, waren zum größten Theile
verlöscht, in dem Hause war es still. Die Kerzen in
dem Speisezimmer brannten noch in voller Helle und
cs war ihm fast unheimlich, daß sie ihm allein leuch-
teten. Was ihm bevorstand, erschien ihm in Hellem,
grellen Lichte und er mochte nicht die Augen schließen,
wie Jemand, der dem Kommenden nicht mit offenem
Blicke entgegen zu schauen wagt.
Er dachte nicht daran, sich auf sein Zimmer und
zur Ruhe zu begeben, weil er wußte, daß es noch in dieser
Nacht zwischen seiner Mutter und ihm zur Entschei-
dung kommen mußte. Er kannte sie zu gut, um sich
einer beruhigenden Hoffnung hinzugcben. Sie klammerte
sich mit zäher Kraft an ein Vorurtheil und ihren Stolz,
und er war entschlossen, von seiner besseren Ueberzeugung
nichts aufzugeben. Der Kampf, welcher ihm bevorstand,
mußte hart werden, weil es der Entscheidungskampf war
— wer konnte wissen, wer unterlag!
Die Mitternachtsstunde war bereits hereingebrochen;
endlich trat der Diener ein und meldete, daß die gnä-
dige Frau ihn zu sprechen wünsche und auf ihrem Zim-
mer erwarte.
„Ich werde sogleich kommen," erwiederte er ruhig,
M
obschon es in seinem Innern durchaus nicht ruhig war.
Unwillkürlich preßte er die Hand auf's Herz, um das-
selbe zu beruhigen, dann trank er hastig noch ein Glas
Wein, um Kraft zu gewinnen.
4.
Als Heino in das Zimmer feiner Mutter trat, fand
er sie schwach, fast gebrochen auf dem Sopha fitzend.
Ihre Wangen waren bleich, in ihrem Gesichte lag ein
fast marmorkalter Ausdruck, nur ihre fest auf einander
gepreßten Lippen verriethen, daß die äußere Ruhe nur
ein trügerischer Schein war.
Es schnitt ihm tief in's Herz hinein, daß die Frau,
welche von allen Menschen ihm am nächsten stand, welche
ihm das Leben gegeben, so sehr erschüttert dasaß. Er
hätte ihr entgegen eilen, sich an ihre Brust werfen und
sie um Verzeihung bitten mögen, die Kälte ihres Blickes
schreckte ihn zurück.
So hinfällig wie in dieser Stunde hatte er sie nie
gesehen. Er war sich bewußt, nichts Unrechtes gethan
zu haben, und doch bereute er fast die Worte, welche er
gegen den Herrn v. Bonda gesprochen hatte.
„Sehe Dich dort nieder," sprach die Freifrau end-
lich, sie schien zu diesen Worten erst die Kraft gesam-
melt zu haben.
Heino ließ sich ihr gegenüber auf einem Sessel nieder.
„Ich habe Dich zu so später Stunde zu mir rufen
lassen," fuhr die Freifrau mit kalter Ruhe fort, „um
von Dir Rechenschaft über Dein heutiges Benehmen zu
verlangen: ich hoffe, daß Du im Stande fein wirst, sie
zu geben."
Der kalte, strenge und befehlende Ton verscheuchte
schnell die weicheren Empfindungen aus Heino's Brust;
er war kein Knabe mehr, der zur Strafe gezogen wird.
„Ich weiß in der That nicht, worüber Du Rechen-
schaft wünschest," entgegnete er ruhig.
„Ich erwarte, daß Du meinen Fragen nicht aus-
weichst!" unterbrach ihn die Freifrau. „Ich bin ge-
wöhnt, mich sehr bestimmt auszudrücken, und bin über-
zeugt, daß Du mich sehr Wohl verstanden hast."
„Mutter, dies ist Wohl nicht der richtige Ton, wenn
wir einen Gegenstand zu besprechen haben," entgegnete
Heino mit ruhiger Entschiedenheit. „Ich werde Nie die
Pflichten und Rücksichten, welche ich Dir schuldig bin,
vergessen, ich bitte Dich aber auch, Dich daran zu er-
innern, daß ich kein Kind mehr bin."
Die Freifrau richtete den Kopf empor, in ihrem
Blicke lag etwas Versengendes, sie fchicn heftig antwor-
ten zu wollen-, allein sie bezwang sich noch zur rechten
Zeit. Ihr Sohn war allerdings kein Kind mehr, sie
durfte deshalb den Zügel ihm gegenüber nicht zu scharf
anzieheu.
„Ich möchte zuerst die Frage an Dich richten, wes-
halb Du nur mit den beiden Töchtern des Fabrikanten
getanzt hast?" fragte sie etwas ruhiger.
„Weil sie am hübschesten waren," erwiederte Heino,
„und weil es mir in der That leid that, daß sie inmit-
ten der Gesellschaft vereinsamt zu sein schienen."
„Sie konnten als Bürgerliche nicht mehr beanspru-
chen," bemerkte die Freifrau. „Ob sie hübsch sind, ist
vollständig gleichgiltig, Du warst den übrigen Damen
mehr Rücksicht schuldig, sie haben Dein Benehmen als
absichtliche Zurücksetzung aufgefaßt und mit Recht. Es
wäre Deine Pflicht gewesen, mit Adelheid v. Bonda den
Tanz zu beginnen."
Heino zuckte mit der Schulter.
„Lieber würde ich auf das Vergnügen ganz verzichtet
haben," sprach er wegwerfend.
„Was hast Du gegen Adelheid?" fiel die Frei-
frau ein.
„Durchaus nichts, fo lange ich nicht genöthigt bin,
mit ihr zu verkehren. Sie besitzt alle diejenigen Eigen-
schaften, welche geeignet sind, mich abzustoßen. Sie ist
mehr häßlich als hübsch, mehr eingebildet als klug,
mehr..."
„Heino, ich muß Dich ersuchen, von einer Dame,
welche ich schätze, mit mehr Achtung zu sprechen!" unter-
brach ihn die Freifrau heftig. „Du hast Dich heute
Abend in einem Lichte gezeigt, daß ich Deinen Besuch,
so angenehm mir derselbe war, bedaure."
„Ich werde ihn möglichst abkürzcn," warf Heino ein.
Die Freifrau schien diese Worte zu überhören.
„Du hast Dich gegen den Herrn v. Bonda, den
Freund Deines Vaters, der uns stets ein getreuer und
liebenswürdiger Nachbar gewesen ist, so rücksichtslos be-
nommen," führ sie fort, „Du hast ihn so sehr beleidigt,
daß er fortgefahreu ist. Er selbst sagte mir, eS sei ihm
unmöglich, mit Dir länger zusammen zu sein."
„Das ist nicht meine Schuld. Wenn er Dir in-
dessen gesagt, daß ich ihn beleidigt habe, so hat er die
Unwahrheit gesprochen. Hat er ein Recht, von mir zu
verlangen, daß ich seinen veralteten Vorurtheilen bei-
stimme? Ist es nicht eine Thorheit, daß er sich für
etwas Besseres hält, nur weil er vom Adel ist? - Ver-
dienste, die er sich erworben, vermag er nicht aufzuwei-
sen, und ich habe ihm gesagt, daß ich die verdienstvollen
Männer am höchsten schätze!"
„Sei ruhig," unterbrach ihn die Freifrau. „Ich
Heino trat in den Garten zurück. Er sah, daß Adel-
heid mit ihrem Vater sehr eifrig sprach; als sie ihn be-
merkte, entfernte sie sich.
Bonda trat auf Heino zu, sein Gesicht war vom
Weine gervthet, seine Augen blickten unwillig, seine
Tochter hatte ihm offenbar geklagt, daß sie von Heino
vernachlässigt war.
„Herr Lieutenant, Sie bevorzugen ja heute in fast
auffallender Weise daS bürgerliche Element!" rief er.
Die Worte sollten halb scherzhaft klingen, sein Ge-
sicht blieb aber ernst dabei.
„Das bürgerliche Element?" wiederholte Heino
läcbclnd, obschon ihn die Worte ärgerten. „Herr von
Bonda, ich bevorzuge unter den jungen Damen immer
die hübschesten und unter den Männern die klügsten und
diejenigen, welche sich die größten Verdienste erworben
haben!"
Der Gutsbesitzer richtete den Kopf empor. Lag nicht
in diesen Worten eine Zurücksetzung seiner Tochter, hatre
Heino nicht damit erklärt, daß er die Töchter des Fabri-
kanten hübscher finde? Es war unerhört, daß er die
beiden bürgerlichen Mädchen mit Adelheid zu vergleichen
wagte.
„Ich hoffe, daß Ihre Worte nur ein Scherz sind,"
sprach er.
„Sie sind mein vollständiger Ernst," versicherte Heino.
„Ich wüßte auch in der That nicht, durch welche andere
Gründe ich mein Urtheil beeinflussen lassen sollte. Sie
werden mir zugestehen, daß für die Frauen die Schön-
heit und für die Männer die Klugheit zu den besten
Eigenschaften gehören."
„Nein, das gestehe ich nicht zu!" rief der Guts-
besitzer erregt. „Die beste Eigenschaft ist der Name!"
„Ah, einen ehrlichen und unbescholtenen Namen habe
ich natürlich vorausgesetzt!" versicherte Heiuo.
„Es handelt sich nicht um die Ehrlichkeit des Na-
mens, sondern um den Adel desselben," fuhr der Guts-
besitzer fort. „Ich fasse nicht, wie Sic Bürgerliche mit
Adeligen vergleichen können!"
Heino zuckte mit der Schulter.
„Da gehen unsere Ansichten freilich sehr weit aus
einander," bemerkte er. „Ich vergleiche sie nicht allein
mit einander, sondern stelle sic gleich, der Maßstab des
Werthes ist für mich ein ganz anderer."
Bonda trat unwillkürlich einen Schritt zurück.
„Herr Lieutenant, da vergessen Sie, daß Sie ein
Buddenberg sind!" rief er.
Heino zuckte leicht zusammen, fein Blut wallte auf,
er beherrschte sich indessen.
„Wenn ich die-s vergäße," crwicderte er rnhig, „so
würde ich Ihnen vielleicht eine andere Antwort geben
und nicht in Erwägung ziehen, daß ich dem Gaste mei-
ner Mutter Rücksichten schuldig bin. Lassen Sie uuS
deshalb unseren Streit in Ruhe beilegen, einigen werden
Wir uns Wohl kaum und ich glaube, man kann auch bei
verschiedenen Ansichten friedlich neben einander durch das
Leben gehen."
„Nein, ich kann nicht mit einein Manne Verkehren,
welcher von dein Rechte, welches auch ich das meinige
nenne, so gering denkt!" rief Bonda immer erregter.
Einige hinzutretenden Herren versuchten vergebens,
ihn zu beruhigen.
„Welches Recht meinen Sie, Herr v. Bonda?" fragte
Heino ruhig, wenn auch sehr ernst.
„Das Recht meines Namens und meiner Geburt,
das Recht des Adels, welches uns eine ganz andere Stel-
lung in dem Leben anweist als anderen Menschen!" rief
der Gutsbesitzer. „Ich fühle gottlob, daß in meinen
Aldern ein anderes und besseres Blut fließt und all' diese
Herren werden dasselbe empfinden, lieber will ich mein
Leben hiugcben, ehe ich mich einem Bürgerlichen gleich-
stellen lasse!"
„Herr v. Bonda, ich will Ihnen Ihr Vorurtheil
nicht nehmen, gestatten Sie aber anch mir, daß ich mein
Urtheil Von einem ruhigeren und freieren Gesichtspunkte
aus bilde," bemerkte Heino. „Wer von uns Beiden Recht
hat, darüber ist von unserem ganzen Zeitalter längst
entschieden."
„Ich beuge mich keiner Entscheidung Anderer!" unter-
brach ihn Bonda. „Ich weiß Wohl, daß an unserem
heiligen Rechte gerüttelt wird, ich Hütte aber nimmer-
mehr geglaubt, daß dies auch von Jemand geschehen
könnte, der treu und fest zu uns stehen sollte!"
„In diesem Falle kann ich mich nicht auf Ihre
Seite stellen!"
„Und ich kann nicht mit einem Manne verkehren,
der solchen Grundsätzen huldigt!" rief Bonda und eilte
hastig erregt fort.
Einige seiner Freunde folgten ihm.
Die Herren, welche bei Heino zurückblieben, schwie-
gen und es lag in dieser zurückhaltenden Stille etwas
Peinliches. Sie waren sämmtlich adelig und stimmten
im Herzen Bonda bei. Heino las dies aus ihren
Blicken.
„Meine Herren, ich bcdaure unendlich diesen uner-
warteten Zwischenfall," sprach er. „Daß mir jede Ab-
sicht, dem Herrn v. Bonda zu nahe zu treten, fern ge-
legen hat, brauche ich Wohl nicht zu versichern. Ich
Das Buch für All e.
habe für mich nur das Recht der freien Ueberzeuguug in
Anspruch genommen und dies werde ich immer thun."
Keiner der Herren antwortete.
„Mir ist es unbegreiflich, wie Herr v. Bonda sich be-
leidigt fühlen kann, weil ich anderer Ansicht bin als er,"
fuhr Heino fort. „Daß ich die seinige für ein Vor-
urtheil halte, werden Sie natürlich finden, denn thäte
ich dies nicht, fo müßte ich sie theilen. Bei Meinungs-
verschiedenheiten hält Jeder seine Ansicht für die richtige."
„Ich stimme Ihnen auch nicht bei und weiß, daß
Ihr Vater ganz anders dachte," warf ein alter Herr ein.
„Kann darin ein Vorwurf für mich liegen?" ent-
gegnete Heino. „Die Menschheit wäre nie weiter ge-
kommen, wenn der Sohn immer auf dem Standpunkte
seines Vaters stehen geblieben wäre! Doch wir wollen
uns nicht auch entzweien, beim Weine werden wir, hoffe
ich, uns völlig wieder aussöhnen."
In dein Hause herrschte die größte Verwirrung und
Bestürzung. Der Herr v. Bonda hatte seinem Kutscher
den Befehl crtheilt, sofort anzuspannen, dann hatte er
die Freifrau aufgesucht, in ihrem Zimmer eine kurze
Unterredung mit ihr gehabt und war dann fortgefahreu.
Einige ihm befreundete Familien waren ihn: gefolgt.
Die Gesellschaft war in einer unerwartet schroffen
Weise gestört, die Zurückgebliebenen schienen, wie ihre ver-
legenen Mienen verriethen, nicht zu wissen, was sie thun
sollten.
Die Freifrau fchrilt an ihrem Sohne vorüber, ohne
ihn eines Blickes zu würdigen, ihr Gesicht war bleich,
ihre Augen leuchteten in unheimlicher Weise, sie schien
alle Kräfte aufzubieten, um sich zu beherrschen, die Hef-
tigkeit des Zornes ging indessen über ihre Kraft hinaus.
Mit leise bebender Stimme bat sie die zurückgebliebenen
Gäste, in das Speisezimmer zu treten, sie selbst gelangte
indessen nicht dort hin, halb ohnmächtig sank sie aus
einen Sessel.
Mehrere Damen eilten ihr zu Hilfe, sie fühlte sich
so schwach, daß sie in ihr Zimmer gebracht werden
mußte. Dies war für die Zurückgebliebenen das Zeichen
zum Ausbruche, alle fuhren sort, sich nur flüchtig von
Heino verabschiedend.
Heino sah die Letzten sortfahren, er war äußerlich
scheinbar ruhig, aber in ihm wogte und stürmte es. Es
hatte ihm ferne gelegen, die Gesellschaft zu stören, er
hatte nur nicht geglaubt, daß die Macht der Vvrurtheile
noch eine so mächtige war. Daß seine Mutter an den-
selben mit voller Zähigkeit hing, wußte er, die Anderen
hatte er für milder in ihren Ansichten und Urtheilen
gehalten.
Langsam, allein schritt er in dein Speisezimmer auf
und ab, von den Speisen berührte er nichts, allein hastig
trank er Glas auf Glas, und der Wein schien ihm Be-
ruhigung zu bringen. Es war ihm, als ob er in der
Ferne das Brausen des Meeres vernähme, er glaubte
das Heulen des Sturmes zu hören und zu sehen, wie
die wilden Wogen sich schäumend am Ufer brachen. Er
war darauf vorbereitet, sich ihnen entgegen zu stemmen.
Wie ein'Seemann, der bereit ist, sein Boot in die Bran-
dung zu treiben, den Hut fester in die Stirne rückt und
das Ruder mit voller Kraft ergreift, fo rüstete auch er
sich im Geiste auf den Sturm, der ihm bevorstaud.
Er zagte nicht, obschon er nicht wußte, wie der Sturm
für ihn enden werde. Das gute Recht und die gute Sache
seines Herzens verliehen ihn: Muth. Es war ihm, als
ob Else vor ihn hinträte und ihm flehend zuriefe: „Ver-
laß mich nicht, gib mich nicht auf, mein Herz hängt ja
mit voller Liebe an Dir und mehr als aller Ahnenstolz
vermag ich Dir zu geben!"
Der Diener trat mehrere Male neugierig in das
Speisezimmer, als erwartete er Befehle, Heino bemerkte
ihn kaum. Noch immer schritt er auf und ab. Er war
sich bewußt, daß er vor einer Entscheidung stand, die auf
sein ganzes Leben den größten Einfluß üben mußte.
Fest zu bleiben war sein Entschluß.
Es war bereits spät geworden. Die Lampions, durch
welche der Park erhellt war, waren zum größten Theile
verlöscht, in dem Hause war es still. Die Kerzen in
dem Speisezimmer brannten noch in voller Helle und
cs war ihm fast unheimlich, daß sie ihm allein leuch-
teten. Was ihm bevorstand, erschien ihm in Hellem,
grellen Lichte und er mochte nicht die Augen schließen,
wie Jemand, der dem Kommenden nicht mit offenem
Blicke entgegen zu schauen wagt.
Er dachte nicht daran, sich auf sein Zimmer und
zur Ruhe zu begeben, weil er wußte, daß es noch in dieser
Nacht zwischen seiner Mutter und ihm zur Entschei-
dung kommen mußte. Er kannte sie zu gut, um sich
einer beruhigenden Hoffnung hinzugcben. Sie klammerte
sich mit zäher Kraft an ein Vorurtheil und ihren Stolz,
und er war entschlossen, von seiner besseren Ueberzeugung
nichts aufzugeben. Der Kampf, welcher ihm bevorstand,
mußte hart werden, weil es der Entscheidungskampf war
— wer konnte wissen, wer unterlag!
Die Mitternachtsstunde war bereits hereingebrochen;
endlich trat der Diener ein und meldete, daß die gnä-
dige Frau ihn zu sprechen wünsche und auf ihrem Zim-
mer erwarte.
„Ich werde sogleich kommen," erwiederte er ruhig,
M
obschon es in seinem Innern durchaus nicht ruhig war.
Unwillkürlich preßte er die Hand auf's Herz, um das-
selbe zu beruhigen, dann trank er hastig noch ein Glas
Wein, um Kraft zu gewinnen.
4.
Als Heino in das Zimmer feiner Mutter trat, fand
er sie schwach, fast gebrochen auf dem Sopha fitzend.
Ihre Wangen waren bleich, in ihrem Gesichte lag ein
fast marmorkalter Ausdruck, nur ihre fest auf einander
gepreßten Lippen verriethen, daß die äußere Ruhe nur
ein trügerischer Schein war.
Es schnitt ihm tief in's Herz hinein, daß die Frau,
welche von allen Menschen ihm am nächsten stand, welche
ihm das Leben gegeben, so sehr erschüttert dasaß. Er
hätte ihr entgegen eilen, sich an ihre Brust werfen und
sie um Verzeihung bitten mögen, die Kälte ihres Blickes
schreckte ihn zurück.
So hinfällig wie in dieser Stunde hatte er sie nie
gesehen. Er war sich bewußt, nichts Unrechtes gethan
zu haben, und doch bereute er fast die Worte, welche er
gegen den Herrn v. Bonda gesprochen hatte.
„Sehe Dich dort nieder," sprach die Freifrau end-
lich, sie schien zu diesen Worten erst die Kraft gesam-
melt zu haben.
Heino ließ sich ihr gegenüber auf einem Sessel nieder.
„Ich habe Dich zu so später Stunde zu mir rufen
lassen," fuhr die Freifrau mit kalter Ruhe fort, „um
von Dir Rechenschaft über Dein heutiges Benehmen zu
verlangen: ich hoffe, daß Du im Stande fein wirst, sie
zu geben."
Der kalte, strenge und befehlende Ton verscheuchte
schnell die weicheren Empfindungen aus Heino's Brust;
er war kein Knabe mehr, der zur Strafe gezogen wird.
„Ich weiß in der That nicht, worüber Du Rechen-
schaft wünschest," entgegnete er ruhig.
„Ich erwarte, daß Du meinen Fragen nicht aus-
weichst!" unterbrach ihn die Freifrau. „Ich bin ge-
wöhnt, mich sehr bestimmt auszudrücken, und bin über-
zeugt, daß Du mich sehr Wohl verstanden hast."
„Mutter, dies ist Wohl nicht der richtige Ton, wenn
wir einen Gegenstand zu besprechen haben," entgegnete
Heino mit ruhiger Entschiedenheit. „Ich werde Nie die
Pflichten und Rücksichten, welche ich Dir schuldig bin,
vergessen, ich bitte Dich aber auch, Dich daran zu er-
innern, daß ich kein Kind mehr bin."
Die Freifrau richtete den Kopf empor, in ihrem
Blicke lag etwas Versengendes, sie fchicn heftig antwor-
ten zu wollen-, allein sie bezwang sich noch zur rechten
Zeit. Ihr Sohn war allerdings kein Kind mehr, sie
durfte deshalb den Zügel ihm gegenüber nicht zu scharf
anzieheu.
„Ich möchte zuerst die Frage an Dich richten, wes-
halb Du nur mit den beiden Töchtern des Fabrikanten
getanzt hast?" fragte sie etwas ruhiger.
„Weil sie am hübschesten waren," erwiederte Heino,
„und weil es mir in der That leid that, daß sie inmit-
ten der Gesellschaft vereinsamt zu sein schienen."
„Sie konnten als Bürgerliche nicht mehr beanspru-
chen," bemerkte die Freifrau. „Ob sie hübsch sind, ist
vollständig gleichgiltig, Du warst den übrigen Damen
mehr Rücksicht schuldig, sie haben Dein Benehmen als
absichtliche Zurücksetzung aufgefaßt und mit Recht. Es
wäre Deine Pflicht gewesen, mit Adelheid v. Bonda den
Tanz zu beginnen."
Heino zuckte mit der Schulter.
„Lieber würde ich auf das Vergnügen ganz verzichtet
haben," sprach er wegwerfend.
„Was hast Du gegen Adelheid?" fiel die Frei-
frau ein.
„Durchaus nichts, fo lange ich nicht genöthigt bin,
mit ihr zu verkehren. Sie besitzt alle diejenigen Eigen-
schaften, welche geeignet sind, mich abzustoßen. Sie ist
mehr häßlich als hübsch, mehr eingebildet als klug,
mehr..."
„Heino, ich muß Dich ersuchen, von einer Dame,
welche ich schätze, mit mehr Achtung zu sprechen!" unter-
brach ihn die Freifrau heftig. „Du hast Dich heute
Abend in einem Lichte gezeigt, daß ich Deinen Besuch,
so angenehm mir derselbe war, bedaure."
„Ich werde ihn möglichst abkürzcn," warf Heino ein.
Die Freifrau schien diese Worte zu überhören.
„Du hast Dich gegen den Herrn v. Bonda, den
Freund Deines Vaters, der uns stets ein getreuer und
liebenswürdiger Nachbar gewesen ist, so rücksichtslos be-
nommen," führ sie fort, „Du hast ihn so sehr beleidigt,
daß er fortgefahreu ist. Er selbst sagte mir, eS sei ihm
unmöglich, mit Dir länger zusammen zu sein."
„Das ist nicht meine Schuld. Wenn er Dir in-
dessen gesagt, daß ich ihn beleidigt habe, so hat er die
Unwahrheit gesprochen. Hat er ein Recht, von mir zu
verlangen, daß ich seinen veralteten Vorurtheilen bei-
stimme? Ist es nicht eine Thorheit, daß er sich für
etwas Besseres hält, nur weil er vom Adel ist? - Ver-
dienste, die er sich erworben, vermag er nicht aufzuwei-
sen, und ich habe ihm gesagt, daß ich die verdienstvollen
Männer am höchsten schätze!"
„Sei ruhig," unterbrach ihn die Freifrau. „Ich