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dem Salbei nagten.

226

„Der Schnee macht einen ja bald blind.
pfange ich ſtets in dieser Weiſe, und ich tl é
gut daran, denn mehrfach wäre ich ſchon meiner feinen
Winchesterbüchſe ledig gewesen, wenn es mir nicht ge-
glückt wäre, den Kerlen, die sie mir gewiß gern ab-
genommen hätten, zuvorzukommen. Stets hieß es,
verwünſcht auf der Hut zu ſein; heute hatte ich es be-
quemer, denn ſchon ſeit zehn Minuten wußte ich, daß
jemand in der Nähe war, ohne daß ich Euch ſah, und
wenn ich nicht ein solch gutmütiger Kerl wäre, würde
ich Euch jetzt zu allen Teufeln wünſchen. "

„Wieso? Ich verstehe Euch nicht.“

„Na, ich denke, das iſt klar. Seit drei Stunden
klettere ich wie die Katze hinter der Maus einem kleinen
Rudel Dickhornſchafe nach, und ſchon glaube ich, ihm
endlich nahe genug zu sein, um daraus einen präch-
tigen Bock mit einem Gehörn, wie ich es ſelten ſah,
zur Strecke zu bringen, da" — Johnny Dickson ſtieß
einen lauten Pfiff aus ~ „laufen die Tiere, als wäre
ihnen der Teufel im Nacken. Ihr habt sie verjagt.“

„Ja, das iſt ärgerlich. Aber ich kann nichts da-

Fremde em-





ür. !!

| „Natürlich nicht. Aber wenn Ihr es nicht eilig
habt, so helſt mir, die Tiere wieder suchen. Das
Bocksgehörn muß ich haben; ich ruhe nicht eher.'!

„Well!“ erwiderte ich ſogleich bereitwillig und hoch-
erfreut über die in Aussicht stehende intereſſante Jagd
auf amerikaniſche Wildſchafe. „Camp Brown, wohin
ich reiten wollte, läuft mir nicht fort.“

„AI right, dann kommt!“ sagte Johnny Dickson
eifrig. „Wir wollen Euer Pferd zu dem meinigen
bringen, das ich in einer Schlucht unweit von hier
zurückließ. “ j

Es geschah.
und bei dem Genossen unter einer überhängenden Fels-
wand, wo einige dürre Grashaufen ſtanden, angebun-
den hatte, stiegen wir, die Büchſe auf der Schulter,
wieder in die Berge hinauf. : :

„Das beste iſt, wir folgen der Fährte der Tiere,"
meinte mein Begleiter, und ich stimmte ihm bei.

Doch das war leichter geſagt als gethan, denn es
stellte sich heraus, daß Dickson die Dickhornsſchafe jen-
ſeit einer tiefen Schlucht gesehen hatte, und längere
Zeit suchten wir, bis wir einen weniger gefahrvollen
Weg in die Tiefe und dann wieder einen solchen von
der Schlucht aus nach der Höhe sowie die hier im
Schnee zurückgelaſſenen Spuren der entflohenen Tiere
fanden. Diese führten zuerst zwiſchen riesigen Fels-
blöcken hindurch, dann auf einem nur mit der äußerſten
Vorsicht zu beſchreitenden ſchmalen glatten Pfade an
der dort faſt ſenkrecht nach der Schlucht abfallenden
Felswand entlang und endlich durch Vertiefungen in
die Berge hinein weiter, wo ſie der den Schnee auf-
wirbelnde Wind größtenteils verweht hatte.

In manchen Bergen war ich ſchon umhergekraxelt,
und ich hielt mich für keinen ſchlechten Steiger; mein
Gefährte war mir jedoch darin weit überlegen. Mit
vollkommener Sicherheit ſprang er von Stein zu Stein;
behend schwang er sich über Felsblöcke, und ohne
Zögern ließ er ſich lange schräge Flächen hinabgleiten
oder von beträchtlicher Höhe in irgend einen Schnee-
haufen fallen. Nur mit der äußersſten Anstrengung
vermochte ich ihm zu folgen, obgleich er bisweilen noch
~ wozu mir keine Zeit blieb ~ höhere Punkte er-
kletterte, um Umſchau zu halten.

Mehr als eine Stunde war verronnen, da beugte
ſich Johnny Dickson, der wieder den Gipfel einer An-
höhe erklommen hatte, haſtig nieder und winkte mich
zu sich heran. „Seht Ihr sie?“ fragte er, indem er
zwiſchen zwei Steinblöcken hindurch nach einer kleinen,
etwa fünfhundert Schritt entfernten, tiefer in den
Bergen gelegenen und von steilen Höhen umgebenen
Fläche zeigte, auf der ich denn auch sieben Dickhorn-
schafe gewahrte, die an aus dem Schnee hervorſchauen-
„Es sind dieſelben von vorhin.

Nachdem ich meine Kitty abgeſattelt

Seht den Prachtbock!“

Ich nickte. Es war ein großes Tier, das fort-
während den Kopf mit dem dicken, schweren, kreis-
förmig geschwungenen Gehörn hob und nach allen
Seiten umherlugte. |
_ „Dort von rechts müſſen wir uns heranſchleichen, "
fuhr mein Begleiter fort, „denn wenn ich mich nicht
täuſche, liegt eine Schlucht oder dergleichen hinter der
Fläche, und wenn von dieser nicht noch ein unseren
Blicken verborgener Ausweg führt, schneiden wir den
Tieren den Weg nach Südwesten ab, und der Vock ge-
hört uns. Bitten möchte ich Euch, mir den erſten
Schuß zu überlaſſen. Treffe ich damit den Botk nicht
gleich so, daß er zuſammenbricht, dann mögt Jhr Euer
Heil verſuchen. Streckt Ihr ihn sofort tot nieder ~
all right ! Dem Meiſterſchützen soll der Bock gehören."

Ich erklärte mich mit diesem Vorschlage einverſtan-
den, und nachdem er noch einmal Umſchau gehalten
hatte, brachen wir wieder auf. Schneller noch als
vorhin ging es vorwärts durch die ſchneeigen Berge.

Wie ungemein nichtig erſcheint ſich der Menſch doch
inmitten dieser gewaltigen Größen! Staunend ſtreift
das Auge die ſonderbaren Gebilde der Felſenmasſen,

|

that bisher | durch- und übereinandergeworfen ſind.

Da s Bu < für Alle.

Heft 9.





an mir vorüber in wilder Flucht davonjagten.







' die hier vielfach ausgezackt und zerklüftet, dort wild ;

Nur einige
Gräser und der mit wenig Nahrung zufriedene Salbei,
nun trocken und farblos, sowie hin und wieder eine
vereinzelte Pechtanne, deren Wurzeln sich mühſam in
das nackte Gestein klammern, friſten hier ihr Leben.
Doppelt starr und tot erſcheint alles jetzt in der Winter-
tube ure: dem Schnee, wie mit einem Leichentuche
edeckt. /

Atemlos folgte ich springend, kletternd und gleitend

meinem Gefährten, bis dieser plötzlich wie angewunzelt
stehen blieb und, seine Büchſe hebend, mit dem Kopfe
nach zwei rieſenhaften Felſen deutete, zwiſchen denen
ſich ein ſchmaler Durchgang befand.

„Wir sind am Platz, “ raunte er mir zu, und be-
hutſam ſchlichen wir weiter. ,

Johnny Dickson hatte ſich nicht geirrt. Als wir
den Durchgang passiert hatten, lag die Fläche vor uns,
und kaum vierzig Schritt entfernt standen die dem
europäiſchen Steinbock bis auf das ſchon erwähnte
Gehörn so ähnlichen amerikanischen Dickhornſchafe. Sie
hatien uns bereits gewittert; jetzt ſahen ſie uns, und
in wilden Sätzen stürmten sie davon.

„Vhe devil, die übrigen Tiere decken den Bock !“
ſchalt mein Gefährte, nachdem er mehrfach vergeblich
seine. Büchſe zum Anſchlag erhoben hatte. ]
auf cso Vläch Frrin wt... E ſhess! Iirtt
den zwiſchen den beiden Felſen hatte, in deren Nähe
wir ſtanden. Dicht vor der von uns ſchon vorhin von
der Höhe aus geſehenen Schlucht hielten sie eine Ste-
kunde an; doch die Schlucht war viel zu breit, um sie
im Sprunge zu nehmen, und vorwärts jagten die Tiere
aufs neue. Ständig blieb der Bock, den Johnny
Dickson sich für seinen Schuß auserſehen hatte, in der
Mitte der anderen Tiere, und mein Freund wetterte,
daß er nicht zum Schuß kommen könne, während meine

| Blicke mit Vergnügen den behenden Sätzen der Wild-

schafe folgten,, deren gedrungener, muskulöſer Körper
große Kraft und Ausdauer verriet.

„Halt, ich hab's!“ rief mein Gefährte plöglich.
„Bleibt hier und gebt acht, daß die Tiere nicht ent-
ſchlüpfen; ich ſprenge das Rudel.“

Eilig lief er nach der nördlichen Seite der Fläche
und kauerte sich dort hinter einem Felsblock nieder.
Als nun die von Süden heranjagenden Wildſchafe dicht
vor ihm waren, sprang er mit einem gellenden Schrei
empor. Seine Absicht glückte. Die Tiere stürmten
nach verſchiedenen Richtungen auseinander. Der Bock
jagte allein, den Kopf mit den mächtigen Hörnern in
den Nacken gelegt, zurück nach Süden auf die Schlucht
zu. Vor derſelben stutte er abermals und schien aufs
neue die Weite zu meſſen; da krachte der Schuß aus
der Büchſe Johnny Dickſons, und auf das Blatt zu
Tode getroffen sprang der Bock mit einem hohen,
weiten Satze in die Tiefe, aus der einige Sekunden
später ein dumpfer Schlag herauftönte.

„Hurra !“ rief Dickson und ſchwenkte seinen Hut.

„Mein ist das Gehörn. Das war ein Meisterſchuß!

Wollt Ihr ihn mir nachmachen? Dort — die übrigen
Tiere ſind zu Eurer Verfügung.“
„Weshalb sie töten?“ erwiderte ich und gab den
Dickhornſchafen den Ausgang frei, durch den sie z
n
gelüstet durchaus nicht nach ihrem Fleiſche. Mundet
es Euch, habt Ihr an dem Bock genug.“

Beide traten wir an den Abgrund, und nun erſt
ſahen wir, daß es keine Schlucht, ſondern ein von
beinahe senkrechten Steinwänden umgebener Felſen-

keſſel war.

Johnny Dickson hatte vom Gürtel einen langen
aufgerollten Strick gelöst, und ihn betrachtend, kraute er
ſich hinter dem Öhr. „The devil! Der hält mich
nicht, “ sagte er. Er ſchaute in die Tiefe und deutete
dann auf die gegenüberliegende Steinwand. „Herauf
klettere ich schließlich schon, zuerſt in dem ſchmalen
Spalt wie ein Schornſteinfeger und nachher an den
Felszacken; aber hinab iſt es verwünſcht gewagt.“ Er
ſchleuderte den Strick in den Schnee und trat noch
dichter an den Abgrund. „Seht, dort unten liegt mein
Bock; ich wette, er wiegt faſt vierhundert Pfund. Das
wäre doch ganz niederträchtig, wem –~ “ Das
Wort erſtarb ihm auf den Lippen. Der Boden wich
unter seinen Füßen. Ich sah noch, wie er mit den
Händen verzweifelt um ſich griff, dann war er, bevor
ich zu ihm hinspringen konnte, verſchwunden.

Ich fühlte, wie ſich mir die Haare auf dem Kopfe
sträubten. Ein Schauder rann durch meine Glieder,
und unwillkürlich hielt ich mir ſtockenden Herzens beide
Ohren zu, um das Aufschlagen des in der Tiefe zer-
ſchmetternden Körpers meines Gefährten nicht zu hören;
dann aber warf ich mich doch gleich darauf nieder und

kroch vorsichtig, um nicht das Schicksal meines Freundes

zu teilen, an den Abgrund. Haſtig blickte ich nach
untsr h wirbelte in der Luft eine Wolke Schnee, den
der Stürzende mit ſich hinabgeriſſen hatte, und erſt
nach mehreren Sekunden gewahrte ich Johnny Dickson.





Etwas erleichtert atmete ich auf. Er war nicht an
der ſchrägen Felswand bis auf den etwa fünfzig Meter
tiefen Grund des Felſenkeſſels gerutſcht, sondern hing
ungefähr noch acht Meter über demselben an einem
aus dem Stumpf einer alten Pechtanne hervorragenden
abgebrochenen Aſt, der ſich von hinten unter seinen
Gürtel geſchoben hatte.

Ich rief laut seinen Namen. Er regte ſich nicht;
schlaff hingen sein Haupt und ſeine Arme hernieder.
War er tot oder nur betäubt? Wie konnte ich zu ihm
hinab? Die einzige Möglichkeit, an der jenſeitigen
Felswand hinunterzuklimmen, hatte er, der Meiſter im
Klettern, als unausführbar verworfen. Wie vermochte
ich ihm in anderer Weiſe zu helfen, wenn er noch
lebte? – Das alles ſchoß mir blitzschnell durch den
Kopf. „Dickson! Johnny Dickſon!“ rief ich, so laut

ich konnte, noch einmal.

Jetzt bewegte er ſich. Wieder griff er mit den
Armen um ſich; dann hob er den Kopf. „The devil!“
rief er, worauf er verſchiedenes ſagte, was ich nicht
ycrſh. während er ſich bemühte, von dem Aste ab-
zukommen. .
s Was kann ich für Euch thun?" rief ich ihm zu.

„Unter mir iſt die Felswand noch ſchräger, und am
Fuße liegt hoher Schnee, da ist der Fall von hier aus
ein Kigveczghiel gab er zurück. „Wenn ich nur von
dem vermaledeiten Aste herunter wäre!“ Vergeblich
verſuchte er jet die Schnalle seines Gürtels zu lösen.
„Der Teufel hol's! Im gewöhnlichen Leben habe ich
ſchon meine Laſt, sie zu öffnen, denn die Zunge iſt
eingeroſte. Jetzt liegt mein ganzes Körpergewicht
auſßzerdem darauf, und nun ist es ganz unmöglich.“

„Nehmt doch Euer Mesſſer und durchſchneidet den
Ledergurt, “ riet ich ihm.

„Mein Mesſſer ~ ja, wenn es nicht dort unten
löge bei dem Wildſchaf. Es iſt mir wohl aus der
Sg. getttiht. ich ihn verzweifelte Anstrengungen
machen, mit den Händen den Ledergürtel zu öffnen.
„Nein!“ rief er dann, und ermattet ließ er ſeine Arme
ſinken. „Es iſt unmöglich. Lebt wohl, Freund, und
laßt mich hier nur baumeln! Herab zu mir lönnt Ihr
G i jd. . tu! thlhar s § tüs rs uur
ein starkes. Tau und einige kräftige Männer geholt
habt, die mich heraufziehen könnten, bin ich unfähig
geworden, mich an dem Tau feſtzubinden. Einmal
hat es ja doch mit uns ein Ende, weshalb nicht hier,
Uttiney sst !! vet Feiſtetthäſe auf dem

att gegenüber? eine Habe –~

Wah ſcheinlich wollte er noch seine teſtamentariſchen
Verfügungen hinzufügen ; doch ich unterbrach ihn. Mir
war ein Gedanke gekommen, der sich vielleicht aus-
führen ließ. .„Verhaltet Euch ſtill,“ rief ich hinab,
„und macht Euch darauf gefaßt, Eure Schlittenfahrt
fortzuſezen. Hoffentlich gelingt es mir, Euch aus
Eurer Lage zu befreien.“

„Was habt Ihr vor?“ meinte er überraſcht, indem
er den Hals reckte und verſuchte, zu mir heraufzuſehen.

„Ruhig, regt Euch nicht!“ antwortete ich dringend.

„AI right! Neugierig bin ich aber doch, was Ihr
beginnen wollt.“

Schnell nahm ich meine Büchse, und nachdem ich
an dem Felſenkeſſel eine Strecke entlanggeeilt war,
legte ich mich nieder, kroch an den Rand des Abgrundes
und beugte mich so weit wie möglich hinüber. Ich hatte
recht vermutet. Jetzt vermochte ich ein kleines, aller-
dings nur wenige Centimeter langes Stück Aſt zwiſchen
dem Tannensſtumpf und dem Rücken des Hängenden
zu 2%; Vorſehtis zielte ich darauf mit der Büchse
und drückte ab.
Der Alt krachte und brach. Johnny Dickſon glitt _
von ihm ab und rutschte an der ſchrägen Felswand in
den am Fuße derſelben aufgehäuften Schnee, aus dem
er sofort inmitten einer durch seinen Fall aufgewirbelten
Schneewolke emporſprang.

„Hurra!“ rief er zu mir herauf und ſchwenkte
seinen vom Boden aufgenommenen Hut wie vorhin
nach ſeinem Meiſsterſchuß. „Besten Dank für die neue
Freikarte, hoffentlich gültig für noch einige Jährchen
Dasein auf unserem Planeten. “ Er reckte ſeine Glieder
und lachte. „Ja, alle Knochen sind in Ordnung.
Unkraut vergeht. eben nicht; es iſt richtig!“ Nachdem
er auch ſein Meſſer an ſich genommen hatte, ging er
"h hen voc uno hehtatttete ht. "ur allen ”eiten.

jer tri ni Tag, un
s Jäger wird mich darum pa ~ Na Heran
ans Brett, alter Junge!“

Bald hatte er den Kopf des Tieres vom Rumpfe
getrennt, worauf er dem Bocke die Haut *) am Rücken
U c G
das Tier nicht,“ meinte er dabei. „So !“ rief er mir
zu, als er mit der Arbeit fertig war, „nun behaltet



*) Das Haar der Dickhornſchafe hat, wie beim europäischen
Steinbock, nichts mit Wolle gemein,. es iſt hart, gewellt und
nur etwa 2 Zoll lang. :
 
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