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Da s Buch für Alle.

Heft 2.







Augen gingen über den Ränd der Zeitung hinaus ins
Leere und hatten einen ſtarren, nachdenllichen Ausdruck.

An seiner Villa, einem sehr luxuriöſen, eleganten
Renaisſancebau mit einem prächtigen exotiſchen Park,
angekommen, stieg er raſch aus, ging durch das Garten-
thor und schritt raſch auf das Haus zu. Wenn er
sonst nach Hauſe kam, war es ſeine Gewohnheit, über
die Terraſſe, die an der Südfront der Villa sich befand,
und wo ſich gewöhnlich seine Familie, seine Tochter
und Frau, aufhielt, zu gehen, um dieſen guten Tag
!! UU: Fisser sette rrnt:]be!. d. tek toys.
Klinke der Vorderthür noch in der Hand, als er beim
Klange verſchiedener Stimmen, die von der Terrasse
hetſcſalten, bestürzt und erſchrocken ſtehenblieb und
auſchte.

[hte v denn heute alle Teufel los, oder täuſche ich
mich?“ flüsterte er leiſe vor ſich hin. „Jſt das nicht
die Stimme des –~ ~

Ein Diener lief zufällig vorbei.

„Miguel !“ rief ihn Musoz an.

„Euer Gnaden befehlen?“

„„Wer iſt bei meiner Frau?“

"Euer Gnaden zu dienen, Sesor Conde Galvän
de Valverde.“

„Galvän?“"“ wiederholte Musoz erstaunt.
albernen Lü
ging dann ufer doch links um das Haus herum und

betrat raſch und aufgeregt die Terraſsſe.

Da saß mit ſeiner Frau und Tochter ganz gemüt-
lich plaudernd, lachend und ſchäkernd derſelbe junge
Mann, der noch in der vergangenen Nacht seine Seiden-
warenpakete unter der Rua del Mar zu Jrun ver-

. senkt hatte. Man hätte allerdings einige Mühe ge-
habt, ihn wiederzuerkennen, denn nicht nur den Namen
hatte er gewechſelt, ſondern auch die Kleidung. Da
ſaß nicht etwa der Schmugglerführer mit bastkiſcher
Wollmütze und roter Schärpe, ſondern ein durchaus
eleganter, nach der lezten Pariſer Mode gekleideter
Stutzer, mit Claquehut, ausgeſchnittener Weſte, Lack-
schuhen, Diamantboutons und Monocle. Nichts fehlte,
und alles ſaß wie angegoſſen bis auf die hellgelben
Handschuhe und das stark parfümierte Renommier-
taſchentuch, von dem ein Zipfelchen mit gestickter Spitzen-
kante aus der Bruſttaſche ſah.

In der Hitze des Geſprächs bemerkte der von dem
Diener als Graf Galvän de Valverde Bezeichnete nicht
sogleich Herrn Muñoz, der soeben die Stufen der
Terraſſe emporſtieg. :

„Sie müſsen ſie kennen lernen, Sesorita, “ wandte
er ſich eben mit dem ihm eigentümlichen lebhaften, ver-
führeriſchen Zauber an die Tochter des Hauſes; „ich
wäre stolz, wenn Sie uns einmal auf unſerem Schloß
besuchen würden. Meine Schweſter iſt ein reizendes,
herziges und liebes Ding ~ ich würde behaupten, sie
sei die ſüßeſte Kreatur dieser Welt, wenn Sie ſelbst
nicht da wären, Señorita. Ich liebe meine Schweſter
von ganzem Herzen und mit voller Hingabe. Ich

zlauls wahrhaſtig, ich könnte ihr zuliebe ſtehlen und

morden."

„O, o, Herr Graf! wandte die junge Dame er-
ſchrocken ein. G

„Nun, ich sage das nur der Redewendung halber,
aber auf Ehre, Señorita, ich würde sagen, ich liebe
meine Schweſter Pepita mehr als alles auf der Welt

~ wenn“ ~ ſetzte er mit einer vornehm-höflichen

Verbeugung lächelnd hinzu, „wenn Sie ſelbſt nicht da-
wären, Sesorita.“ .

Sesorita Carmen, die Tochter des Herrn Muñßoz,
ein reizendes, naiv - fröhliches Geſchöpfchen von etwa

„Die

ſiebzehn oder achtzehn Jahren, hielt ihren Schaukelſtuhl

für einen Moment an und quittierte mit einer zierlichen

Verbeugung und einem heißen Blick aus den ſchönen,

tiefounklen Augen für das Kompliment.

sst! Lie Sesorita “ fuhr ‘Graf Galvän de
verde fort.

„Herr Graf!“ unterbrach ihn in dieſem Augenblick

Muñoz, der soeben die Terraſſe betrat.

Der Angeredete wandte sich ihm lebhaft zu. „Ah,
Señor Muñoz, ich bin entzückt, Sie zu sehen! Beim
Himmel, ich freue mich, Sie wohl und munter vor
t.. sil ſehet als ob ich Ihr Sohn wäre. Und wie
geht es ?“ Ö .

„Hm.! Ich freue mich auch, Herr Graf, Sie wohl
und munter vor mir zu sehen, obgleich ich nicht Ihr

Vater bin,“ erwiderte Muñoz etwas trocken und ſchüt-

telte dem Gast mit etwas prüfenden, faſt mißtrauiſchen
Blicken die Hand. „Haben Sie das hier ſchon gelesen,
Herr Graf?" ſetzte er dann mit eigentümlicher Betonung
hinzu und hielt ihm das Zeitungsblatt hin.

Was meinen Sie, mein Teuerster?" fragte dieſer
luſtig und aufgeräumt; „meinen Sie die Statiſtik über
die Öelpreiſe oder vielleicht den Bericht über das letzte
Stiergefecht? Barmherzigkeit, Herr Munoz! Muß ich
wirklich ohne Gnade und Erbarmen all den Quark leſen?“

„Hier, nur dieſe paar Zeilen, Herr Graf,“ ant-
î ywaortete Musoz, indem er mit dem Finger die betreffende
Stelle bezeichnete.

enzeitungen!“ fügte er ärgerlich hinzu,



„Ah, hm! Ein Schmuggler abgefaßt,“ meinte |

Graf Galvän gleichgültig und überflog die Zeilen raſch.
Wenn aber Muñoz geglaubt hatte, vielleicht auf den
Zügen des angeblichen Grafen irgend eine Verände-
tt. 4ehr (a spit Luut Get zuews y
„Und das iſt alles, ? beſter Herr? fragte Graf
Galvän ſsichtlich enttäuſcht. „Und weshalb glauben
Sie, daß mich das intereſſiert?"

Carmen horchte ſcharf auf und sah ihren Vater ge-
spannt an. Dieser aber sagte zunächſt nichts. Erst
nach einer Pauſe, während welcher er ſumm und nach-
denklich auf den Park hinausgeblickt hatte, erwiderte
er slüchtig: „Hm, wir ſprechen noch davon. Sie bleiben
doch hier für heute abend?“ :

„Sie haben nur zu befehlen, Herr Muñoz, " ant-
wortete Graf Galvän mit einer förmlichen Verbeugung.
: u Fueht iſt es Ihnen sogar erwünſcht, wenn wir
je __.

„Wie meinen Sie, Herr Muñoz?" fragte der an-
dere, als dieser ſtockte.

MA S s ü

„Ganz zu Ihrer Verfügung, Herr Muñsoz,“ ent-
gegnete Graf Galvan geſchmeidig. Dann ſich verbind-
lich gegen die zurückbleibenden Damen wendend, fügte
er mit einer Verbeugung hinzu: „Jc< nehme nur

kurzen Urlaub und hoſfe auf das Glück, Sie in ganz

kurzer Zeit wiederzuſehen.“ :

„Sie eſſen doch mit uns, Herr Graf?" sagte die
Hausfrau einladend.

„Mir eine große Ehre, Senora !“

Damit ging Graf Galvän mit Herrn Muñoz fort
und saß wenige Minuten später dem letzteren gegen-
über in deſſen Himmer. Munoz hatte ſorgfältig die
Balkonthüren geſchloſſen und ſchien überhaupt etwas
Wichtiges, Geheimnisvolles auf dem Herzen zu haben.

„Nun, Herr Graf,“ begann er etwas vorsichtig,
„eien wir offen und ehrlich miteinander. Wir können
beide nur gewinnen, wenn wir klarſehen.“

Mit einem gewinnenden, treuherzigen Lächeln stand
Graf Galvän raſch auf und bot dem Kaufmann ſeine
Hand. „Schlagen Sie ein, Herr Muñoz,“ ſagte er
laut und freudig, „und seien Sie überzeugt, daß ich
offener und ehrlicher sein werde, als Sie vielleicht ſelbſt
erwarten oder für nötig halten. Fragen Sie, erzählen
Sie, befehlen Sie ~+ ich bin zu Ihrer Verfügung.“

„Sehr liebenswürdig, Herr Graf. Bitte, behalten
Sie Platz. Es iſt ja nicht das erſte Mal, daß wir
miteinander zu thun haben, und wir sind immer gut
ausgeklommen. Also was ſollte uns hindern, offen
und ehrlich zu ſein?“"

„Nichts, nichts in der Welt, und besonders ich
habe zwingende Gründe, alle Mißverständnisse und
Zweifel, die Sie etwa in Bezug auf meine Perſon und
meine Verhältnisse haben könnken, zu zerſtreuen.“

Muñsoz horchte auf. „Was meinen Sie? Was
für Gründe haben Sie?" '

„Davon später. Zunächst fragen Sie nur ohne
alle Umſchweife, ohne alle Redensarten und Kompli-
mente. Was wollen Sie wiſſen?“

„Nun denn, Herr Graf + ohne alle unnügen
Worte: Wer sind Sie?“ .

Die Frage kam etwas leiſe, aber doch mit ſcharfer,

Graf Galvän lächelte überlegen. „Nun, Herr
Muñsoz, ich könnte mich durch dieſe Frage beleidigt
fühlen, weil ſie ein gewisses Mißtrauen in ſich ſchließt. “

faſt heftiger Betonung heraus.

„Bitte, Herr Graf, einen Augenblick. Von einer |

Beleidigung kann absolut keine Rede sein. Wir stehen
jetzt seit etwa zweieinhalb Jahren ~

„Ich weiß, ich weiß, “ unterbrach ihn Graf Galvän
lachend, „und ich war in dieser Zeit mehrmals ſo glück-
lich, Ihnen bei bedeutenden Poſten vorteilhaftere Preiſe
zu machen als alle ausländiſchen Konkurrenten.“

„Ein Umstand, der, wie Sie ſelbſt zugeben werden,
mich doch stutzig machen muß.n. :

„Der Sie aber nie gehindert hat, Geschäfte mit
mir zu machen, und der Sie ſogar veranlaßt hat, mir
bedeutende Beſtellungen auf Mantillas und andere
Seidenwaren anzuvertrauen."

„Geschäft iſt. Geschäft, Herr Graf, und ich sehe
nicht ein, weshalb ich als Kaufmann nicht kaufen ſoll,
wo ich billig kaufe. Aber es hat auch bei diesen guten
Geschäften seinen Haken. Ich will wiſſen, mit wem
ich zu thun habe. Ü

„So plötzlich ?“ ;

„Offen und ehrlich, Herr Graf ~ Sie stehen mit
Schmugglern in Verbindung !“ :

„Und bin vielleicht der berüchtigte Pedro Ayala
ſelbſt?" fuhr Graf Galvän lachend fort. „Offen und
ehrlich, Herr Munoz, das haben Sie doch bisher ge-
glaubt? Nicht wahr?" .
„Ich muß gestehen, daß mir verſchiedene Umstände,
beſonders das eigentümliche Zuſammentreffen Ihrer
Lieferungen mit den genialen Streichen dieſes Herrn
an der Grenze, dann Ihr rätſelhaftes Auftauchen und
plötzliches Verschwinden in der Hauptstadt, Ihre Ge-





wandtheit und Kenntnis der verſchiedenſten Verhältniſſe
diese Annahme nahegelegt haben.“

„Nun, der Madonna und den Heiligen ſei Danl,
Herr Muñoz, Sie haben ſich geirrt, wie Sie aus der
Notiz dieſes edlen Zeitungsblattes sehen. Ich bin nicht
der Ritter der Berge, der Hidalgo der Grenze, der ſich
Pedro Ayala nennt, sondern ich bin + offen und ehr-
lich, Herr Muñoz > ich bin Graf Galvän de Valverde,
Sohn des Grafen Criſto de Valverde und ſeiner
rechtmäßigen Gemahlin, und auf Schloß Valverde am
§hrs het Saragoſſa geboren. Genügt Ihnen das, Herr

luñoz ?"

„Herr Graf –~

„Einen Augenblick! Meine Eltern ſind leider tot,

Sie wiſſen das, Herr Muñoz. Diese können mir alſo
im Fall des Zweifels meine Angaben nicht bestätigen. Ü

„Das weiß ich wohl. Aber der verſtorbene Graf
hilt de Valverde hatte außer dem Sohn noch eine
Tochter

„Ganz recht, meine Schwester, von der ich eben
Ihrem Fräulein Tochter erzählte. Ich habe mir die
Freiheit genommen, Señsorita Carmen nebſt ihrer Frau
Mutter zu einem Beſuch auf Schloß Valverde ein-
zuladen, um meine Schwester kennen zu lernen, die
ein herrliches Mädchen iſt. Sie werden vielleicht ſagen,
Herr Muñoz, daß es viel einfacher wäre, meine Schwester
Pepita einmal mit nach Madrid zu bringen; aber bei
den Zweifeln, die Sie an meiner Identität haben,
glaube ich, daß es besſer iſt, wenn Sie mich in meiner
Heimat beſuchen und Condesſa Pepita in ihren vier
Wänden begrüßen. Es iſt auf Schloß Valverde nicht
so schön, so reich und luxuriös wie in Jhrer Villa,
aber Sie werden in der Intimität der Familie und
der Heimat alles finden, was zur Beseitigung auch des
leiſeſten Zweifels gewünſcht werden könnte.“

Muñoz hatte dem jungen, lebhaft und überzeugend
sprechenden Mann aufmerksam zugehört. Vielleicht war
er überzeugt, aber vielleicht dachte er auch: Worte
sind Worte und noch viel geduldiger als das Papier
und der Telegraph. Sehen macht wahr! Gleichwohl
ließ er ſich - höflich, wie die Spanier ſtets ſind —
nichts merken und entgegnete zuvorlommend: „Es wird
mir eine außerordentliche Ehre und ein großes Ver-
gnügen sein, Herr Gras, Ihrer Einladung bei erſter
ſich darbietender Gelegenheit Folge zu leiſten.“

„Nichts auf die lange Bank schieben. Sagen wir
nächſte Woche, Herr Muñoz. Paßt Ihnen das?“

„Wie Sie es wünſchen. Aber noch eins, Herr
Graf. Dieser wunderbare Don Pedro Ayala + wer
iſt denn das nun eigentlich? Haben Sie ihn gesehen?“

„Nie ~ das heißt, soviel ich weiß, nie, denn ich
sehe viele fremde Menschen, denen ich nicht immer an
der Nasenſpite anſehen kann, wer und was ſie sind.
Meines Wiſſens habe ich ihn nie geſehen, und, wenn
ich mir die Sache recht überlege, möchte ich faſt be-
haupten, daß ihn überhaupt nie jemand geſehen hat.“

„Wie meinen Sie das, Herr Graf? Das verstehe
ich nicht. Hier steht doch klar und deutlich, daß man
ihn in der Nähe von Jrun verhaftet hat.“

Graf Galvän machte eine verächtliche Gebärde. „Herr
Muñoz, das will doch noch nichts heißen ! Was wird nicht
alles gedruckt! Andererseits will ich aber auch nicht
behaupten, daß Pedro Ayala nicht in Jrun gefangen-
sitzt. Nur ob das jener Mann iſt, den ganz Spanien als
solchen nennt und kennt, jener Schrecken der Grenze,
der Held der Berge, der König der nächtlichen Schleich-
vet Fos möchte ich nach dem, was ich gehört, be-
zweifeln. “ ;
pStie glauhen -!! .

„Ich glaube vielmehr, Senor Muñsoz, daß dieſer
Mann in der Wirklichkeit gar nicht exiſtiert.“

„Was Sie sagen !“

„Ich meine, daß dieser ritterliche, findige, kühne
Schmugglerchefs nur eine Phantasie des Volkes ist, eine
Mythe, eine Gestalt, wie etwa im Altertum der Halb-
gott Herkules, dem die Volksſage auch alle möglichen
Thaten, die ein Menſch gar nicht ausführen kann,
andichtet. Der Geist der Zeit und der Völker iſt nun
einmal so, und der des unſerigen ganz besonders. Was
wird nicht alles von diesem edlen Don Pedro Ayala
erzählt! Wie viele arme Bauern hat er beſchenkt, wie
viele Grenzer im nächtlichen Kampf erſchoſſen, und an
wieviel verſchiedenen Stellen zugleich ist er geſehen
worden. Was nur irgendwo Hervorragendes und Außer-
gewöhnliches paſſiert oder ein müßiger Kopf erfindet,
das wird dem Lieblingshelden Don Pedro Ayala an-
gedichtet. Verstehen Sie jetzt, was ich meine?"

Worte! Worte! dachte dieser wieder. Was ging
ihn die Volksphantasie und die Mythenbildung an!
Er war ein Kaufmann und noch dazu ein nüchterner,
vorsichtiger, mißtrauiſcher Spanier, einer von jenen
Menschen, die von einem einmal vorgefaßten Urteil
nur schwer abzubringen sind. Und dieses Urteil lautete
in diesem Falle: Der Mann da vor dir weiß mehr,
als er ſagt, und sagt alles nur, um sich von einem Ver: -
dacht reinzuwaſchen, der ihn in mehr oder weniger enge
Verbindung mit den Grenzſchmugglern bringt. Und
obwohl Graf Galvän in einer freien, ſchwunghaften
 
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