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Heft 9.

Das Buch für Atte:

2.19



Undreasberger Gold.

Erzählung

Ludwig Balvomon.




§ Ss zs (Nachdruck verboten.)
§ eit undenklichen Zeiten schürft man in der
| Gegend von Andreasberg im Harz wertvolle
; U:] Silbererze, aber erſt seit etwa hundert Jahren
FS gewinnt man dort auch Gold, das „Andreas-
S:. e | berger Gold“, von dem allerdings die Mine-
IVI dtalogen nichts wiſſen, das auch nicht aus
den Tiefen der Berge hervorgeholt wird, das aber troydem
kein Flitter-, kein Katzengold ist, vielmehr echtes, feines
Gold, das man heutzutage in der ganzen Welt ſchätzt,
über das tauſende und abertausſende täglich ihre herzliche
Freude haben. Auf eine ganz eigentümliche Weise sind
die Leute von Andreasberg hinter dieses Gold gekommen.

Cs war in einem kalten, unfreundlichen Winter im
lehien Drittel des vorigen Jahrhunderts. Vom Brocken
her ſauſte ein eiskalter Wind, der den Schnee mit aller
Heftigkeit ins Thal von Andreasberg jagte. Nur hie
und da ging einmal ein Mann, die Pelzmüte fest in
den Nacken gedrückt, über die Straßen des kleinen Dert-
chens und blickte dann unwirsſch nach dem alten Unholde,
dem Herenberge, hinüber, als ob der in seiner Schänd-
lichkeit das ganze böse Wetter machte. Und mißmutig
konnte auch wirklich jeder aus hinreichendem Grunde
ſein, denn wo ſollte das hin, wenn es so toll noch immer
weiterſchneite. Schon waren jeder Weg und Steg ganz
verschneit, und das kleine Andreasberg lag so eingeduckt
in den weißen Mantel, als wollte es ſich ſchier ver-
kriechen. Da stockte denn so ziemlich aller Verkehr.
Die Schlitten konnten kaum nach Herzberg kommen,
nach Klausthal zu sollte die Bahn ganz verſchneit sein,
so erzählte man sich wenigstens. .

Dennoch ſchien an einem Dezembermorgen, als ſich
der Himmel einmal etwas aufgeklärt hatte und die Sonne
sogar etwas durch die grauen Wolken blinzelte, ein
junger Mann den Mut zu einer größeren Wanderſchaft
zu haben. Sorgfältig dafür ausgerüſtet, in einen dicken
Mantel gehüllt, ein ausgiebiges, ganz gefülltes Felleiſen
auf dem Rücken, einen derben, zuverlässigen Stock in
der Hand, stand er in einem Stübchen, offenbar, um
Abſchied zu nehmen. Das las man deutlich aus seinen
Zügen, noch mehr aber aus denen der beiden Frauen,
denen er ſich gegenüber befand, einer älteren, in deren
Antlitz ſchwere Arbeit und Sorgen tiefe Furchen ge-
zogen, und einer jüngeren, die in einem Lehnstuhl saß
und offenbar die Tochter der älteren Frau war. In
den Augen beider glänzten Thränen. Besonders ſchien
die Jüngere tief erſchüttert zu sein; sie verhüllte wieder-
holt das anmutige, aber ſehr blaſſe Gesicht und brach
in heftiges Schluchzen aus.

„Es iſt zu hart!“ stöhnte ſie dann. „O, wäre ich
doch bei dem Sturze gleich zu Tode gekommen, dann
wäre mir all der Jammer erſpart geblieben.“

„Verſündige dich nicht, Marie,“ ermahnte die Mutter.
„Wenn dir Gott das Leben gelasſſen hat, so wird er
wiſſen, warum, und wer weiß, ob du ihm nicht noch
einmal von Herzen dafür dankbar biſt.“

: Das Mädchen antwortete nicht, sondern begann aber-
mals zu weinen. Da ergriff der junge Mann die Hand
der Weinenden und blickte sie zärtlich an. „Du biſst
immer so tapfer gewesen,“ ſagte er, „und du haſt es ja
auch eingeſchen, daß es das beste iſt, wenn ich einmal
hinausgehe in die Fremde. Und nun zeige auch, daß
du die Trennung ertragen kannst, die ja für die gute
Mutter und mich ebenso schwer iſt wie für dich.“

„OD, Georg,“ rief da das junge Mädchen und wischte

schnell die Thränen aus den Augen, ,ſei nicht böſe!
Gewiß, ich werde tragen, was ihr auch tragen müßt.
Es war nur eine Schwäche, die mich befiel. Lebe wohl,
und des Himmels Segen ſei mit dir!“ Sie breitete
die Arme aus; der junge Mann neigte ſich zu ihr hinab
und küßte sie herzlich.
_ JIn demſelben Augenblicke begann drüben am Fenster
ein kleiner goldgelber Kanarienvogel laut zu ſchmettern,
und gleich darauf noch ein zweiter, deſſen Käfig an der
Wand neben dem Ofen hing.

HJEi ſieh!“ rief da das Mädchen freudig überrascht.
„Das Peterle und der Roller singen dir ein Abſchieds-
lied. Das nehme ich als eine gute Vorbedeutung. Wie
mir doch mit einem Male leicht ums Herz geworden ist!“

îH„Dann wauill ich auch ſchnell aufbrechen,“ versetzte
der junge Mann, ,damit uns der Abschied nicht noch
ſchwerer wird. Wenn ich in Hildesheim angekommen
bin, werde ich ſchreiben. Und damit nochmals: leb wohl,
liebe Marie, leb wohl Mutter!“

Er reichte noch einmal jeder der beiden Frauen die
Hand und eilte, damit keine die Thränen in seinen



Augen bemerke, zur Thür hinaus. Draußen blieb er

noch einen Augenblick stehen und atmete tief die kalte
Winterluft ein, dann schritt er rüſtig die Straße des
Ortes dahin. Bald hatte er die letten Häuſer hinter sich.



Der Weg lag etwas hoch, so daß der Wind darüber

hinwegfegte und den Schnee seitwärts ins Thal jagte.

Der junge Wanderer kam gut vorwärts und verſank
bald in Gedanken.

Wie hatte er ſich doch noch vor Jahresfriſt sein
Lebensglück so ganz anders vorgeſtell! Schon als
Schulknabe hatte er die hübſche Marie gern gehabt,
dann hatten seine Eltern mehrere Jahre neben dem
Häuschen von Mariens Mutter gewohnt, und er war
täglich ihr Spielgefährte geweſen. Dadurch hatte ſie
ſich nach und nach so an ihn gewöhnt, daß ſie in ihrem
tlemen Köpfchen wohl ſchließlich gemeint hatte, der Georg
gehöre zu ihr ganz von Rechts wegen und müſse immer
und immer bei ihr bleiben. Aber als sie heranwuchs,
wurde ihr eines Tages klar, daß der Georg doch eigent-
lich ein Bube wie alle die anderen ſei, daß sie gar kein
besonderes Recht auf ihn habe. Darüber weinte ſie eine
Zeitlang im stillen, und einmal sagte sie es dem Georg
sogar etwas zornig, warum sie weinte. Dann aber
hielt ſie ſich doch etwas zurück von ihm. Er dagegen
mußte in das werkthätige Leben eintreten, einen Beruf
wählen. Er wurde Schmied, da die Schmiede im Ort
ihr gutes Fortkommen hatten wegen des Bergwerks.
Als dann im Mai vor zwei Jahren ſeine beiden Eltern
plötzlich kurz nacheinander starben, da trat der junge
Schmiedgeſell der Frau Gericke und ihrer Tochter Marie
wieder näher. Die Plauderſtündchen, die er, dcr Ver-
einſamte, dann und wann bei ihnen abhielt, wurden
immer häufiger, und bald fühlte er es im tiefen Inneren
seines Herzens, daß eine heiße Liebe zu der lieblichen
Marie ihn erfaßt hatte. Auch Frau Gericke war dadurch
hoch beglückt, und so schien eine freundliche Zukunft vor

den drei Menſchen offenzuliegen, um so mehr, da

Georg von den Eltern ein kleines Vermögen geerbt
hatte, it Hilfe deſſen er sich geſchäftlich ſelbſtändig
machen konnte.

Allein unerwartet griff ein rauhes Verhängnis ein
und zerstörte alle freundlichen Zukunftsbilder. Im Früh-
ling kränkelte Frau Gericke etwas, und da allerlei Haus-
mittel und eine sorgfältigere Lebensweiſe nichts helfen
wollten, so riet eine alte Baſe, es einmal mit dem Thee
einer heilkräftigen Pflanze zu verſuchen, der ihr vor
Jahren wiederholt bei ähnlichen Zuſtänden geholfen.
Sie beſchrieb der Marie genau, wo das heilkräftige Kraut
wachſe, hoch oben an der Felswand eines ſteilen Berges,
und natürlich machte ſich Marie sofort auf, die Pflanze
zu ſuchen, fand sie zu ihrer Freude auch und hatte auch
bereits eine ganze Menge von Blättern gepflückt, als sie
dem Abhange zu nahe kam, plöglich ins Rutſchen geriet
und in die Tiefe hinabſtürzte. Als sie sich mühſam
erhob, fühlte sie einen heftigen Schmerz in der rechten
Seite. Sie ſchleppte ſich .bis zur nicht allzu fernen
Fahrſtraße, wo bald ein Wagen vorüberkam, der ſie
mit nach Andreasberg nahm. .

Die Mutter that nun zwar alles, den Schaden wie-
der zu kurieren, auch der Bader des Orts gab ſich die
größte Mühe, die Geſchwulst, die sich gebildet hatte, zu
beseitigen, aber kein Mittel zeigte ſich wirkſam; das arme
Mädchen litt nach wie vor an großen Schmerzen und
vermochte das rechte Bein nicht mehr zu gebrauchen.
Schließlich wurde auch noch der alte Doktor Barthel

in Herzberg zu Rate gezogen, aber auch der vermochte |

nicht zu helfen. Es ſchien, als werde das junge Mäd-
chen zeitlebens an den Lehnstuhl gefesselt bleiben.

Das traf Georg wie ein ſchwerer Schlag; es war ihm,
als läge nun sein ganzes Lebensglück zertrümmert vor
ihm. Und doch konnte er es nicht glauben. Er ver-
doppelte ſeine freundlichen Aufmerksamkeiten gegen Marie,
brachte ihr die ſchönſten Früchte des Sommers, kaufte
ihr ein paar niedliche Kanarienvögel, die sie mit ihrem
Gesange ein wenig heiter stimmen sollten, und plauderte
ihr in den Abendstunden von allem Freundlichen, das
er ersſinnen konnte, vor, um die Schwermut, von der ſie
mehr und mehr gepackt wurde, von ihr zu ſcheuchen.
Er hoffte aber immer noch, die Natur des Mädchens
würde ſich ſchließlich doch ſelbſt helfen. Er glaubte das,
weil er es ſo ſehnlichſt wünschte. Darüber verging aber
ein Monat nach dem anderen, und der Zuſtand der
Kranken änderte sich nicht.

Da nahm eines Tages die Mutter Mariens Ge-
legenheit, die neuen Verhältnisse mit Georg zu beſprechen.
Sie ſagte ihm, daß bei dieſen traurigen Zuſtänden an
eine Verheiratung ja doch nicht zu denken sei, und da
sie beide, er und Marie, doch täglich unter der ſchweren
Laſt des Unglücks litten, so sei es das beste, wenn er
auf einige Zeit auf die Wanderſchaft ginge oder doch
in einer anderen Stadt Arbeit nehme. Er würde ſein
Gemüt wieder aufrichten, und Marie würde sich langſam
in ihr Schickſal ergeben. Es werde ſich inzwiſchen auch
klarer zeigen, ob wirklich eine Vereinigung mit Marie
möglich sei, im anderen Falle wäre es wünschenswert,
sich nicht allzu lange mit Hoffnungen zu tragen, die
nun einmal unerfüllbar ſeien.

Darauf ließ ſich denn Georg beſtimmen, bei einem
Vetter in Hildesheim anzufragen, ob er dort vielleicht
eine gute Stelle bei einem tüchtigen Meiſter erhalten
könnte, und als der Vetter bejahend antwortete, da
ordnete er ſeine Angelegenheiten kurzer Hand ~ und

nach geſprungen.“



nun ſchritt er dahin, dem neuen Wohnort zu, mit tiefem
Weh im Herzen. ;

Doch die friſche Winterluft that ihm wohl. Er war
monatelang nicht hinausgekommen. Hatte er ſein Tag-
werk in der Schmiede erledigt, so war er regelmäßig
zu Marie hinübergegangen, um ſich mit ihr zu unter-
halten. Es erquickte ihn daher, die reine Luft einmal
tief einatmen zu können; mit Entzücken sah er in die
verſchneiten Thäler hinein, auf die Tannenwälder, von
denen der Sturm die Schneelaſt abgeſchüttelt, und die
ſich nun mit ihrem dunklen Grün ſcharf von den weißen
Flächen abhoben.

Mit der Zeit wurde freilich das Wandern etwas
mühevoller; als sich der Weg allmählich tiefer ſenkte,
ſtieß Georg auf hohe Schneewehen, durch die er ſich
kaum hindurchzuarbeiten vermochte. Kein Schlitten, kein
Menſch hatte da vorher Bahn gemacht. Dann ging es
wieder eine Zeitlang beſſer, der Weg wurde freier.
Auf einmal aber stand er bei einer Biegung des Weges
vor faſt haushohen Schneemaſſen, vor einer wahren
Schneemauer, und zugleich vernahm er Stimmen, bis-
weilen auch die Töne eines Schellengeläutes. Drüben,
jenſeits der Schneemasſe, mußte sich ein Schlitten be-
finden. Vielleicht war er festgefahren, oder es war ihm
ſonſt etwas paſſiert. Er sprang seitwärts auf eine
Böſchung, von der der Wind den Schnee weggefegt
hatte, und richtig, da gewahrte er, wie ein mit zwei
Pferden bespannter Schlitten tief im Schnee ſtak, und
zwei Männer sich bemühten, das Gefährt wieder flott-
zumachen. Genaueres vermochte er wegen des Schnee-
treibens nicht zu erkennen. Aber er rief laut hinüber,
daß er kommen und helfen werde, und ſprang dann keck
in die Schneemaſſen hinein. Einmal versank er bis an
die Bruſt, ſchließlich gelang es ihm aber doch, ſich durch-
zuringen. f
; je merkt man aber wahrhaftig,“ rief ihm einer der
Männer entgegen, „daß man hier in die richtige Heren-
gegend kommt. So eine Unmasse von Schnee iſt mir
mein Lebtag noch nicht vorgekommen. Davon hat mam
unten in der Ebene gar keine Ahnung." Er nickte dabei
Georg grüßend zu.

HJEs iſt dieſen Winter ausnehmend ſchlimm," ver-
sette Georg. „Hätte ſelbſt nicht gedacht, daß es so arg
sein würde!“ Er sah ſich die Männer genauer an. Der,
welcher eben geſprochen hatte, war offenbar ein vornehmer
Herr; er trug einen eleganten Pelz und eine große Pelz-
mütze; der andere war der Kutſcher. Beide Männer hatten
ſich bisher vergeblich gequält, den Schlitten, der in den
Straßengraben geglitten und ganz im Schnee verſunken
war, wieder auf den Straßendamm zu ſchieben. Diese
Arbeit wurde noch dadurch erſchwert, daß die Pferde in-
folge der ungewöhnlichen Situation sehr ungeduldig
waren und wiederholt zur unrechten Zeit anzogen. Georg
wies daher den Kutſcher an, die Pferde vorn an den
Zügeln zu halten, und wußte ſich dann Jo geschickt gegen
den Schlitten zu stemmen, daß dieser bei einem gleich-
zeitigen energiſchen Anziehen der Pferde mit einem Ruck
wieder auf die Straße zu stehen kam.

„Potzwetter!“ ſtieß der Herr hervor. ,„Jhr ſeid ein
Teufelskerl! Mühen wir uns da schon eine halbe Stunde
ab, aus der Klemme herauszuktommen!"

„Damit, daß Sie nun wieder auf dem Straßen-
damm sind,“ entgegnete Georg, einen prüfenden Blick
auf den Schlitten werfend, „scheint aber die Sache doch
nicht abgethan zu ſein. Der Träger hier an der Schlitten-
kufe iſt geſpalten. Es hat wohl einen argen Schmiß ge-
geben, als der Schlitten in den Graben glitt?“

. „Freilich, ich wäre beinahe hinausgestürzt," bemerkte
er Herr. :

„Sehen Sie, da iſt der Träger der ganzen Länge
| Georg wiſchte den Schnee ab, und

§ 2 i i pf J S

f eite fich t fete Heat er. Es ist eine wahre

Unglücksfahrt. Erst orientiert ſich der Kutscher nicht

ordentlich und fährt von Klausthal statt über Oſterodhe
hier über Andreasberg –~ und nun noch das Malheur

mit dem Schlitten.“ '

„Wohin wollen Sie denn?“ fragte Georg. .

„Nach Herzberg, zu dem alten Amtmann v. Recklingen.
Es muß notwendig an dem alten Mann eine Operation
vorgenommen werden, die der Doktor Barthel nicht aus-
führen kann. Ich bin nämlich der Ritter v. Zimmer-
mann, der königliche Leibarzt aus Hannover.“

Er reckte sich dabei etwas und nahm unuillkürlich
eine etwas vornehmere Haltung an.

Georg lüftete höflich ſeine Mütze. „Dann habe ich
die große Ehre, auf dieſe etwas außergewöhnliche Weise
den berühmten Verfaſſer des Buches „Ueber die Ein-
samkeit‘ kennen zu lernen,“ entgegnete er.

„Was, auch in dieser verhexten Gegend kennt man
mein Buch?“ rief der Arzt ebenso geſchmeichelt wie be-
luſtigt. . . .. t
„Wir sind doch nicht so ganz verhext, wie es ſcheine.
mag,“ verſezte Georg. „Das Beſte dringt auch bis zu
uns. Ich besite aber Ihr Buch nicht selbst, ich bin nur
ein einfacher Handwerker; der Herr Oberſteiger Lenzmann,
der mir sehr gewogen iſt, hat es mir geliehen, und da
habe ich es meiner Braut vorgeleſen.“
 
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