Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
zjihm Hergehenden.

Heft 2.

beredten Art sprach, verfehlte er seinen Effekt auf den

mißtrauiſchen Muñoz doch.

_ pVollſtändig, Herr Graf, und ich danke Ihnen für
die Mitteilung Ihrer Ansicht, " verſicherte er nichtsdeſto-
ttt, ehr höflich, „die mich außerordentlich inter-

„Und nun laſſen Sie uns von etwas Anderem
reden, mein verehrter Herr Muñoz, von etwas Schöne-
U fſets. “ rief der Graf Galvän wieder aufgeräumt
w „Hm, ja, richtig, Herr Graf. Wir haben das
Wichtigſte bisher noch gar nicht berührt.“
ant ühlt SFr! §rte Muvztr fragte jest

„Caramba! Was ſJoll ich us Unser Geſchäft
meine ich. Wann bekomme ich die Mantillas? Die
Saison rückt immer mehr und mehr vor, ich kann meine
Leute in der Provinz nicht mehr hinhalten. Meine
îHVeorräte ſind erſchöpft.“

„Sie haben nur zu beſtimmen, wann und wo Sie

sie abnehmen wollen. Aber lassen wir das jetzt. Wir

kommen noch darauf zurück. Ich wollte von einer an-
zttct. wichtigeren Sache reden, mein sehr werter Herr
dMutgz.“ :
„Von einer wichtigeren?“ fragte Muñoz zweifelnd.
gdJuür ihn gab es ſelbſtverſtändlich nichts Wichtigeres als
das Geſchäft, und die merkwürdige höfliche Verbindlich-
keit, in die ſein Gegenüber jetzt immer mehr und mehr
verfiel, machte ihn ſstutig.
„Ohne Zweifel, von einer unendlich wichtigeren,“
ſsuhr Graf Galvän ernst und gemesſſen fort. „Es han-
delt ſich nicht um Vorteil oder Nachteil, um Geſchäft
und Zahlen oder Waren, sondern um Glück und Un-
glück, Leben und Liebe.“
ik q unterbrach ihn Musoz unwillkürlich und
überrascht. ;
; „Um es kurz zu ſagen, Herr Mudoz, ich liebe Ihre
Tochter Carmen mehr als mein Leben. Wie mir der
Verkehr mit Ihrer liebenswürdigen und ſchönen Tochter
gezeigt, bin ich auch ihr nicht gleichgültig geblieben,
so daß ich hoffen darf, ihre Zuneigung und Liebe zu
erringen. Ich habe nun die Ehre, Herr Muñoz, bei
Ihnen um die Hand Carmens anzuhalten und mir die
hrltubvis zu erbitten, mich um ihre Liebe bewerben
zu dürfen.“

„Herr Graf, dieſe Ueberraſchung ~ stotterte Munoz

diesmal wirklich überraſcht und mit einer gewiſſen
Ratlosigkeit.

„Wie, Herr Muñoz? Sie ſollten noch nicht auf
die Jdee gekommen sein, daß sich Carmen unter den
jungen Männern, welche die Ehre haben, Ihr Haus
Rt g q. ratur Pt. chien gen
Grafen Galvän uus sympathiſch zu berühren. Was
sollte ſie überhaupt heißen? Eine leichte Wolke des
Unmuts ſchien sich auf seiner Stirn zuſammenzuziehen.
Wollte Musÿoz, der Krämer, ihm, einem Grafen de

Das Kind ist ja

.. Valverde, Schwierigkeiten machen?

„Keine Ahnung, Herr Graf.

M H

„Das Kind?. Eine Spanierin von faſt achtzehn
Jahren iſt kein Kind, Herr Muÿoz.“

„Hm, Sie mögen wohl recht haben, Herr Graf,
und ohne Zweifel weiß ich die hohe Ehre, die Sie mir
und meinem Hauſe durch Ihren Antrag zu teil werden
laſſen, wohl zu schätzen; aber gleichwohl werden Sie
begreifen, daß mir die Angelegenheit durchaus uner-
wartet und überraſchend kommt. Carmen iſt mir unter
den Augen groß geworden, das iſt richtig, aber ich
habe noch keine Sekunde daran gedacht, sie zu ver-

eiraten. “
f „Sie werden doch einmal daran denken müssen,
Herr Muñoz.“

„Dhne Zweifel, Herr Graf, nur ~ nur werden
Sie mir Zeit laſſen, mir die Sache zu überlegen. Ich
werde mit Carmen reden und auch mit meiner Frau,

und ich bin überzeugt, daß sie meine Auffassung Ihres

Antrags teilen. Dann wird ſich ja über die Sache
weiter reden laſſen. Einstweilen wird es uns ſehr
angenehm sein, Ihren Beſuch von Zeit zu Zeit -
fo oft es Ihre Zeit erlaubt — zu empfangen.

Muñsoz stand auf. Graf Galvän hatte noch eine

Entgegnung auf den Lippen, aber der Kaufmann machte
den unzweifelhaften Eindruck, als ob er die Unterredung
beendigt zu ſehen wünſche..

So stand denn auch Graf Galvän auf und verbeugte

' ſich zum Zeichen, daß er mit der Wendung der Unter-

redung zufrieden ſei.
Eigentlich war er es nicht. Er hatte erwartet,
daß Muñoz von dem gräflichen Herrn Schwiegerſohn
entzückt gewesen und ihn ohne weiteres in ſeine Arme
geſchloſſen hätte. Seine Antwort war nun allerdings
keine Abſage, sie ſah aber doch eher wie eine ſolche
. als wie eine Zuſage aus. .
Als der Graf jetzt hinter Musoz nach der Terraſſe
zurückſchritt, ruhte ſein Blick wie drohend auf dem vor



Das Buch für Alls

31



Viertes Ziapitel.
_ Senorita Carmen Muñoz war die einzige Tochter
ihrer Eltern und ſchon infolgedeſſen etwas verzogen
und verzärtell. Aber auch von den Beſuchern des
elterlichen Hauſes hörte ſie nichts als Angenehmes.

Man ſagte ihr alle Tage, wie ſchön, wie liebenswürdig, | d

wie graziós und pikant sie sei. Nun war ſir das
ohne Zweifel alles in hervorragendem Maße, nur war
ſie außerdem auch launenhaft, übermütig, stets zu Spott
und Neckerei aufgelegt, eitel, unbedacht, verſchwende-

riſch und putſüchtig über alle Maßen ~~ waz ihr aber

niemand ſagte.

. Wenn sie tanzte, den Bolero, den Fandango oder
eine Seguidilla, war ſie ohne alle Frage hinreißend.
Es gab wohl wenig Mädchengeſtalten, die ſich an Eben-
maß und Grazie der Formen, an Anmut, an Zier-

lichkeit der Bewegungen mit ihr zu vergleichen ver-

mochten. Trotzdem konnte ſie für ihre Umgebung eine
wahre Tyrannin, eine gesellſchaftliche Qual sein. Sie
konnte ihre Anbeter, deren ſie infolge ihrer übermütigen,
wetterwendiſchen Launen jede Woche mehrere hatte ~
natürlich ohne auch nur für einen davon wirklich Nei-
gung zu fühlen —, bis aufs Blut peinigen.
_ Sie rauchte die ſtärkſten Zigaretten,*) nicht weil
ihr das Spaß machte oder Genuß verurſachte ~ im
Gegenteil war ihr der beißende Geſchmack zuwider ,
ſondern weil ſie glaubte, ſich dadurch hervorzuthun, und
weil man ihr fort und sort verſicherte, daß das un-
gemein graziöós und pikant ausſähe. Trotzdem ſie von
Hauſe aus herzlicher, gemütvoller und liebevoller als
die meiſten Spanierinnen angelegt war, drohten alle
ihre ſchönen Gaben von den ſchlechten Angewohnheiten
und ihrer mangelhafsten Erziehung überwuchert und
vernichtet zu werden. f

Ihre Mutter ſah all dieſen Ertravaganzen lächelnd
zu, unterstützte ſie wohl gar gelegentlich darin. Sie
wußte es nicht beſſer und war ſeinerzeit ſelbſt so ge-
weſen. Noch jett war Señora Muñoz eine verhältnis-
mäßig junge, ſtattliche Dame, und wenn man ſich bei
ihr recht in Gunst ſetzen wollte, ſo brauchte man ihr
nur zu ſagen: „Aber Señora, Sie ſehen nicht aus wie
Mutter und Tochter, ſondern wie Schweſtern!.. .'

Als Graf Galvän mit Musoz nach der Terraſſe f

zurückkam, wo man natürlich keine Ahnung von dem
Gegenstand des stattgehabten Geſpräches hatte, war da-
selbſt noch weiterer Beſuch eingetroffen. Zunächst die
Frau Generalin Vereno, eine Schweſter des Herrn
Muùoz, die einen General geheiratet hatte und infolge-
deſſen hoffähig war, das heißt ſie wurde zu den größeren
Hoffeſtlichkeiten, zu denen nach ſpaniſcher Sitte Ein-
ladungen bis in die Tauſende ergehen, ebenfalls ein-
geladen. Die Generalin hatte ihr Erbteil im Geſchäſt
hzres Hruzeus hte Jlotter h t Hg..

? . Z
die Generalin in der Familie Muñoz von großem Ein-
fluß, und alle wichtigen Entſchlüſſe wurden ihr vorher
unterbreite. Auch war ſie die Hüterin von Anſtand
Uu tte pes Hauſes, ſie überwachte die „Grandezza“
er Familie. :

Pi der Generalin war ein junger Marinelieutenant

| in der ſchmucken Uniform der spaniſchen Flotte ge-

kommen. Er war ein entfernter Verwandter des Ge-
nerals Vereño und ein besonderer Schützling der Ge-
neralin. Er hieß Francesco Mandrito und war im
übrigen ein guter Junge, eine harmlose Seele.
Carmen wollte ſich eben ausſchütten vor Lachen.
Sie hielt sich die Seiten und nieste ſchließlich vor aus-
gelaſſener Luſt :
„Sie sind koſtbar, Lieutenant, " sagte ſie ganz außer
Atem zu dem etwas verblüfft vor ihr Sitenden. „Sie
machen mich tot, wenn Sie fortfahren, mich ſo lachen
zu machen.“ .
! qe. " erwiderte der Offizier etwas befangen
und verlegen, „wenn ich nur wüßte, wodurch ich
Ihre stürmiſche Heiterkeit erregt habe. Ich bin wirk-
li l j
s T; will's Ihnen ſagen. Ich führe nämlich ge-

.

nau Buch über die jungen Herren, vie mir ihre Liebe

erklären, und da will es der Zufall, daß Sie in die-
sem Monat gerade das Viertelhundert vollmachen. Sie
ſind der Fünfundzwanzigste. Jch kann es in diesem
Monat weit bringen, Herr Lieutenant, meinen Sie
nicht? Vorigen Monat waren es nur elf, und in dieſen.
sind es, wie geſagt, ſchon fünfundzwanzig, troydem daß

wir heute erſt den Siebzehnten haben. Der Oltober

muß ein guter Monat ſein. Nicht wahr, Herr Lieute-
nant?"

„Aber Carmen,“ warf die Generalin ein, „wer
wird so ausgelaſſen ſein !“ .

„So laß mich doch, Tante. Ist es meine Schuld,
daß er der Fünfundzwanzigſte in diesem Monat ist?
Uebrigens trösten Sie sich, Herr Lieutenant. Da kommt
eben Ihr Herr Vorgänger, Numero vierundzwanzig.“

„Sei nicht so kokett, Carmen, “ meinte die Generalin

*) In Spanien iſt das Zigarettenrauchen bei den Damen

| allgemein üblich.

wieder, „es ſchickt ſich nich. Du mußt einen Unter-
ſchied machen lernen. “

„Ei, meinſt du, ich könnte keinen Unterſchied machen,
Tante? Da kommſt du bei mir ſchlecht an.“

Die Herrſchaften begrüßten ſich in der üblichen
Beil durch eine ſtumme Verbeugung und einen Hände-
ruck.

„Jch muß Sesorita Carmen in Schut, nehmen,“
meinte dann Graf Galvän. „Ich weiß, daß ſie einen
Unterſchied zu machen weiß. Und wenn jemand in
stiller Nacht unter ihrem Balkon ſingt:

„Corazón de mi morentw

Me dos hospitalidad ?

Yo guiero huéspedes fiſos

No los gque vienen y van.“ *)

so bin ich sicher, daß sie ihn nicht wieder mit den an-
deren – Nummern verwechſeln wird.“
_ Es war in der ſchneidigen Art des Grafen Galvän
eine gewisſſe verhaltene Leidenſchaftlichkeit und Glut.
Bei aller lächelnden Eleganz in seinem äußeren Weſen
ſchlug doch eine kräftige, siegende Zuversichtlichkeit durch,
die auf Señorita Carmen nicht ohne Eindruck blieb.
Dazu mochte vielleicht auch der Grafentitel etwas bei-
tragen, den er trug. Gleichwohl war von einer tiefer-

gehenden Neigung bei dem oberflächlichen, tändelnden

Wesen der jungen Dame keine Rede, wenn ſie auch
natürlich den Bewerbungen des Grafen Galvän mit
anderen Gefühlen entgegentam als der ältere, kühle
und kluge Musoz, der viel weltersahrener war und
viel zu ſcharf sah und zu viel wußte, um von den
Fztiſhricten des jungen Mannes bei ſeiner Tochter
erbaut zu ſein. ;

freut mich ſehr, Herr Graf, “ warf der junge
Marinelieutenant ein, „Sie ſo wohl und munter wieder
in Madrid zu sehen. Mir iſt, als ob ich Sie ſeit
läygerer heit nicht mehr hier bemerkt hätte. Waren
Sie verreiſt?" j
f ;§3,! antwortet Graf Galvän kurz und wenig
reundlich. :
„Ah! Und wohin? wenn man fragen darf.“

„Zch wax in Vichy.

f . so. Aber doch wohl nicht, um die Bäder zu
rauchen?"

„Weshalb denn nicht?“.

„Sie sehen ja wie die Geſundheit ſelbſt aus."

„Das täuſcht manchmal.“

„Jedenfalls sieht man Ihnen an, daß Sie längere
Zeit in dem galanten Frankreich waren. Ihre Galan-
terie hat offenbar bedeutende Fortſchritte gemacht.“

Sei es nun, daß Graf Galvän den Ton, in dem
dieſe harmloſe Bemerkung fiel, etwas ſpöttiſch fand,
oder ſei es, daß ihm das viele Fragen des Lieutenants
nicht behagte, kurz, er ſah den jungen Offizier von
oben bis unten an und sagte in ſeiner ariſtotratiſchen
und überlegenen Art zu ihm: „Sie. dürfen davon
lernen, Herr Lieutenant. Ich geſtatte es Ihnen.“

Der junge Offizier ſah überraſcht auf. Er ſchien
aufgebracht, und zwar mehr über den verächtlichen Blick,
tit de. (raf Galvän die Worte begleitete, als über

ieſe ſelbst.

gut;?! fung ft dt ut. ./!
herablaſſenden Erlaubnis keinen Gebrauch machen zu
können. Das Leben iſt zu ernst und zu lang, als daß
U mir von ſolchen kleinen Mätzchen Vorteil verſprechen
éönnte.“

Sesorita Carmen war mit geſpannteſter Aufmertſam-
keit den kurz und flüchtig hingeworfenen Aeußerungen
gefolgt. Sie kannte ihre Landsleute zur Genüge, um
zu wissen, wie tief dieſe in aller Grandezza und Selbst-
herrlichkeit hingeworfenen Pfeile verwunden. Jhre
Eitelkeit ſpornte ſie an. Wenn ihretwegen ein Duell
entſtand, wenn ihretwegen die beiden – Numero
vierundzwanzig und fünfundzwanzig — ſich gegenſeitig
mit der blanken Waffe zu Leibe gingen, so wäre sie
mit einem Schlag eine Berühmtheit von Madrid und
in den Augen ihrer Freundinnen zur Heldin geworden.
Die halbe Stadt, wenigstens der weibliche Teil der-
selben, hätte ſie darum beneidet!

Aber auch ihre Mutter war dem kleinen Wortwechsel
gefolgt und sah, daß Graf Galvän eine ſcharfe Ant-
wort auf den Lippen hatte.

„Wir wollen zu Tiſche gehen, meine Herrſchaften.
Die Tafel iſt bereit,“ sagte sie: und machte damit,
wenigstens vorläufig, der Auseinanderſetßung der Herren
ein Ende. . i

Lieutenant Mandrito gab als Verwandter des Hauſes
der Hausfrau seinen Arm, um sie zu Tiſch zu führen;
Munoz folgte mit ſeiner Schwester, und als lettes Paar
blieben Senorita Carmen und Graf Galvän zurück.

Carmen zögerte ein wenig, ehe ſie den Arm des
Grafen nahm, abſichtlich oder nicht, das ließ ſich nicht





*) Zu deutſch etwa: ;
„Mädchenherz, gieb Gaſtfreundſchaft,
Gieb sie mir fürs ganze Leben.
Ich bin kein Wandervogel mehr,



î Die heute kommen, morgen gehen.“
 
Annotationen