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Heft 1.

Da s Buch für A l l e.







Bald aber ward mir wieder ſchlechter, die Augen wur-
den bleiſchwer, Finsternis umgab mich. Ich glaube,
ich war eingeschlafen.

3

Ein Rütteln und Schütteln brachte mich wieder zum
Erwachen. Ich schlug die Augen auf und erkannte
Saver, der mit seinem Diener und mir in einem
Motorwagen dahinraſte; in einem anderen Wagen
glaubte ich Wiſſer mit seinem Stabe zu erkennen. Ich
ſage: glaubte, denn die Dunkelheit hatte eingesetzt; auch
laſtete der Schlaf noch auf meinem Hirn, und infolge-
deſſen kamen mir alle nun folgenden Vorgänge undeut-
lich und nebelhaft vor.

Daß wir ins Gefecht gingen, war klar. Ueberall
ſah ich Truppen, ab und zu erhellte ein blendender
Lichtſtreif die Gegend, dann folgten und kreuzten ſi
die Lichtſtrahlen, und bald war das Schlachtfeld hell,
bald dunkel. Wir fuhren über ein ziemlich breites

Waſſer auf einer über aufgeblasenen Gumumiſchläuchen
in wenigen Minuten hergerichteten Brücke, doch sah ich
neben uns einzelne Radfahrer anstandslos auch un-
mittelbar über das Wasser setzten, nachdem sie in einigen
Augenblicken ihr Vehikel durch Aufpumpen eigener
Vorrichtungen zum Wasserfahrzeug gemacht. Längs
einer Geländewelle, die den Fluß begleitete, hatte sich
eine lange Infanteriefeuerlinie entwickelt, und ich hatte
Gelegenheit, ihre Handfeuerwaffen zu beobachten.

Eigentlich waren es automatiſche Schießmaſchinen;
der Rückſtoß des erſten Schuſſes bewirkt das Laden
und Abfeuern der folgenden in regulierbarer Schnellig-
keit und nur durch die Zuführung neuer Patronen
begrenzten Dauer. Diese Gewehre waren zierliche, auf

U! sz! ght fr litte est Atvqizus: Fusitn dieſem einen folgten bald mehrere. Es ſchien

gebaute Maschinen, die der Soldat, auf dem Boden
hinter der Deckung liegend, nur nach dem bestimmten
Punkt zu richten und in dieser Richtung zu erhalten
hatte. Die Patronen sahen genau wie zugeſpitzte Blei-
stifte aus; die Graphitſtange bildete das einer Strick-
nadel ganz ähnliche Geſchoß, die umgebende Masſe war
ein sehr impulsiv wirkendes Schießpräparat.

In der Ferne, drüben beim unsichtbaren Gegner,
blitten jezt hie und da rote, grüne, weiße und an-
dersfarbige Lichter einen kurzen Moment auf. Es
waren Lichtſignale verſchiedener Abteilungskomman-
danten, um die Sammlung ihrer Leute in der Dunkel-
heit dadurch zu begünstigen.

Der Compagniehauptmann zog eine mit phosphores-
zierend leuchtenden Farben gezeichnete Nacht-Landkarte
hervor, ſtellte eine ebensolche Busſole auf, orientierte
ſich durch deren Magnetnadel über das Ziel und kom-
mandierte: „Elf Grad, siebenzehnzweizehntel Minuten
Elevation, Seitenrichtung: Nordoſtnord zweieinhalb
Strich, eine halbe Minute Schnellfeuer. “

Die Soldaten ſstellten ihre Gewehre ein, und es
fand nun eine halbe Minute lang, anstatt des von mir
erwarteten Knallens und Knatterns, nur ein Ziſchen
und Brauſen statt, als ob Dampf aus einem Konden-
ſator aussſtróme. Saver erklärte mir, daß die ver-
wendeten Schießpräparate eigentlich nur aus einer bis
zur feſten Form komprimierten und ſich in diesem Zu-
ſtande erhaltenden Gasart beständen.

Er teilte mir noch mit, daß dem Vernehmen nach
der Gegner eine ganze besondere Gattung Luftdruck-
kanonen besitze, welche die Luft anſaugten, komprimierten
und dann mit der Gewalt eines furchtbaren Orkans,
dem nichts Widerſtand zu leiſten vermöge, gegen den
Feind bliesen. „Die Konstruktion dieser noch nirgends
geſehenen Kriegsmaſchinen, “ meinte Saver, „wird sehr
geheimgehalten; bei uns an maßgebender Stelle wird
darüber ſkeptiſch und abfällig geurteilt, General Wisſer
und andere Einsſichtsvolle äußern aber ernſte Beſorgniſse. “

Inzwiſchen ſchien unſer Maſssenfeuer wenig Wirkung
zu haben, denn die roten und grünen Blitze beim
Gegner wiederholten sich und kamen zugleich offenbar
uns immer näher. Es pfiff und gellte ganz unheimlich
von den herumfliegenden Projektilen, überall klatſchte
und praſselte es an die Erddeckungen und die zum
Schutze aufgestellten Motorwagen. Das nun längs der
ganzen Linie erfolgende Aufschreien, Stöhnen, Wim-

mern und Jammern bezeugte, daß viele dieſer unsicht- .

baren Geſchoſſe den Weg in menschliche Leiber gefunden.
Wir bestiegen alſo wieder unser Fuhrwerk und
sauſten in eine andere Gegend des Schlachtfeldes, auf
eine Anhöhe, auf der sich auch General Wisſer mit
seinem Stabe befand. _ :
Dieselben Vorsſichts- und Schutzmaßregeln wie vor-
hin waren auch jett hier angewendet, übrigens lag
die Höhe in vollſtändiger Finſternis, während vor und
neben ihr Scheinwerfer das Schlachtfeld ableuchteten.
Meine Aufmerksamkeit wurde vor allem auf einen
Punkt hoch über und vor uns gelenkt, der wie ein
[ruten Nebelfleck sich vom dunklen Nacht-
N
' „Feſſelballon, “ erklärte Saver.
Soeben blitzte dort oben ein kleines weißes Flämmchen
auf. Es ſchoß abwärts, ſich dabei raſch vergrößernd,



um beim Aufschlagen auf die Erde sofort als mächtige |

bengaliſche Antimon - Arsenflamme aufzulodern. Da-
durch wurde ein großer Umkreis der gegneriſchen
Stellung fast tageshell beleuchtet.

Freilich dauerte das prächtige Schauspiel nur wenige
Sekunden, aber es genügte, um zu erkennen, daß un-
glaubliche Mengen des Gegners, förmliche Ameisen-
ſchwärme, unaufhörlich über die Hügelwellen herauf-
kamen, um sich in der großen Thalmulde, welche als

vollständige Deckung ſich zwiſchen uns und ihnen be-.

fand, zum entscheidenden Massenvorſtoß zu sammeln.

Auf telephoniſchen Befehl des Generals Wisser regnete
es von dem Feſſelballon jetzt förmlich Leuchtkörper her-
unter; wir ſahen den Gegner ganz deutlich in dieDeckungen
eilen und bemerkten, daß er auch zahlreiche faßähnliche
Körper in großer Anzahl hinunterrollte. Die Herren im
Hauptquartier waren im Zweifel, was das zu bedeuten

< | habe; die meiſten hielten diese Fäſſer für eine Art

rollender Deckungen. Sie sollten wahrscheinlich zur
Krönung des diesſeitigen Thalmuldenrandes dienen, um
unmittelbar vor dem Sturm noch eine Deckung zu
haben. Denn wenn auch der Gegner in der großen
Thalmulde gegen das direkte Feuer der Infanterie, ja
teilweise ſelbſt gegen die Briſanz- und Splittergeſchosſe
der Artillerie vollkommen geſchütztt war, so litten seine
Massen beim Abſtieg um so mehr, wie man es bei
der deutlichen Beleuchtung vollkommen erkannte.
„Aber warum beſchießt der Gegner den Ballon

nicht, der ihm so viel ſchadet!“ rief ich, beinahe ärger-
lich über diese sträfliche Unterlaſſung. :

. nZu hoch ~ kein Geſchoß erreicht's!“ antwortete
triumphierend jemand aus dem Stabe.

Da bot sich uns ein merkwürdiges, ungeahntes | M

Schauſpiel. Durch den dunklen Raum sahen wir ein kleines
lämmchen vom Gegner aus sich gegen den Ballon zu

ein ganzer Schwarm solcher Flammen zu sein, ver-
gleichbar leuchtenden Vögeln.

Und eine genauere Beobachtung erwies, daß es
wirklich Vögel waren, denen man brennende Körper
an die Füße oder die Schweiffedern gebunden hatte,
um dadurch den feindlichen Ballon in Flammen zu
sehen. Diese Brandvögel, namentlich Jagdfalken, auf
beſtimmte Objekte zu dresſieren, kann nicht so ſchwer
gewesen sein, hatte doch bereits im Jahr 1889 der
Hauptmann Malagoli in Spezia den Beweis erbracht,
daß ſich hierzu sogar Brieftauben eignen. Diese Art
des Angriffs solcher lebendiger Brandkugeln gegen den
Ballon ersſchreckte nicht nur die Generale unten, son-
dern auch und noch viel. mehr die Inſaſſen des Bal-
lons. Man sah, wie sie durch ein ununterbrochenes
Feuern aus kleinen Handfeuerwaffen die lästigen Gäſte
abzuwehren ſuchten, und viele dieſer fliegenden Flämm-
chen fielen, ehe sie den Ballon erreichten, senkrecht zu
Boden; jene aber, die ihn erreichten, klammerten ſich
am Tatelwerk fest und setzten in wenigen Augenblicken
den Ballon in Brand.

Es war ein furchtbares und zugleich höchſt impo-
sſantes Schauſpiel: eine rieſige Feuerflamme erhellte
auf einige Sekunden die ganze Gegend wie ein ſchauer-
lich-ſchönes, gigantisches Meteor; gleichzeitig sſah man
die erleuchtete Gondel zum Todesfalle sinken, immer
schneller und ſchneller, bis sie sich in der nunmehr ein-
getretenen, infolge der früheren Helle doppelt empfind-
lichen Finsternis verlor. ~ Nach einigen Sekunden erſt
donnerte der dumpfe Krach der Exploſion an unsere
Ohren. Finsternis lagerte jetzt über der Thalmulde,
wo sich der Gegner geſammelt, und die zitternden Licht-
streifen der elektriſchen Scheinwerfer, die über das ganze
Schlachtfeld ab und zu huſchten, konnten die Boden-:
sſenkung nicht erleuchten.

Nach Berechnung des Generalſtabes mußten an drei-
malhunderttauſend Feinde sich dort befinden, welche,
wenn sie geſammelt hervorbrachen, den diesseitigen Ko-
lonnen furchtbar werden mußten. Dies durfte nicht ge-
schehen. General Wisser, zornig über das Schickſal
seines Ballons, befahl das Eingreifen der Raketen.

Gleich darauf, als hätten sie diesen Befehl erwartet,
fuhren die mit Spannung erwarteten Raketenbatterien
auf und richteten einfache Gestelle auf, in welche
eigentümliche Geschoſſe, zwei Meter langen Zigarren
gleichend, eingelegt wurden. Nur ein kurzer Feuer-

ſtrahl begleitete das Geſchoß, welches erst langſam und

ſchwerfällig, dann aber immer raſcher davonfliegend ſich
in die Finſternis verlor, denn der Feuerſtrahl, der ſonſt
die Rakete bis zu ihrer Endbahn begleitete, erloſch ſehr
bald, aber ein entſetliches Ziſchen und Rauſchen ver-
kündete, daß deren Flug noch lange nicht beendet ſei.

Wie Saver erläuternd bemerkte, wird die durch
die Repulſion der ausströmenden Gaſe einer gewöhn-
lichen Pulverladung erzeugte Triebkraft nur für jenen
Teil der Raketenflugbahn benutzt, in dem die Rakete

noch innerhalb des von den eigenen Truppen besetzten

Raumes ſtreicht; dann tritt plöylich komprimiert geweſene
Kohlenſäure an die Arbeit; die Gasrepulſion wird
hestiger, und daher wächſt, im Gegenſaty zu allen
früheren Projektilen, die fortschreitende Geſchwindigkeit
bis zu einer gewiſſen Grenze. Das Geſchoß beſchreibt



25

infolgedesſen eine sehr raſante, flach über dem Erdboden
hinſtreichende Flugbahn, und die Menge des ausſtrömen-
den giſtigen Gases macht alles Lebendige, was in den
Bahnbereich fällt, durch Betäubung kampfunfähig. Am
Ziele angelangt, zerspringt die mit Briſanzpräparaten
gefüllte Hülle und wirkt vernichtend durch Luftdruck-
und Minenwirkung, oder aber — wie in dieſem Falle,
wo die danach gerichteten Geſtelle ihre Raketen in die
erwähnte Mulde leiten – sie entwickeln eine ſolche
Menge bei ihrer Schwere dicht am Boden bleibender

Kohlensäure, daß die dort befindlichen Truppen ale

betäubt werden. Nach kurzer Zeit, wenn die Luft
wieder rein geworden iſt, dringen dann die eigenen
Truppen ein, denen es ein leichtes iſt, den betäubten
Gegner vollends niederzumachen.

„Niedermachen? – Warum nicht kriegsgefangen-
„Iſt das Humanität ?" f

„Humanität und Krieg !“ lachte Saver ironiſch auf.
„Krieg heißt Vernichtung. Je vollständiger der Gegner
zermalmt wird, deſto ſchwerer wird er ſich zum neuen
Kriege erholen. “

Faſt genau dieselben Worte hatte Goj-Magoj zu
mir gesprochen, und ich dachte darüber nach, ob sie
nicht vielleicht Wahrheit enthielten.

Indeſſen wüteten die Raketen, ihres heimtückischen
Amtes waltend, fort, und an allen anderen Punkten
des Schlachtfeldes drängte es sich zur Entscheidung.

Der Mond begann eben aufzugehen, und beide
Gegner beeilten sich sichtlich, noch vor Eintritt dieser
nicht durch Menſchenhand regulierbaren Beleuchtung
ihre Truppen zum entscheidenden Schlußkampf bereit-
zustellen. Ich gewahrte mit Staunen, welche ungeheure
engen unserer Truppen, plöglich wie aus der Erde
gewachſen, gegen die Thalmulde vorrückte, in der jetzt
die Ruhe des Grabes herrſchte. Der Sieg ſchien ge-
wiß, und Wisſser gab durch ein optiſches Signal das
Zeichen zum allgemeinen Vorrücken.

Da bemerkte ich, wie der General, ärgerlich mit dem
Fuße aufstampfend, einen wilden Fluch ausfſtieß.

Eine Depeſche von der weit vorgeſchobenen Späher-
abteilung, vielleicht auch eine verräteriſche Nachricht aus
dem gegneriſchen Lager, meldete, daß der in der Thal-
mulde angeſammelte Gegner aus den mitgebrachten
Fäſſern große Mengen ungelöſchten Kalkes ausleere,
welcher ſich mit der durch unsere Raketen sich aus-
breitenden Kohlensäure gierig verbinde und sie unſchäd-
lich mache; die feindliche Infanterie erklimme sogar
bereits den jenseitigen Hang , denselben Hügel, gegen
welchen die eigenen Kräfte ſich entwickelten. – Ferner
meldete man, daß gewaltige gegneriſche Kavallerie-
maſſen – auf Pferden + von Oſten her im An-
marſche wären, welche jedoch ihre genaue Angriffsrich-
tung durch längs der ganzen Linie erzeugte künſtliche

nehmen?“ frug ich.

Rauch- und Nebelwolken versſchleierten.

Das war eine ſchlimme Lage!
Die zum Angriff losgelaſſenen Truppen wieder zu-

rückzuziehen, war nicht mehr möglich, es hieße geradezeue.

ſich dem Gegner preisgeben. Wisſſer, ein Verehrer des
Grundſatzes vom ,Durchgehen nach vorwärts“, ſah
nur im rückſichtsloſen Vorgehen sein Heil.

Der Kampf, der sich nun auf den diesseitigen
Hügelhängen entspann, welche der jetzt vollends auf-
gegangene Vollmond beleuchtete, wirbelte wie ein
verworrenes Kaleidoſkopbild vor meinen Augen. Un-
geheure Maſsſen beſchoſſen und bewarfen einander mit
einem durch seine Dichte förmlich sichtbaren Hagel
von Projektilen aller Art. Massen gingen vor und
schwankten zurück; die langen Kampflinien wanden und
ſchlangen sich wie der aufgeblähte Körper eines über-
mächtigen Reptils. Dazu das Ziſchen, Pfeifen, Gellen,

| Sauſen und Brauſen der verſchiedenen Geſchoſſe unn

Waffen ~ das Rufen, Schreien, Brüllen, Schmettern
und Raſſeln der Kommandos, Trommeln, Trompeten
und Signalpfeifen, das Wimmern, Stöhnen, Weinen,
Jammern und Aechzen der zahlloſen Verwundeten ~ es
war ein entſetliches, betäubendes Bild. :
Doch soviel konnte ich mit meinen umnebelten
Sinnen wahrnehmen, daß die Truppen des Generals .
Wisser ~ sei es aus was immer für einem Grunde –
im Vorteile waren, und daß die signalisierten gegne-
riſchen Reiter nicht eingriffen, wiewohl die sie ver-
hüllenden Rauchwolken und Nebel immer näher rückten.
Schon wich der Gegner wieder in ſeine deckende

Thalmulde zurück, und unsere Truppen erstiegen den

Kammrand der Hügel ~ da erſchienen an dem jen.
seitigen Hügelrande auf gegneriſcher Seite ganz abſon-
derlich gebaute Maſchinen, welche ihre langen Pump-
arme wie Windmühlenflügel in der Luft bewegten.
Ein Pfeifen und Sauſen ertönte plötzlich durch die
Luft wie vor einem anbrauſenden Orkan, die ersten
Linien unſerer Truppen wurden von einem gewaltigen
Windſtoß niedergeworfen, die folgenden Glieder von

dem ſich immer ſteigernden Orkan wie weggeblaſen.

Geſchüte wurden umgeworfen, Wagen zertrümmert,
Bäume entwurzelt, und Menſchen, von der erſchreckenden
Windsbraut erfaßt, flogen wirbelnd wie Spreu in der
Luft herum. In wenigen Sekunden war die rechte
Angriffskolonne vernichtet, mit gebrochenen Gliedmaßen,.
 
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